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INTERNATIONAL/044: Pakistan - Friedensnobelpreis für Malala ein "Hoffnungsschimmer" (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. Oktober 2014

Pakistan: Friedensnobelpreis für Malala ein 'Hoffnungsschimmer' - Mädchen feiern ihre Ikone

von Ashfaq Yusufzai


Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Die Zerstörung tausender Schulen durch die Taliban versperrt vielen Kindern, vor allem Mädchen, den Zugang zu Bildung
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, Pakistan, 13. Oktober (IPS) - In Pakistans Stammesgebieten hat die Nachricht, dass eine bildungsbewusste junge Frau aus ihrer Mitte den diesjährigen Friedensnobelpreis erhalten hat, gerade bei den Mädchen in den von den Taliban bedrohten Regionen des Landes Begeisterung und Hoffnung ausgelöst.

Malala Yousafzai ist seit dem 9. Oktober 2012, als sie als 15-Jährige im Swattal in der nordpakistanischen Provinz Khyber Pakhtunkhwa nur knapp einem Mordversuch der Taliban entging, zur Lichtgestalt all jener geworden, die sich dem Unterrichtsverbot der Islamisten für Mädchen widersetzen. Seit der Behandlung ihrer Kopfschussverletzungen lebt der Teenager in Großbritannien.

Experten zufolge hat das Nobelpreiskomitee mit der Würdigung Yousafzais am 10. Oktober ein wichtiges Zeichen gesetzt. So mache die prestigeträchtige Auszeichnung allen Hoffnung, die der ständigen Gefahr ausgesetzt seien, ihren Bildungseinsatz mit dem Tod bezahlen zu müssen.

Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Mädchen in Peshawar beten für Malala Yousafzai
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"Der Preis unterstreicht die Bedeutung, die der Bildung zukommt", betont Muhammad Shafique, ein Professor an der Universität von Peshawar. "Er wird Eltern ermutigen, ihre Töchter wieder zur Schule zu schicken."

Als die Taliban im Zuge der US-Invasion 2001 aus Kabul vertrieben wurden, suchten sie Schutz jenseits der afghanisch-pakistanischen Grenze, wo sie seither mit aller Gewalt der Bevölkerung ihre Vorstellungen vom Islam aufzwingen. Auf dem Höhepunkt der Taliban-Herrschaft im Swattal - zwischen 2007 und 2009 - zerstörten sie 224 Schulen und brachten mehr als 100.000 Kinder um eine Schulausbildung.

Genau in dieser Zeit machte die damals zwölfjährige Yousafzai international auf sich aufmerksam. Sie berichtete regelmäßig für den Urdu-Dienst des BBC über die Schwierigkeiten, als bildungshungriges Mädchen am Unterricht in ihrer Heimatstadt Swat teilnehmen zu wollen.

Ihr Blog fand gerade im Norden Pakistans, wo viele Mädchen in der ständigen Angst vor Gewalt leben, weil sie die Schule besuchen, großen Widerhall. In den Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA) hatten die Taliban den Schulbesuch mit der Begründung untersagt, er diene dem Westen als Waffe, um den Islam zu unterwandern. Das Verbot führte dazu, dass daraufhin die Hälfte aller Kinder im Schulalter dem Unterricht fernblieb.


Bildungsmisere

Die FATA gehören zu den Gebieten Pakistans mit den niedrigsten Einschulungsraten. Dort werden gerade einmal 33 Prozent der Mädchen und Jungen im schulfähigen Alter unterrichtet. Nach Angaben der Regierung sind somit rund 518.000 Kinder vom Bildungssystem ausgeschlossen.

Die Schulabbrecherquote erreichte zwischen 2007 und 2013, als die Familien aus Angst vor den Taliban von einem Bezirk in den nächsten flohen, 73 Prozent. Die bislang letzte Vertreibungswelle wurde am 15. Juni durch eine Militäroperation gegen die selbsternannten Gotteskrieger losgetreten. Die Folge war eine Massenflucht aus dem Verwaltungsbezirk Nord-Waziristan, die fast eine Million Menschen nach Bannu verschlug, einer Stadt in Khyber Pakhtunkhwa.

Eine von den Vereinten Nationen im August durchgeführte Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass 98,7 Prozent der vertriebenen Mädchen und 97,9 Prozent der Jungen in den Flüchtlingslagern keinen Schulunterricht erhalten. Bannu, ohnehin schon mit einer Einschulungsrate von nur 37 Prozent in Sachen Bildung unterversorgt, steht derzeit am Rand eines wahren Bildungskollapses, da 80 Prozent der Schulen für die Unterbringung der Flüchtlinge zweckentfremdet wurden.

Die Ehre, die Yousafzai als diesjährige Friedensnobelpreisträgerin zuteil wurde, hat tausende Menschen in den Stammesgebieten beeindruckt und der Kampagne für das Recht auf Bildung neues Leben eingehaucht, wie der Bildungsbeamte in Swat, Maskeen Khan, versichert. "Wir gehen davon aus, der Nobelpreis einen neuen Bildungsboom bei uns auslösen wird."

Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Demonstration von Schulmädchen für Malala Yousafzai
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Naila Ahmed hatte die zehnte Klasse besucht, bevor sie mit ihrer Familie Nord-Waziristan verlassen musste, um Zuflucht in einem Lager in Bannu zu suchen. Sie empfindet die Lage für ihre Generation als großes Unglück. Doch habe sie selbst "Glück im Unglück" gehabt, da sie in Bannu eine private Schule besuchen könne.

Das Mädchen hat Eltern, die in der Lage sind, die Schulgebühren aufzubringen. Die 13-jährige Yasmeen Bibi ist nicht so privilegiert. Sie hofft, dass Malala Yousafzai dazu beiträgt, dass sie und andere Kinder zur Schule gehen können. "Wir bitten Malala, dass sie einen Teil [ihres Preisgeldes] für die Förderung von Bildung in den FATA verwendet."

Ihre Worte knüpfen an die Enttäuschung der Menschen unmittelbar nach der Entscheidung Malalas an, ihrer Heimatregion und ihrem Land den Rücken zu kehren. Tatsächlich gab es viele im Swattal, die sich von der jungen Frau im Stich gelassen fühlten. Manche erklärten gar, der Teenager habe den Islam dem Säkuralismus geopfert, indem er in Großbritannien lebe und zur Schule gehe.


Kollektive Euphorie

Doch solche Vorwürfe sind Vergangenheit. Die globale Anerkennung, die Yousafzai als jüngste Friedensnobelpreisträgerin zuteil wurde, hat im Land eine kollektive Euphorie ausgelöst. In den Mädchenschulen in Swat wurden am 10. Oktober Süßigkeiten verteilt und auf den Straßen wurde gefeiert. Yousafzais ehemalige Klassenkameradin Mushatari Bibi sprach von einem "Hoffnungsstrahl" für alle anderen Mädchen, die ihr Leben riskieren, weil sie zur Schule gehen.

Es gibt sogar Stimmen, die sagen, dass der Friedensnobelpreis für Yousafzai die Taliban in ihren Grundfesten erschüttern wird, da nun noch mehr Menschen bereit sein werden, sich gegen die Fundamentalisten zu erheben, die ihnen seit mehr als einem Jahrzehnt das Leben schwer machen. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/10/in-pakistans-tribal-areas-a-nobel-prize-is-a-ray-of-hope/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 13. Oktober 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Oktober 2014