afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 3, Mai/Juni 2016
Soweto und das Recht auf Bildung
von Rita Schäfer
Am 16. Juni 2016 jährt sich der Aufstand von Schülerinnen und Schülern aus Soweto, einer Township südlich von Johannesburg. Vor genau 40 Jahren war dieser Protest für bessere Bildung der Wendepunkt in der Geschichte Südafrikas, denn die Apartheidpolizei schoss die friedlich demonstrierenden Kinder und Jugendlichen nieder. Hunderte starben, Tausende wurden verletzt, weitere Tausende inhaftiert. Die internationale Öffentlichkeit wurde wachgerüttelt und der Widerstand gegen das rassistische Apartheidregime formierte sich national und international neu. Während viele schwarze Jugendliche anschließend heimlich das Land verließen und in den Untergrund gingen, verschärfte dar Apartheidstaat seine gewaltsame Repression und Polizeiwillkür - insbesondere gegen junge Menschen. In etlichen europäischen Ländern, in Kanada und Neuseeland vernetzte sich die Anti-Apartheidbewegung - zumeist von jungen Unterstützer/innen der Befreiungsbewegungen getragen.
Rückbezüge auf den Soweto-Aufstand von 1976 sind von elementarer Bedeutung für heutige Jugendliche und Studierende in Südafrika; sie verlangen Gerechtigkeit im Zugang zu Bildung. Das betrifft die hohen Kosten für das Studium, die viele schwarze Studierende nicht aufbringen können. Sie kommen nach wie vor aus armen Familien und nur wenige erhalten Stipendien.
Die Proteste von Schüler/-innen und Studierenden richten sich seit letztem Jahr auch gegen unfaire Löhne für das Wach- und Reinigungspersonal an Universitäten, zumal finanzielle Probleme deren Kindern den Zugang zu höherer Bildung erschweren. Zudem prangern die Studierenden Korruption im Bildungssektor und in anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung und Infrastruktur an - und zwar nicht nur im Vorfeld der diesjährigen Kommunalwahlen. Mit diesen Forderungen halten sie der Regierung unter Präsident Jacob Zuma den Spiegel vor, weil die Regierungspartei African National Congress (ANC) ihre Reformen und Verbesserungen im Bildungssektor seit 1994 rühmt. Sowohl die Regierung als auch die protestierenden Studierenden beziehen sich auf die Überwindung von Diskriminierung und das Recht auf Bildung.
Zwar weist Südafrika im afrikanischen und weltweiten Vergleich einen hohen Bildungsetat aus, dennoch beeinträchtigen Defizite im Unterrichtsniveau, zahlreiche Gewaltformen an Schulen und unfreiwillige Teenagerschwangerschaften das Erreichen der Bildungsziele. Etliche Kinder und Jugendliche brechen ihre Schulausbildung ab, weil sie die Prüfungen nicht bestehen, Lehrer inkompetent sind, Unterrichtsmaterialien fehlen, ein Klima der Einschüchterungen vorherrscht oder weil Armut und Krankheiten ihre Zukunftsperspektiven rauben. Das sind keineswegs nur südafrikanische Probleme, doch hier sind die Kinder derjenigen betroffen, die für die Freiheit des Landes kämpften.
Der Schüleraufstand von Soweto 1976 ist nicht nur für Südafrika bedeutend, er hatte Signalwirkung. Denn er war einer der ersten großen Jugendproteste auf dem afrikanischen Kontinent, dem in den 1990er Jahren Demokratiebewegungen von jungen Leuten beispielsweise in Westafrika folgten. Der sogenannte "Arabische Frühling" in einigen nordafrikanischen Ländern war keineswegs ein isoliertes politisches Ereignis. Auch bei den Regimewechseln in Burkina Faso und im Senegal in den letzten Jahren waren junge Menschen die zentralen Akteure.
Demgegenüber lassen machtgierige Präsidenten, oft ältere selbstherrliche Männer, die Verfassungen und Gesetze ihrer Länder beugen, protestierende junge Menschen brutal niederschießen oder in verrotteten Gefängnissen umkommen, wie in Burundi und der DR Kongo. Diplomaten auf dem Kontinent und die Weltgemeinschaft schauen weitgehend tatenlos zu.
Couragiertes Demokratiestreben von Jugendlichen in afrikanischen Ländern hat Geschichte, die sollten wir kennenlernen oder in Erinnerung rufen. Deshalb ist die Auseinandersetzung mit dem Soweto-Aufstand und heutigen Studierenden-Protesten in Südafrika wichtig. Ihre verzweifelten Forderungen nach guter Bildung und Gerechtigkeit fordern die Regierenden in vielen Staaten heraus; sie können beweisen, ob sie die eigenen jungen Bürgerinnen und Bürger als gefährliche Feinde oder die kostbare Zukunft ihrer Länder betrachten. Und wenn die internationale Diplomatie weiter in lächerlicher Leisetreterei gegenüber Despoten besteht, müssen wir uns nicht wundern, dass junge unbegleitete Flüchtlinge aus Afrika an unsere Türen klopfen.
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SOWETO UND DAS RECHT AUF BILDUNG
Vor vierzig Jahren riskierten Jungen und Mädchen mit ihren Kampf für
bessere Bildung ihr Leben. Rita Schäfer erinnert daran.
AKTUELL
AUSBAU DER KOHLE - EINE ENTWICKLUNGSCHANCE FÜR SÜDAFRIKA?
Melanie Müller erforscht umstrittene neue Kohlekraftwerke und
Verwicklungen deutscher Unternehmen in deren Bau.
BASF, LONMIN UND DAS MASSAKER VON MARIKANA
Während der diesjährigen BASF-Aktionärsversammlung erhoben Witwen des
Marikana-Massakers und Bischof Jo Seoka ihre Stimmen. Carla Schaffner
skizziert die Kontexte.
DER POLITISCHE KAMPF MIT MULTINATIONALEN ROHSTOFFKONZERNEN
Esther Uzar ergründet das Verhältnis von Politik und Kupferkonzernen
im Vorfeld der Wahlen in Sambia.
ALLTAG AN DER MINENFRONTIER
Über das Arbeiten und Leben in neuen Minenstädten in Sambias
Nordwestprovinz berichtet Rita Kesselring.
FÜNF MILLIARDEN VERSCHWUNDEN?
Die Panama Papers belegen, was frühere Recherchen schon vermuteten:
Angolas Staatsfonds ist in ein System von Briefkastenfirmen
eingebunden und alles andere als transparent, schreibt Khadija
Sharife.
UMSTRITTENE WAHLEN
Das Machtfeld zwischen Regierung und Oppositionsparteien ikn der DR
Kongo misst Christoph Vogel in einem Gespräch mit afrika süd aus.
JUSTIZ GEGEN OPPOSITIONELLE
Berichte zum Vorgehen des Staates gegen Oppositionelle hat Rita
Schäfer zusammengestellt.
OSTAFRIKAS FLÜCHTLINGE
Hanno Brankamp analysiert die tansanische Flüchtlingspolitik und
schildert insbesondere die Situation der Burundier.
"ICH WUSSTE NUR, DASS SIE ANDERS WAREN"
Der Dramaturg und Performer Ndinomholo Ndilula über das Theaterstück
Oshi-Deutsch: Die Kinder von Namibia. Von Marie Senf.
GESCHICHTE IN GEISELHAFT
Das Unabhängigkeitsmuseum in Windhoek wurde von Nordkoreanern
gestaltet. Eine Polemik von Joachim Zeller.
MAESTRO, MAGISTRAT UND MATHEMATIKER
ManfrLoimeier im Gespräch mit dem Autor Tendai Huchu.
DER SOWETO-AUFSTAND - INBEGRIFF JUGENDLICHER BEFREIUNG
Christoph Marx ordnet die Proteste der Schülerinnen und Schüler 1976
in historische Kontexte ein.
40 JAHRE SOWETO-AUFSTAND - GEDENKEN VOR ORT
Erinnerungen früherer Aktivisten und Stimmen heutiger Schüler/innen
zeichnet Freedom Ngubonde auf.
SCHREIBEN, UM DEN AUGENBLICK FESTZUHALTEN
Fred Khumalo über literarischen Aktivismus nach dem Soweto-Aufstand.
2015: JAHR DER STUDIERENDEN
Die Studentin Dimpho Mashile berichtet über ihr Studium und Kämpfe
gegen Diskriminierung in Stellenbosch.
STUDENTENPROTESTE IN DURBAN
Jorim Gerrard hat als Gaststudent in Durban Dozenten und Studierenden
zugehört.
FORSCHEN UND PROTESTIEREN IN KAPSTADT
Wie kritische Wissenschaft zur Überwindung von Unterdrückung beitragen
kann, reflektiert Sonwabiso Ngcowa.
RUGBY-GEWALT IN SCHULEN
Stefan Knoppersen zeigt die Abgründe des aggressiven Schulsports auf.
VOM ROTKOHL ZUM REGENBOGEN - MIT EINEM AUGENZWINKERN GRENZEN
ÜBERSCHREITEN
Innovative Garten- und Kunstprogramme an Integrationsschulen begleitet
Vera Dwors und Almud Pollmeier.
WAS JUGENDLICHE MIT UMWELTBILDUNG VERÄNDERN KÖNNEN
Neue Pfade im schulischen und außerschulischen Umweltschutz
beschreitet Lucky Maisanye.
RISSE IN DER WAND
Für menschenwürdige Schulen und das Recht auf Bildung setzen sich Lisa
Draga und Chandre Stuurman ein.
REZENSIONEN
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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
45. Jahrgang, Nr. 3, Mai/Juni 2016, S. 3
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2016
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