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REDE/064: Annette Schavan zum Berufsbildungsbericht 2011, 15.04.11 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, zum Berufsbildungsbericht 2011 vor dem Deutschen Bundestag am 15. April 2011 in Berlin:


Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren!

Der jährliche Berufsbildungsbericht der Bundesregierung informiert über die Lage auf dem Ausbildungsmarkt. Damit gibt er uns auch wichtige Informationen über die Zukunftschancen der jungen Generation. Denn wir wissen: Zwei Drittel aller Jugendlichen gehen den Weg über die berufliche Bildung. Deshalb ist die Situation auf dem Ausbildungsmarkt ein sensibles Thema, das im Jahr 2010 mit der Frage verbunden war: Wie wird sich die Zahl der Ausbildungsplätze in Zeiten der Wirtschaftskrise entwickeln? Wird sie stark zurückgehen? Wie werden die Bewerberzahlen sein?

Kurz zusammengefasst sehen die Fakten in Bezug auf das Jahr 2010 folgendermaßen aus:

Erstens. Prognostiziert war ein Rückgang der Zahl der Ausbildungsangebote um 20.000. Diese Prognose hat sich nicht bewahrheitet. Bezogen auf die Gesamtzahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge von 560.000 beträgt der Rückgang 0,8 Prozent.

Aber - das ist der zweite wichtige Punkt - wir konnten die interessante Entwicklung beobachten, dass es erstmals wieder ein Plus bei der Zahl der Ausbildungsverträge in den Betrieben gibt. Es geht hier also nicht um die außerbetrieblichen und die vielen Maßnahmen, die wir vor allem in den strukturschwachen Regionen auf den Weg gebracht haben, in denen aufgrund der schwierigen Situation nicht genügend betriebliche Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen.

Die Entwicklung bei den betrieblichen Ausbildungsverträgen ist ausgesprochen positiv. 2010 sind 519.000 Verträge abgeschlossen worden. Das ist ein Plus von 5,6 Prozent gegenüber 2005. Das zeigt, dass die Unternehmen auch in Zeiten der Wirtschaftskrise nicht nachgelassen haben, dass sie nicht zurückgefahren, sondern zugelegt haben.

Der dritte wichtige Punkt betrifft die Zahl der Altbewerber, die uns in diesem Hohen Hause schon vielfach beschäftigt hat. Diese Zahl ist von 262.000 im Jahre 2008 auf 185.000 im Jahre 2010 zurückgegangen; das ist ein Rückgang um knapp 30 Prozent. Auch das ist eine überaus positive Entwicklung. Wir wollen, dass der Übergang von der Schule in die Ausbildung direkt erfolgt und dass nicht viele junge Leute als Altbewerber jahrelang in einem Übergangssystem warten müssen.

Der vierte wichtige Punkt bezieht sich auf das Übergangssystem selbst. Auch hier ist in den vergangenen fünf Jahren, seit wir uns gezielt darum kümmern, indem wir Veränderungen vornehmen, Kompetenzen zurückbringen und Maßnahmen bündeln, ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen, nämlich um 22,5 Prozent. Das heißt, junge Leute kommen schneller in Ausbildung als noch vor einigen Jahren.

Das Resümee der Bundesagentur für Arbeit bezogen auf das letzte Jahr ist - wir werden ein solches Resümee in den kommenden Jahren noch häufiger erleben -: Es wurden mehr unbesetzte Ausbildungsplätze gemeldet, als es unversorgte Bewerber gibt. In Zahlen bedeutet dies: Rund 20.000 Ausbildungsplätze - exakt sind es 19.605 - blieben unbesetzt. Es verblieben rund 12.000 unversorgte Bewerber.

Das macht deutlich, wie sich die Bevölkerungsentwicklung auswirkt. In Ostdeutschland konnte man diese Auswirkung in den letzten Jahren schon sehr gut beobachten. Im übrigen Bundesgebiet wird es in den nächsten Jahren eine ähnliche Entwicklung geben. Die Schülerzahlen werden in den nächsten zehn Jahren deutschlandweit deutlich zurückgehen. Die Frage ist also nicht mehr: "Bekommt jeder Jugendliche einen Ausbildungsplatz?", sondern die Frage wird lauten: "Was müssen wir tun, damit angebotene Ausbildungsstellen tatsächlich besetzt werden?"

Ich will Ihnen noch weitere Vergleichszahlen nennen: 2005 gab es über 40.000 unversorgte Bewerber auf ungefähr 12.000 unbesetzte Stellen. Das Verhältnis hat sich also ins Gegenteil verkehrt.

Ausblick auf das Jahr 2011. Die Bundesagentur für Arbeit verzeichnet in ihrer Halbjahresbilanz einen deutlichen Anstieg der Zahl der gemeldeten Ausbildungsplätze. Wir können davon ausgehen, dass es für den Zeitraum September 2010 bis Ende März 2011 einen Anstieg der gemeldeten Ausbildungsplätze um 14,3 Prozent gegeben hat. In absoluten Zahlen ausgedrückt: 48.000 Ausbildungsplätze mehr als im Vorjahr wurden bis Ende März gemeldet. Das ist eine gute Perspektive für dieses Jahr 2011.

Damit stellt sich die Frage: Was sind die zentralen Aufgaben in der Berufsbildungspolitik, vor denen wir stehen, damit wir diese neue Situation sinnvoll gestalten können?

Der erste Punkt. Der Schwerpunkt des Ausbildungspaktes, dessen Zeitraum wir bis 2014 verlängert haben, liegt nicht mehr bei quantitativen, sondern bei qualitativen Größen. Im Mittelpunkt steht also die Qualifikation. Dazu haben Bund und Länder die Qualifizierungsinitiative verabschiedet. Es ist jetzt wichtig, dass die darin vereinbarten Maßnahmen auch auf der Seite der Länder konsequent umgesetzt werden. Wir wollen erreichen, dass jeder Jugendliche einen Abschluss beziehungsweise eine Qualifikation erreicht, die den Einstieg in die Ausbildung ermöglicht.

Der zweite Punkt betrifft die Neuordnung des Übergangssystems. Wir sollten in dieser Frage nicht fahrlässig sein. Manchmal entsteht der Eindruck: Das Übergangssystem brauchen wir überhaupt nicht. Das ist aber keine Lösung. Man muss manchmal auch über den Tellerrand schauen und darf sich nicht nur auf Deutschland beziehen. Wer sich bei den europäischen Nachbarn umschaut, der weiß: Der Übergang von Bildung in Beschäftigung ist ein ganz zentrales bildungspolitisches Thema. Die Jugendarbeitslosigkeit würde in Spanien nicht 40 Prozent, in Frankreich nicht 25 Prozent und in den skandinavischen Ländern nicht um die 20 Prozent betragen, wenn es in diesen Ländern an der Stelle funktionieren würde. Der Übergang ist die sensible Stelle überhaupt. Wir haben in Deutschland eine Jugendarbeitslosigkeit von sieben Prozent. Darum werden wir beneidet. Bei uns ist die Jugendarbeitslosigkeit so viel niedriger als in anderen Ländern, weil es die berufliche Bildung und die duale Ausbildung gibt.

Jetzt müssen aber die nächsten Schritte gegangen werden. Für mich beginnt das Übergangssystem nicht da, wo die Schule endet. Daher sind für mich die Bildungsketten die wichtigste Maßnahme, die ab Klasse sieben mit der Potenzialanalyse beginnen. Begleitet werden 30.000 Schülerinnen und Schüler bis zur Ausbildung. Ich bin davon überzeugt, dass es das Ziel der Neuordnung des Übergangssystems - es ist die entscheidende Maßnahme, beginnend ab Klasse sieben - sein muss, mehr Jugendlichen den Schulabschluss zu ermöglichen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir uns sowohl auf der Ebene der Länder wie auch auf der Ebene des Bundes einigen. Mein Ziel ist nicht, einfach Geld von A nach B, also zur BA, zu schieben. Wir brauchen vielmehr eine zentrale Maßnahme der Länder und des Bundes.

Wir haben jetzt auf der Bundesebene genau diesen Schritt getan: Wir haben diverse Maßnahmen zusammengefasst, solche im Kontext der Schule und solche im Kontext der beruflichen Bildung. Nach allem, was ich aus den Schulen höre - es ist eine wichtige unterstützende Maßnahme für die Arbeit in den Schulen; man kann das nicht einfach den Lehrerinnen und Lehrern überlassen -, bin ich davon überzeugt, dass diese Maßnahme von allen Maßnahmen, die wir vor allen Dingen auf der Ebene der Länder ausprobiert haben, die wirksamste ist; sie gibt uns die Möglichkeit, tatsächlich eine bessere Qualifikation der Jugendlichen zu erreichen, die sich schwertun.

Dritter Punkt. Die Gruppe, die uns in diesem Kontext am meisten interessieren muss - auch was die Bildungsketten angeht -, bilden die Jugendlichen mit Migrationshintergrund; man braucht dafür keine eigenen, neuen Maßnahmen. Wir wissen, dass die Ausbildungsquote in dieser Gruppe geringer ist; die Quote derer, die ohne Schulabschluss bleiben, ist höher. Deshalb ist die Maßnahme für diese Jugendlichen besonders wichtig.

Wichtig ist aber auch, dass es uns in den nächsten Jahren gelingt, bei unserem Bemühen, Unternehmer mit Migrationshintergrund in die Ausbildung einzubeziehen, weiter voranzukommen. Die Unternehmer mit Migrationshintergrund kommen aus unterschiedlichen Kulturen und wissen um kulturelle Vorbehalte und klassisches Bildungsverhalten in dieser oder jener Kultur; sie können uns auf dem Ausbildungsmarkt helfen. Auch da sind wir einen guten Schritt vorangekommen; aber die Zahl derer, die mitmachen, kann noch erhöht werden.

Letzter wichtiger Punkt. Im Laufe der nächsten Monate wird die Umsetzung des Europäischen Qualifikationsrahmens im Deutschen Qualifikationsrahmen vollendet; wir sind in der Endphase. Das ist ein zentraler Schritt; denn damit kommt es bei der Frage, ob wir bei der Umsetzung des Qualifikationsrahmens die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung akzeptieren, zur Stunde der Wahrheit. Ich bin der festen Überzeugung: Jetzt ist der Moment, in dem wir europapolitisch einen wichtigen Impuls setzen können. Viele beneiden uns um die duale Ausbildung. Mit der Umsetzung des Europäischen Qualifikationsrahmens im Deutschen Qualifikationsrahmen haben wir die große Chance - wir werden sie nutzen -, die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Ausbildung mit der Anerkennung von Ausbildungen und Abschlüssen zu belegen. Insofern finde ich, dass das eine gute Situation für die berufliche Bildung ist. Das ist mit Blick auf die Zukunftschancen der jungen Generation eine gute Botschaft.


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Quelle:
Bulletin Nr. 43-1 vom 15.04.2011
Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan,
zum Berufsbildungsbericht 2011 vor dem Deutschen Bundestag am 15. April 2011 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2011