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GAZA/005: In Israel sind wieder die Kriegstrommeln zu hören (Ilan Pappe)


In Israel sind wieder die Kriegstrommeln zu hören

Von Ilan Pappe - 26. Dezember 2010


In Israel sind wieder die Kriegstrommeln zu hören, und sie werden geschlagen, weil die Unbesiegbarkeit Israels von neuem in Frage steht. Trotz des triumphierenden Wortschwalls der verschiedenen Medienberichte zum Gedenken zwei Jahre nach "Gegossenes Blei" herrscht die Empfindung, daß diese Offensive genauso ein Fehlschlag war wie der zweite Libanon-Krieg von 2006. Unglücklicherweise kennen die Führer, Generäle und die breite Öffentlichkeit des jüdischen Staates nur eine Möglichkeit, mit militärischen Debakeln und Fiaskos umzugehen. Sie können nur durch eine weitere, erfolgreiche Operation oder einen Krieg wiedergutgemacht werden - einen Krieg jedoch, der in der Hoffnung auf bessere Ergebnisse in der nächsten Runde mit noch mehr Gewalt und noch rücksichtsloser ausgetragen wird, als der vorangegangene.

Gewalt und Stärke, so erklärten führende Kommentatoren in den örtlichen Medien (und plappern damit nach, was sie von den Armeegenerälen hören), seien nötig, um den Feind 'abzuschrecken', ihm 'eine Lektion zu erteilen' und ihn zu 'schwächen'. Es gibt keinen neuen Plan für Gaza - es gibt nicht den direkten Wunsch, es zu besetzen und unter direkte Gewalt Israels zu stellen. Der Vorschlag ist, den Streifen und seine Menschen ein weiteres Mal unter schwersten Beschuß zu nehmen, jedoch mit noch größerer Brutalität und für eine kürzere Zeit. Man könnte fragen: Warum sollte das mehr Früchte tragen, als die 'Operation gegossenes Blei'? Aber das ist die falsche Frage. Die richtige Frage ist: Was sonst könnte die gegenwärtige politische und militärische Elite Israels (was die Regierung und die Hauptoppositionsparteien mit einschließt) tun?

Sie wissen seit Jahren, was in der Westbank zu tun ist: Die Region zu Tode kolonisieren, ethnisch säubern und zweiteilen und gleichzeitig offiziell dem nutzlosen Friedensdialog oder eher dem 'Friedensprozeß' treu bleiben. Als Endergebnis erwartet man eine gefügige Palästinenserbehörde in einer massiv judaisierten Westbank. Aber seit Ariel Sharon den Gaza-Streifen 'abgekoppelt' hat, sind sie absolut ratlos, wenn es um die Handhabung der dortigen Situation geht. Die Weigerung der Menschen in Gaza, sich von der Westbank und der Welt abtrennen zu lassen, scheint selbst nach dem entsetzlichen menschlichen Preis, den Gazas Bewohner im Dezember 2008 für ihre Unnachgiebigkeit und ihren Widerstand zahlen mußten, schwerer zu besiegen zu sein.

Der Ablauf der nächsten Runde entrollt sich vor unseren Augen und ähnelt auf deprimierende Weise der gleichen Verschlechterung, die vor zwei Jahren dem Massaker in Gaza vorausging: Tägliche Bombardierung des Gazastreifens und eine Politik, die versucht, die Hamas zu provozieren, um damit ausgedehntere Angriffe rechtfertigen zu können. Wie ein General auseinandersetzte, besteht jetzt die Notwendigkeit, die schädlichen Auswirkungen des Goldstone-Berichts mit zu berücksichtigen: nämlich, daß der nächste Angriff plausibler wirken müßte als der von 2009 (diese Sorge könnte jedoch für diese spezielle Regierung nicht so sehr ausschlaggebend sein; und könnte auch nicht als Hindernis dienen).

Wie immer in diesem Teil der Welt sind andere Verläufe möglich - weniger blutig und vielleicht hoffnungsvoller. Aber es ist schwer zu erkennen, wer eine andere kurzfristige Zukunft schaffen könnte: die hinterhältige Obama-Regierung? Die hilflosen arabischen Regime? Das zaghafte Europa oder die gehandikapte UNO? Die Standhaftigkeit der Menschen in Gaza und des palästinensischen Volkes im allgemeinen bedeutet, daß die großartige israelische Strategie, sie zum Verschwinden zu bringen - was der Begründer der zionistischen Bewegung, Theodor Herzl, gehofft hatte, bereits Ende des 19. Jahrhunderts mit der ursprünglichen Bevölkerung Palästinas tun zu können -, nicht funktionieren wird. Aber der Preis könnte noch weiter steigen, und es wird Zeit für all jene, die eine mächtige und wirkungsvolle Stimme NACH dem Gaza-Massaker vor zwei Jahren erhoben haben, dieses JETZT zu tun und zu versuchen, das nächste zu verhindern.

Diese Stimme wird in Israel als Versuch beschrieben, den jüdischen Staat zu 'delegitimieren'. Es ist die einzige Stimme, die die Regierung und die intellektuelle Elite Israels ernsthaft in Sorge versetzt (weit ärgerlicher als irgendeine schwache Verurteilung von seiten Hillary Clintons oder der EU). Der erste Versuch, diese Stimme abzuwehren, war die Behauptung, Delegitimierung sei versteckter Antisemitismus. Das scheint in dem Moment nach hinten losgegangen zu sein, als Israel um Auskunft bat, wer auf der Welt seine Politik unterstützt - nun, es wurde bekannt, daß rechtsextreme, tradionellerweise antisemitische Organisationen und Politiker die einzigen begeisterten Unterstützer der israelischen Politik im Westen sind. Der zweite Anlauf besteht in dem Versuch zu verstehen zu geben, daß die Ansätze in Form von Boykott, Investitionsstop und Sanktionen Israel nur darin bestärken würden weiterzumachen und sich als Schurkenstaat zu geben. Wie auch immer, das ist eine leere Drohung: Die israelische Politik wird keinesfalls von dieser moralischen und anständigen Stimme geschaffen; im Gegenteil, diese Stimme ist einer der wenigen Faktoren, die aggressive Politik in Schranken zu halten. Und wer weiß, wenn sich in Zukunft westliche Regierungen an die Seite ihrer Öffentlichkeit stellen, wie sie es schließlich im Falle Apartheid-Südafrikas taten, könnte sie dieser Politik sogar ein Ende bereiten und Juden und Arabern gleichermaßen ermöglichen, in Frieden in Israel und Palästina zu leben.

Diese Stimme ist wirkungsvoll, weil sie die Verbindung zwischen dem rassistischen Charakter des Staates und der kriminellen Natur seiner Politik gegenüber den Palästinensern deutlich macht. Die Stimme hat sich vor kurzem zu einer organisierten und klar umrissenen Kampagne mit einer deutlichen Botschaft entwickelt: Israel wird ein Pariah-Staat bleiben, solange seine Verfassung, seine Gesetze und die Politik fortfahren, die grundlegenden Menschen- und Bürgerrechte einschließlich des Rechts auf Leben und Existenz der Palästinenser, wo immer sie sein mögen, zu verletzen.

Es ist jetzt vonnöten, die noble, aber vollkommen verschwendete Energie, die vom israelischen Friedenslager und seinen Ebenbildern im Westen in das 'Ko-Existenz'-Konzept und die 'Dialog'-Projekte gesteckt wird, in den Versuch zu investieren, ein weiteres Genozid-Kapitel in der Geschichte des israelischen Kriegs gegen die Palästinenser zu verhindern, bevor es zu spät ist.


Ilan Pappe ist gemeinsam mit Noam Chomsky Verfasser des Buchs 'Gaza in Crisis: Reflections on Israel's War Against the Palestinians' (Haymarket Books).


Link zum englischen Originaltext:
http://mondoweiss.net/2010/12/the-drums-of-war-are-heard-again-in-israel.html


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Quelle:
"The drums of war are heard again in Israel"
http://mondoweiss.net, 26.12.2010
mit freundlicher Genehmigung des Autors Ilan Pappe
in einer Übersetzung des Schattenblick aus dem Englischen


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2010