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GAZA/055: Waffengang und Widerstand - Großbrand, Mottenkugeln und Parfüm ... (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. Juli 2014

UN: Absichtlich untätig - Diplomatie lässt Israel viel Zeit für Tod und Zerstörung im Gazastreifen

von Thalif Deen


Bild: © UN/Mark Garten

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon am 28. Juli vor Journalisten. Er wiederholte seine Forderung nach einer sofortigen bedingungslosen Feuerpause
Bild: © UN/Mark Garten

New York, 30. Juli (IPS) - Während die Zahl der Todesopfer im Gazastreifen steigt und sich die Vorwürfe gegen Israel häufen, in dem abgeriegelten Palästinensergebiet Kriegsverbrechen zu begehen, verharrt die politisch mächtigste Institution der Vereinten Nationen in einem, wie Kritiker sagen, absichtlich herbeigeführten Zustand der Passivität.

Der 15 Mitglieder zählende UN-Sicherheitsrat (UNSC) ist das einzige Gremium der internationalen Gemeinschaft, das mit rechtlich verbindlichen Vollmachten zur Wahrung des Weltfriedens ausgestattet ist. Doch bisher ist es ihm nicht gelungen, auch nur eine einzige Resolution im Zusammenhang mit dem am 8. Juli ausgebrochenen Konflikt im Gazastreifen zustande zu bringen, obwohl dort unbewaffnete Palästinenser gnadenlos getötet und zivile Einrichtungen zerstört werden.

Nach einem ungewöhnlichen Mitternachtstreffen, offenbar dazu gedacht, Dringlichkeit vorzutäuschen, kam der UNSC am 28. Juli überein, eine sogenannte 'präsidentielle Mitteilung' herauszugeben, die jedoch von einigen UN-Diplomaten in New York als "morbider Witz" kritisiert wurde. "Niemand, und am wenigsten die Kriegsparteien, nimmt diese UNSC-Mitteilungen ernst", meinte ein asiatischer Diplomat.

Ein lauer Resolutionsentwurf, der von Jordanien und den arabischen Staaten unterstützt wurde, ist seit Wochen im Umlauf, ohne die Unterstützung zu finden, die nötig wäre, um auf den Verhandlungstisch zu kommen.


'Tickende diplomatische Zeitbombe'

Mouin Rabbani, Redakteur von 'Jadaliyya', einem E-Magazin, das vom renommierten 'Arab Studies Institute' in Washington herausgegeben wird, erklärte gegenüber IPS, dass der israelischen Führung durchaus klar sei, dass die Möglichkeiten, mit ihren Anschlägen fortzufahren, von der internationalen Unterstützung abhängen. "Damit ist gemeint, was sie 'die tickende diplomatische Zeitbombe', nennen. Das heißt, dass sie straffrei mit dem Abschlachten fortfahren können, solange der Westen bereit ist, sie politisch zu protegieren."

Die Weigerung des UNSC, Israel klar zu signalisieren, dass das Blutbad aufzuhören habe und andernfalls Konsequenzen mit sich bringe, verlängere die Gnadenfrist für Israel, mit der Bombardierung des Gazastreifens fortzufahren, erklärte Rabbani, der am 'Middle East Report' in Washington mitarbeitet. Darin zeige sich natürlich auch die Unterstützung der ständigen Mitglieder USA, Großbritannien und Frankreich sowie anderer UNSC-Mitglieder für Israel.

Die drei westlichen Staaten hätten sich, wie erwartet, hinter Israel gestellt und würden grundsätzlich keiner Resolution gegen Israel zustimmen, unabhängig davon, ob es um den Vorwurf von Kriegsverbrechen, um die Forderung nach einem Überflugverbot über den Gazastreifen oder nach einer Untersuchung der tödlichen Übergriffe auf Zivilisten gehe.

Navi Pillay, die UN-Menschenrechtshochkommissarin, hat darauf hingewiesen, dass die fortgesetzten Militäranschläge von Seiten Israels die Qualität von Kriegsverbrechen annähmen. Der Hamas warf sie "willkürliche Angriffe" vor. "Es besteht der starke Verdacht, dass internationales Recht in einer Weise gebrochen wird, die auf Kriegsverbrechen hinausläuft."

Bild: © Kanya D'Almeida/IPS

Die 'Jews Against Zionism' ist eine Organisation US-amerikanischer Juden, die auf einer Demonstration in New York am 24. Juli das Ende der Gewalt gegen die Palästinenser im Gazastreifen forderten
Bild: © Kanya D'Almeida/IPS

Der aus 47 Mitgliedsstaaten bestehende UN-Menschenrechtsrat hatte in der vorletzten Juliwoche für eine internationale Untersuchung der Übergriffe im Gaza-Konflikt gestimmt. Doch Israel weigerte sich, der allein von den USA boykottierten Resolution Folge zu leisten.

Abba A. Solomon, Autor von 'The Speech, and Its Context: Jacob Blaustein's Speech: The Meaning of Palestine Partition to American Jews' ('Die Rede und ihr Zusammenhang. Jacob Blausteins Rede: Die Bedeutung der Teilung Palästinas für die amerikanischen Juden') erklärte gegenüber IPS: "Die USA werden schon wegen des großen Einflusses der Pro-Israel-Lobby, sowohl im US-Kongress als auch im Senat, nicht gegen Israel aktiv werden."

Wie er betonte, befindet sich die Regierung von Barack Obama in einer Situation, in der das US-Repräsentantenhaus und der Senat einstimmige Resolutionen verabschiedet hätten, die die israelischen Militäraktionen gegen den Gazastreifen seit dem 8. Juli voll und ganz unterstützten.

Seit den 1940er Jahren bemühten sich jüdische Organisationen in den USA um den Aufbau von Beziehungen zu US-amerikanischen Abgeordneten, damit diese die israelischen Positionen politisch und finanziell unterstützen. "Diese Organisationen haben die Lobbyarbeit für israelische Positionen als Pflichtübung verinnerlicht", so Solomon. Und in Krisenzeiten erwiesen sich diese Beziehungen als extrem nützlich.

Im konkreten und aktuellen Fall verhindere die übliche Verzögerungstaktik der USA zugunsten Israel, was als humanitäres Handeln notwendig wäre: eine UNSC-Resolution zu beschließen, um die belagerte zivile Bevölkerung zu schützen, unterstrich Solomon. Historisch werde jede US-Zustimmung zugunsten einer Verurteilung der offensiven israelischen Militäroperationen mit dem Argument niedergemacht, dass sie allen möglichen arabischen Gegnern in die Hände spielen könnte.

"In Fällen, in denen eine Verurteilung unvermeidbar geworden ist, wird darauf Wert gelegt, dass in einem Atemzug arabische Handlungsweisen angeprangert werden", so Solomon, der jahrelang nach Antworten auf die Frage geforscht hatte, wie es dem Zionismus gelingen konnte, sich in den USA so viel Einfluss zu verschaffen.

In einer Zeit, in der israelische Entscheidungsträger explizit erklärten, dass es ihnen darum gehe, durch massive Schäden im Gazastreifen die Bevölkerung gegen die Hamas aufzubringen, und in der Zivilisten massenweise getötet würden, sei es offensichtlich, dass gewisse Länder Israels angebliches Recht auf Selbstverteidigung allem anderen überordneten.


"Massenmord"

"Unter solchen Umständen von einem israelischen Recht auf Selbstverteidigung zu sprechen, ist mehr als obszön", meinte Rabbani. Der Tod von mehr als 1.200 unbewaffneten palästinensischen Zivilisten sei ein vorsätzlicher und willkürlicher Akt, der sich nur als Massenmord bezeichnen lasse.

Rabbani zufolge genießt Israel dabei die direkte und indirekte Unterstützung von Komplizen. Diese zeige sich in massiver Militär-, Wirtschafts- und politischer Hilfe sowie einem Präferenzzugang israelischer Siedlungsprodukte zu den internationalen Märkten.

Der Journalist erinnerte daran, dass die Aufgabe des UNSC darin besteht, für internationalen Frieden und Sicherheit zu sorgen. Doch in der Palästina-Frage habe der Sicherheitsrat wieder einmal kläglich versagt, obwohl er für die Entstehung und die Lösung des Konflikts verantwortlich sei. "Erneut hat sich die Unfähigkeit des UNSC gezeigt, in seiner derzeitigen Form für Frieden und Sicherheit sorgen zu können."

Solomon zufolge entscheiden letztlich die USA über ihr Militär, ihr Finanzwesen und ihr Veto, was in solchen extremen Augenblicken wie dem derzeitigen Massaker an den Palästinensern geschieht. Würden sich die USA hinter verbindliche Maßnahmen für ein Ende der israelischen Militäroperation stellen, könnten sie damit das seit den 1940er Jahren bestehende und fragwürdige politische Nutznießersystem ins Wanken bringen. (Ende/IPS/kb/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/07/ticking-diplomatic-clock-a-cover-for-israeli-assaults-on-gaza/

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IPS-Tagesdienst vom 30. Juli 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2014