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SYRIEN/046: Dominostein Damaskus - Kriegsschismen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Mai 2014

Syrien:
Christen im Bürgerkrieg politisch gespalten

von Karlos Zurutuza


Ein Sutoro-Milizionär im Nordosten Syriens - Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Ein Sutoro-Milizionär im Nordosten Syriens
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Qamishli, Syrien, 6. Mai (IPS) - Malki Hanas Männer mögen keine Fotoapparate. "Die meisten von ihnen sind aus der syrischen Armee desertiert und könnten Probleme bekommen", sagt der Kommandeur der weitgehend unbekannten bewaffneten Gruppe 'Sutoro', die sich fast ausschließlich aus Christen zusammensetzt.

"Wir haben uns zusammengeschlossen, als sich das Regime aus dem Nordosten des Landes zurückzog und die Kurden die Kontrolle über die Region übernahmen", berichtet der 34-Jährige vom Stützpunkt der Miliz in Derik aus, etwa 700 Kilometer nordöstlich der syrischen Hauptstadt Damaskus. "Sutoro - was in der syrischen Sprache so viel wie 'Schutz' bedeutet - ist unsere Alternative zu dem Chaos, das das Land im Griff hält", erklärt Hana, ein ehemaliger Mechaniker.

Im Norden, wo sie besonders zahlreich vertreten sind, nehmen die syrischen Kurden seit Juli 2012 eine Vormachtstellung ein. Bis jetzt ist es ihnen gelungen, Regierung und bewaffnete Opposition gleichermaßen auf Distanz zu halten. Hana spricht von einer reibungslosen Zusammenarbeit mit den kurdischen Sicherheitskräften. "Wir haben nur etwa hundert Kämpfer in Derik und stimmen uns vollständig mit der 'Asayish' - der kurdischen Polizei - ab. Wir führen sogar gemeinsame Operationen durch."


Sprachbarrieren zwischen syrischen Christen und Kurden

Ohne Übersetzer können sich beide Seiten allerdings nicht verständigen. "Wir sprechen kein Kurdisch, und viele Kurden können kein Arabisch, weil sie aus der Türkei sind", sagt Hana. Seine Muttersprache ist Syriakisch, eine Variante der aramäischen Sprache aus dem Norden Mesopotamiens. Nach einer vor dem Bürgerkrieg durchgeführten Umfrage machten assyrische Christen etwa zehn Prozent der rund 23 Millionen Syrer aus.

Der Osten des Landes ist ein sicherer Hafen für Christen, vor allem für diejenigen, die vor dem Krieg im benachbarten Irak geflohen sind. Inzwischen sind viele Landesteile Syriens für Angehörige nicht-muslimischer Minderheiten zur tödlichen Falle geworden.

Nach Angaben der Vereinten Nationen sind seit März 2011 mehr als zwei Millionen Syrer aus ihrer Heimat geflohen. Wie viele von ihnen Christen sind, ist unklar. Viele von ihnen sollen sich in der Krise auf die Seite des Regimes von Präsident Baschar al-Assad gestellt haben.


Trennlinie zwischen Sicherheitsbedürfnis und Streben nach Rechten

Die christliche Gemeinde spricht allerdings nicht mit einer Stimme. Viele Glaubensbrüder hätten sich eher für "Sicherheit" als für "Rechte" entschieden, sagt der Vorsitzende der 2005 gegründeten Syriakischen Unionspartei (SUP), Isoue Geouryie. Die Partei hatte bis zur Veränderung der Lage lange im Untergrund agiert. Inzwischen tritt sie in Orten wie Qamishli, 600 Kilometer nordöstlich von Damaskus, in Erscheinung.

"Der frühere Präsident Hafez al-Assad und sein Sohn Baschar al-Assad haben uns unsere legitimen Rechte vorenthalten, weil sie nicht einmal die Existenz des syriakischen Volkes in Syrien anerkennen", erklärt Geouryie. Viele seiner Parteigenossen sitzen im Gefängnis.

Die christlichen Osterprozessionen in Qamishli sind in ganz Syrien bekannt. Die politische Situation ist jedoch nach wie vor heikel. Regierungstruppen kontrollieren nach wie vor den Flughafen und das Stadtzentrum. In den Vororten und den übrigen Teilen der nordöstlichen Region Jazeera haben die Kurden das Sagen.


Syriakische Sprache aufgewertet

"Einer der wichtigsten Schritte, den wir in jüngster Zeit unternommen haben, war die Erklärung unserer Autonomie und ein Gesellschaftsvertrag, der die syriakische Sprache auf eine Stufe mit den beiden Amtssprachen Kurdisch und Arabisch stellt", sagt Geouryie, der die Kurden bevorzugt.

Seit Ende Januar dieses Jahres ist in Jazeera eine eigene autonome Provinzregierung mit kurdischen, arabischen und syriakischen Vertretern im Amt. Geouryie sieht Sutoro als "notwendige und legitime Institution". Er unterscheidet allerdings zwischen denjenigen, "die hart an der Seite der Kurden arbeiten und denen, die noch das Regime unterstützen".

In der Basis der Miliz im Westen von Qamishli gibt der lokale Kommandeur Luey Shamaaon die Gesamtzahl der Kämpfer mit "etwa 400" an. Wie er bestätigt, gibt es noch eine andere christliche Miliz, die mit Assad verbündet ist.

Vor sieben Monaten kam es zwischen den beiden Gruppen zum Bruch. "Das Regime nahm mehrere unserer Männer fest, doch wir konnten sie gegen Wachposten austauschen, die wir an ihren Kontrollpunkten gefangen genommen hatten", sagt der 33-Jährige.

Lokalen Quellen zufolge nutzen christliche Gruppen, die Assad treu ergeben sind, ein anderes Logo als Sutoro. Auf ihren Uniformen und ihren Fahrzeugen sei der Schriftzug 'Sootoro' zu lesen. Eine unabhängige Überprüfung dieser Informationen war IPS bisher nicht möglich.

"Natürlich haben wir zu ihnen Kontakt, jedoch nur auf persönlicher Ebene", sagt ein Milizionär, der seinen Namen nicht nennen will. "Wenn ich meine Uniform ausziehe, kann ich mit allen auf ganz zivilisierte Art über Politik sprechen."


Kurden schützen Christen vor Islamisten

Trotz des fortdauernden Bürgerkriegs sind in Qamishli Christen mit unterschiedlichen politischen Orientierungen miteinander in Kontakt. Lara, eine 21-jährige christliche Studentin, die in einem der vielen Internetcafés in Qamishli sitzt, fühlt sich wohl in der Gegenwart von Sutoro-Anhängern und deren kurdischen Verbündeten. "Gäbe es die von den Kurden befehligten 'Volksschutzeinheiten' (YPG) nicht, hätten uns die Islamisten schon lange ausgelöscht", meint sie.

Radikale Gruppen, die mit dem Terrornetzwerk Al Qaeda verbunden sind und meist über die Türkei nach Syrien kommen, belagern die Region seit Herbst 2012.

Andere Christen wahren lieber Distanz zu Sutoro. "Die Gruppe hat sich selbst zum Verteidiger der Christen ernannt, doch niemand hat sie darum gebeten", meint Maryam. "Soweit ich weiß, sind Assads Truppen die einzigen legitimen Streitkräfte in Syrien." Sie kommt regelmäßig ins Internet-Café, um Kontakt mit ihrer Familie aufzunehmen. "Die meisten von uns", sagt sie traurig, "leben jetzt in Schweden". (Ende/IPS/ck/2014)


Link:
http://www.ipsnews.net/2014/05/syrian-split-divides-christians/

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IPS-Tagesdienst vom 6. Mai 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Mai 2014