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SYRIEN/054: Dominostein Damaskus - ein Sender im Zwielicht der Fronten ... (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. Juli 2014

Syrien:
'Roj bas, Kurdistan!' - Einziger TV-Sender in kurdischer Sprache sucht Freiwillige

von Karlos Zurutuza


Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Rudi Mohamed Amid vor einem Auftritt im Fernsehen der syrischen Kurden
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Qamishli, Syrien, 2. Juli (IPS) - Rudi Mohamed Amid wirft einen letzten Blick auf sein Manuskript, bevor er auf Sendung geht. "Roj bas, Kurdistan (Guten Morgen, Kurdistan)", begrüßt er die Zuschauer und wirkt, als sei er aus dem Metier. In Wirklichkeit jedoch hat kaum einer der Journalisten bei 'Ronahi', dem ersten und einzigen TV-Kanal der syrischen Kurden, vor dem Bürgerkrieg Erfahrungen bei den Medien sammeln können.

Nach dem Beginn des Volksaufstands in Syrien 2011 gingen die Kurden im Land sowohl zu der Regierung als auch zur Opposition auf Distanz und wählten einen 'dritten Weg'. Im Juli 2012 lockerte Präsident Bashar al-Assad seine Kontrolle über die syrische Kurdenregion. Die größte Minderheit des Landes, der nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen drei und vier Millionen Menschen angehören, beanspruchte daraufhin für sich die Gebiete im Norden Syriens, in denen die meisten Kurden leben.

Die relative Stabilität des Nordostens hat eine Vielzahl ziviler Initiativen entstehen lassen, die jahrzehntelang undenkbar waren. Die kurdische Sprache, die lange Zeit vom herrschenden Assad-Clan verboten worden war, erlebte einen Aufschwung. Erstmals wurde sie an Schulen unterrichtet und in Zeitungen und Magazinen gedruckt. Auch der TV-Kanal Ronahi (auf Deutsch: Licht) sendet auf Kurdisch.

Trotz dieser bedeutenden Fortschritte wird das Leben in der Kurdenregion nach wie vor vom Krieg bestimmt. "Ich studierte an der Universität von Homs, um Erdölingenieur zu werden", erzählt der 21-jährige Reperin Ramadan. "Als der Krieg ausbrach, kehrte ich jedoch wieder nach Qamishli zurück." Die Stadt befindet sich 600 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Damaskus.

Da der Nordosten Syriens reich an Erdöl ist, hätte sich Ramadan nach dem Examen um Arbeit auf dem Ölfeld von Rumelan, knapp 100 Kilometer östlich von Qamishli gelegen, bewerben können. Die Anlage steht seit März 2013 unter kurdischer Kontrolle, musste ihren Betrieb aufgrund des Krieges jedoch nach und nach drosseln und dann einstellen.

Ramadans ehemalige Universitätsstadt wurde durch heftige Bombenangriffe von Assads Streitkräften inzwischen dem Erdboden gleichgemacht. Der junge Mann hat deshalb sein Ziel, Erdölingenieur zu werden, komplett aufgegeben.


Spenden aus dem In- und Ausland

Wenn das Fernsehprogramm beendet ist, hilft der Geschäftsführer Perwin Legerin dabei, Kisten mit Glühbirnen auszupacken, die in dem Studio aufgehängt werden sollen. "250 Freiwillige arbeiten hier für uns", berichtet der 28-Jährige. "Geld kommt entweder von Leuten hier am Ort oder Kurden, die im Ausland leben. Unsere Angestellten verdienen umgerechnet zwischen 30 und 90 US-Dollar im Monat."

In Qamishli befindet sich der Hauptsitz des Senders, der außerdem Büros in Kobani und Afrin, zwei weiteren kurdischen Enklaven im Norden Syriens, unterhält. Die drei Zentren mit den notwendigen Geräten auszustatten, scheint die größte Herausforderung zu sein. "Wir brauchen noch eine Menge Dinge, um richtig arbeiten zu können. Vor allem, weil die Türkei und die Verwaltung der irakischen Kurdenregion eine Blockade gegen uns aufrecht erhalten. Somit kommt kaum neue Ausrüstung über die Grenze", erläutert Legerin.

Der junge Manager erklärt, dass der jüngste Aufstand von Sunniten in den Grenzprovinzen im Westen des Iraks "die Bestrebungen der Kurden weiter bedroht". Dennoch erreicht der Sender Ronahi sein Publikum nach wie vor sieben Tage in der Woche, vor allem in kurdischer Sprache, aber auch auf Arabisch und Englisch. Zu sehen sind Interviews mit hochrangigen Vertretern aus Politik und Militär, Dokumentarfilme, Berichte über Beerdigungen gefallener kurdischer Soldaten. Auch traditionelle Musik darf nicht fehlen. Und ständig gibt es neue Nachrichten von der Front.

Allerdings sind nicht alle syrischen Kurden mit dem Sender einverstanden. Mehrere kurdische Oppositionsgruppen werfen Ronahi vor, sich auf die Seite der Partei der Demokratischen Union (PYD) zu stellen, die stärkste politische Formation der Kurden in Syrien. Perwin Legerin widerspricht energisch. "Wir bilden unterschiedliche Standpunkte ab und lassen alle möglichen Gruppen in der Kurdenregion Rojava und in Syrien zu Wort kommen."


Syrische Kurden politisch zersplittert

Die Politik der syrischen Kurden bleibt jedoch eine heikle Angelegenheit. Die meisten Oppositionsparteien werden von Massoud Barzani unterstützt, dem Präsidenten der Kurdenregion Iraks und Chef der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP). Weitere drei politische Gruppierungen bekommen Rückhalt von der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) von Jalal Talabani.

Die PYD hat wiederholt erklärt, dass ihre Agenda mit den Zielen der Kurdischen Arbeiterpartei PKK konform gehe. Salih Muslim, der die PYD gemeinsam mit Asia Abdullah leitet, bezeichnet den Sender Ronahi als "Spiegel der Gesellschaft in Rojava, der längst ein Teil des Alltags der Bevölkerung geworden ist".

Syrische Kurden liefern sich weiterhin Auseinandersetzungen mit den Regierungstruppen und Kämpfern aus der Opposition. Das weiß auch Sozan Cudi. Die junge Soldatin ging noch zur Schule, als der Krieg begann. Derzeit nimmt sie an den Kamera-Trainingskursen des Senders teil. Wie das Management mitteilt, stehen diese Kurse jedem offen.

"Dreien von uns wurde von unseren Kommandeuren gesagt, dass wir einen Monat lang an den Kursen teilnehmen sollten", sagt die 20-Jährige Cudi, die den Einheiten zum Schutz von Frauen (YPJ) angehört. Die YPJ sind den Volksverteidigungseinheiten (YPG) angeschlossen, den etwa 45.000 Kämpfer in der syrischen Kurdenregion angehören.

"Journalismus in Syrien bedeutet oft, an der Front zu arbeiten. Und nicht jeder ist bereit, die damit verbundenen Risiken auf sich zu nehmen", sagt Cudi. "Ich kann ein Gewehr in die Hand nehmen, um gegen unsere Feinde zu kämpfen, oder eine Kamera, um ihre Gräueltaten publik zu machen."


Gefahr durch Islamisten

Serekaniye - oder Ras-al Ain auf Arabisch - ist eine der Ortschaften, die in den vergangenen Jahren ein hohes Ausmaß an Gewalt erlebt haben. Abas Aisa, ein TV-Produzent bei Ronahi, konnte sich in letzter Minute aus dem Dorf an der Grenze zur Türkei, 570 Kilometer nordöstlich von Damaskus, retten. Islamistische Extremisten sind offenbar in das Gebiet vorgedrungen, um die kurdischen Autonomiepläne zu vereiteln.

"Unser kleines Dorf hat eine gemischte Bevölkerung aus Arabern und Kurden", erklärt Aisa, dessen Familie arabisch ist. "Viele Leute sind jedoch weggegangen, und der Ort steht unter der Kontrolle von Dschihadisten-Gruppen." Der 30-Jährige ist einer von mehreren Mitarbeitern von Ronahi, die keine Kurden sind. Obwohl seine Verwandten noch in dem Dorf wohnen, wird er wohl in absehbarer Zeit nicht dorthin zurückkehren. "Solange Ronahi ihr Wohnzimmer erreicht, machen sie sich um mich keine Sorgen." (Ende/IPS/ck/2014)


Link:
http://www.ipsnews.net/2014/06/syrian-kurds-have-their-own-tv-against-all-odds/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 2. Juli 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juli 2014