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AKTION/067: Dem Minister eine rostige Gabel (UBS)


unabhängige bauernstimme, Nr. 396 - Februar 2016
Eine Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Dem Minister eine rostige Gabel
Zivilgesellschaft und Bauern demonstrierten gemeinsam für eine Agrarwende am 16. Januar 2016 in Berlin

Von Marcus Nürnberger


Der Potsdamer Platz füllte sich. Immer mehr Menschen strömten aus verschiedenen Richtungen auf den Platz mit der ersten Ampel Europas und versammelten sich vor der großen Bühne. Hier spielten schon die Musiker der IG Blech, um die immer zahlreicher werdenden Demonstranten zumindest akustisch zu wärmen. Ein Raunen ging durch die Menge, als die Treckerkolonne eintraf. 130 Bäuerinnen und Bauern waren mit ihren Traktoren nach Berlin gekommen, um ein Zeichen für eine bäuerliche Landwirtschaft zu setzen. Auf ihrem Weg vom Stadtgut Blankenfelde, wo traditionell übernachtet wird, zum Potsdamer Platz stoppten sie am Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL). Umringt von Bäuerinnen und Bauern musste sich der BMEL-Vertreter die Forderungen der Demonstranten anhören. "Respekt statt Mitleid" hatten diese auf ein Banner geschrieben. Sie seien nicht hier, um für bessere Preise zu streiten. "Diese zu garantieren", so Georg Janßen, Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, "ist nicht die Aufgabe des Bundeslandwirtschaftsministeriums." Dennoch sei auch das Ministerium, mit seiner auf eine Steigerung der Exporte ausgerichteten Strategie, für die derzeitige Krise der Betriebe verantwortlich. Man müsse sich überlegen, mit wem und für wen man Politik machen wolle. Es reiche eben nicht, wenn sich der Bundeslandwirtschaftsminister als Moderator betätige und die unterschiedlichen Akteure und Interessensgruppen zum Gespräch einlade, ohne eine eigene Vision vorzustellen. "Ist die Zivilgesellschaft unser Partner oder ist es die Agrarindustrie?" fragte Janßen und antwortete direkt: "Wir haben uns für die Zivilgesellschaft entschieden!" Dem BMEL-Mann überreichten die Bäuerinnen und Bauern eine rostige Mistgabel. Zur Mahnung.


Ruinöse Preise

Deutlich benennt auch Ottmar Ilchmann, Milchbauer aus Ostfriesland, in seiner Rede am Potsdamer Platz die Ursachen der ruinösen Preise für Milch und Schweine. "Die Agrarpolitik in Berlin und Brüssel ist verantwortlich für die Rahmenbedingungen, die zu Überproduktion und Erzeugerpreisen deutlich unter den Produktionskosten führen. Dabei zerstören Agrarexporte zu Dumpingpreisen für den Weltmarkt bäuerliche Strukturen und regionale Märkte für Bauern hier und in der ganzen Welt. Die Bundesregierung muss jetzt umsteuern, damit es sich für Bauern lohnt, gute Lebensmittel für den heimischen Markt zu produzieren."

Fast gleichzeitig macht auf einer Pressekonferenz Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt deutlich, was er von einer Ausrichtung auf eine bäuerliche, nachhaltige Landwirtschaft hält. "Ich muss diejenigen enttäuschen, die der Meinung sind, man könnte Landwirtschaft in ihrer Intensität nicht mehr weiter betreiben." So verklausuliert drückt er sich aus, der Bundeslandwirtschaftsminister, und lädt zum nächsten Exportgipfel ein, um, wie er verspricht, durch eine Intensivierung der Landwirtschaft in Deutschland den Hunger auf der Welt zu stillen.


Offensive Exportförderung

Ganz auf einer Linie dürfte Schmidt dabei mit dem Deutschen Bauernverband liegen. Dessen Präsidium hat auf einer Sitzung anlässlich der Grünen Woche die Bedeutung des Agrarexportes für die heimische Landwirtschaft betont. Zwar betrüge der Absatzanteil der deutschen Landwirtschaft in Drittländer nur fünf Prozent, gegenüber 75 Prozent innerhalb Deutschlands und rund 20 Prozent innerhalb der EU. "Dennoch ist der Export von Agrarprodukten zu einem wirtschaftlichen Eckpfeiler geworden, der Absatzmärkte schafft und Schwankungen im heimischen Markt ausgleicht", stellt der Verband fest und fordert eine offensivere Exportförderung.

Dass dies nicht funktioniert, ist längst bewiesen. Der Weltagrarbericht zeigt, dass es dezentrale Strukturen vor Ort braucht, um den Menschen Arbeit und Nahrung zu geben. Es gilt, die bäuerliche und kleinbäuerliche Landwirtschaft weltweit zu unterstützen und nicht neue Abhängigkeiten durch weltweite Warenströme von Cash Crops zu etablieren, die nur rechnerisch dazu in der Lage sind, die Menschen zu ernähren, die Situation der Bevölkerung vor Ort aber nicht verbessern.

Auch das Umweltbundesamt (UBA), das einen Entwurf für ein nationales Programm für nachhaltigen Konsum erarbeitet hat, der noch abgestimmt wird und im Frühjahr ins Kabinett gehen soll, zeigt auf, dass es eines Umdenkens in der Agrarpolitik bedarf. In einem Interview mit dem bayerischen Rundfunk betonte die Präsidentin des UBA, Maria Krautzberger: "Wir müssen sehen, dass bei den Produkten, die aus dem konventionellen Landbau kommen, Umweltkosten nicht eingepreist sind. Und diese Umweltkosten zahlen wir als Steuerzahler an anderer Stelle." Ganz konkret schilderte sie die Nitratbelastung des Grundwassers in Folge hoher Gülleeinträge. "Die Wasserversorger [müssen] all das herausfiltern, und wir zahlen dann den Preis dafür über die Wasserrechnung, aber nicht über die Produkte." Die europäische Agrarförderung müsse sich zukünftig stärker an den Umweltstandards orientieren und öffentliches Geld nicht für umweltbelastende Produktionen ausgeben, so die Präsidentin des UBA.


Wir machen Euch satt

Während auf der Demonstration "Wir haben es satt" vor allem die industrielle Tierhaltung, der Einsatz von gentechnisch veränderten Pflanzen und von Glyphosat als Totalherbizid in der Kritik standen, setzte eine Gruppe von ca. 500 Bauern bei einer parallel stattfindenden Demonstration auf dem Washingtonplatz vor dem Berliner Hauptbahnhof ganz andere Schwerpunkte. Unter dem Motto "Wir machen Euch satt" versuchten die mit gelben Warnwesten bekleideten Bäuerinnen und Bauern mit den Passanten ins Gespräch zu kommen. "Wir wollen zu einem sachlichen Dialog zurückkehren", sagte Klaus-Peter Lucht, Bauer und Vizepräsident des Bauernverbands Schleswig-Holstein. "Wir haben in Deutschland immer noch eine bäuerliche Landwirtschaft, die angeprangerten Agrarfabriken gibt es nicht." Vielleicht eine Frage der Sichtweise - für viele Menschen, auch Bauern, sind Mastanlagen mit 100.000 und mehr Hähnchen oder 2.000 bis 6.000 Mastschweinen schon lange nicht mehr bäuerlich, sondern industriell.

Dass seit nunmehr sechs Jahren immer wieder Anfang Januar Zehntausende trotz eisiger Kälte für bessere Lebensmittel und eine nachhaltige, umweltverträgliche Landwirtschaft auf die Straße gehen, sich für faire Handelsbeziehungen mit den Ländern des Südens und den Produzenten weltweit stark machen, ihre Ablehnung von Gentechnik, Glyphosat und industrieller Tierhaltung kundtun, sollte langsam auch die zuständigen Politiker zum Umdenken bewegen. Es ist an der Zeit, eine offene Diskussion über die notwendige Struktur einer umweltverträglichen Zukunftslandwirtschaft zu führen.

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Quelle:
unabhängige bauernstimme, Nr. 396 - Februar 2016, S. 3
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2016

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