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BERICHT/088: Zum "Kritischen Agrarbericht 2010" - Teil 1, Fakten und Forderungen (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 155 - April/Mai 2010
Die Berliner Umweltzeitung

Kritischer Agrarbericht 2010
Fakten und Forderungen (Teil 1)

Von Jörg Parsiegla


Mit dem Kritischen Agrarbericht veröffentlicht das Agrarbündnis seit 1993 jährlich eine Zusammenfassung der agrarpolitischen Debatte, wie sie in dieser Breite sonst nirgendwo behandelt wird. Das Agrarbündnis ist ein Zusammenschluss von derzeit 24 unabhängigen Organisationen aus Landwirtschaft, Natur- und Tierschutz sowie Verbraucher- und Entwicklungspolitik mit insgesamt mehr als einer Million Einzelmitgliedern.

In 47 Beiträgen von Autor/-innen aus Wissenschaft und Praxis sowie aus Verbänden und Politik werden die agrarpolitischen Geschehnisse des Vorjahres analysiert und Weichenstellungen für die Zukunft diskutiert.


Schwerpunkt Boden

Schwerpunkt des diesjährigen Berichts ist das Thema Boden: "die primäre Ressource aller Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion - lebenswichtig, letztlich unersetzbar und doch seit Jahrzehnten vernachlässigt", wie es im Editorial heißt.

So gehen zum Beispiel jedes Jahr durch Erosion pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche im Durchschnitt zehn Tonnen Boden verloren - das ist fünfmal mehr, als im gleichen Zeitraum neu gebildet wird. Auf landwirtschaftlich intensiv genutzten Flächen degradieren die Böden weiter, und ihre natürliche Fruchtbarkeit nimmt (durch mineralische Düngergaben allenfalls kaschiert) beständig ab.

Und noch eine erschreckende Zahl: Jeden Tag gehen bundesweit mehr als 100 Hektar landwirtschaftlich genutzter Böden durch Siedlungs- und Verkehrsflächen verloren - das ist jährlich etwa ein Gebiet von der Fläche Dresdens oder Bremens und alle sieben Jahre eine Fläche so groß wie das Saarland!

Die heutige industrielle Landwirtschaft hat längst die Bodenhaftung verloren und gehört mit zu den Hauptverursachern der fortschreitenden Bodendegradation, also der meist irreparablen Schädigung einer oder mehrerer Teilfunktionen des Bodens.

Aber einfache Lösungen hin zu einer nachhaltigen Bodenbewirtschaftung gibt es nicht. So dient bspw. die als besonders bodenschonend angesehene konservierende, pfluglose Bodenbearbeitung zwar dem Bodenschutz, sie zieht jedoch auch einen erhöhten Pestizideinsatz nach sich. Es kommt also auf eine ganzheitliche Sichtweise auf den Boden an, die seiner Komplexität gerecht wird. Deshalb ist dringend die Ergänzung immer neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse durch bäuerliches Erfahrungswissen geboten.


Liebig mit Langzeitwirkung

Durch die Pflanzenminerallehre Justus von Liebigs (1803 bis 1873) wurde der ganzheitliche Ansatz nach und nach verdrängt, und es entstand die heute noch vorherrschende, rein chemische Sichtweise der Pflanzenernährung, bei der die angebaute Kultur ihre Hauptnährstoffe fast ausschließlich über den (wasserlöslichen) Dünger erhält. Durch die alleinige Konzentration auf Ertragssteigerung der Produktion (ohne Berücksichtigung ihrer Nachhaltigkeit) und durch billige Verfügbarkeit der chemischer Düngemittel wurde die Landwirtschaft schließlich abhängig von der Düngemittelindustrie.

Andere Schieflagen rund um die Bodensituation sind neueren Datums. So wie sich Forschung und Lehre zunehmend von der landwirtschaftlichen Praxis entfernen, steigt das Interesse am Boden als Kapitalanlage. Dabei wird übersehen, dass der Boden im Gegensatz zu anderen Kapitalgütern wie Gebäuden und Maschinen nicht einfach verbraucht und abgeschrieben werden kann. So befindet sich jeder Bauer beziehungsweise jede Bäuerin im Hinblick auf die finanzielle Wirtschaftlichkeit seines/ihres Betriebs in einem Konflikt mit dem eigenen Boden: Einerseits müssten sie das Maximale an Ertrag herausholen, andererseits aber die natürlichen Grenzen erkennen und akzeptieren.


Boden- und Klimaschutz

Seit 1999 ist in Deutschland das Bodenschutzgesetz in Kraft. Bodenschützer allerdings beurteilen die darin festgelegten landwirtschaftlichen Maßnahmen zur "guten fachlichen Praxis" als unzureichend. Fehlende Indikatoren und Kontrollinstanzen ließen kaum Einfluss auf eine bodenschützende Landwirtschaft zu.


Auch auf europäischer Ebene ist

ein Umdenken in Sachen Bodenschutz kaum auszumachen. Zu gut ist die Förderpolitik der EU in Erinnerung, die jahrzehntelang eine bodenzerstörerische Landwirtschaft unterstützt hat - zum Beispiel mit den Prämien für Maisanbau, dem daraufhin zahlreiche Grünlandflächen zum Opfer fielen.

Große Aufmerksamkeit erfährt der Boden in letzter Zeit durch die Klimaforschung. Zum einen kommt es darauf an, dass der in der organischen Substanz des Bodens gebundene Kohlenstoff (als Folge unsachgemäßer Bewirtschaftung) nicht in die Atmosphäre gelangt, zum anderen kann durch bestimmte landwirtschaftliche Maßnahmen die Speicherkapazität des Bodens erhöht werden. Der Abschlussbericht des europäischen Projekts CLIMSOIL räumt in diesem Zusammenhang der Extensivierung, dem Anbau von Untersaaten und Dauerkulturen sowie vor allem dem Wiederaufbau von organischer Substanz in den Ackerböden Potential ein.

Den vielleicht wichtigsten Aspekt zum Thema bringt die Kasseler Autorin im Universitätsdienst, Dr. Birgit Wilhelm, ein: "Die Bäuerinnen und Bauern müssen mitdiskutieren, wenn es um Boden- und Klimaschutz geht.

Nur eine Wertschätzung und Einbeziehung des vorhandenen bäuerlichen Bewusstseins bringt den Fortschritt und die Forschung in Einklang mit einer nachhaltigen Landwirtschaft." (S. 124 ff.)


Ökolandbau contra Bodenerosion

Der ökologische Landbau führt durch seine spezifische Form der Bodenbewirtschaftung zu deutlich geringeren Bodenabträgen als der konventionelle. Das liegt vor allem am geringeren Anteil von Reihenkulturen wie Mais, Zuckerrüben oder Kartoffeln, aber auch am Anbau von Kleegras, dem eine starke erosionsmindernde Wirkung zugeschrieben wird - so sollte zum Beispiel in erosionsgefährdeten Gebieten ein Anteil von 20 Prozent Kleegrassaaten in der Fruchtfolge nicht unterschritten werden.

Auch die fehlende oder geringere Zufuhr von dispergierenden Düngersalzen und von Pflanzenschutzmitteln schützt den Boden. Dafür wird im Ökolandbau in höherem Maß als im konventionellen Stallmist eingesetzt. Dieser erhöht die Aggregatstabilität und die Durchporung und trägt somit ebenfalls zur Reduzierung des Bodenabtrags bei. Die oft nachgewiesene Erhöhung des Humusgehalts durch ökologischen Landbau wirkt eher gering auf die Bodenerosion.

Andererseits ist die Intensität der Bodenbearbeitung im Ökolandbau vergleichsweise hoch, wodurch immer wieder abtransportfähiges Material an der Oberfläche entsteht und die Bodenbedeckung insgesamt vermindert wird. Um diesen der Bodenerosion eher förderlichen Faktoren zu begegnen, sollten Verfahren der konservierenden Bodenbearbeitung auch für den Einsatz im ökologischen Landbau weiterentwickelt werden. (S. 89 ff.)


Bodenfruchtbarkeit und Ökolandbau

Eines der wichtigsten Prinzipien des Ökolandbaus überhaupt ist die Erhaltung der natürlichen Bodenfruchtbarkeit - im Gegensatz zur konventionellen Bewirtschaftung, die die angebaute Kultur mittels Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden künstlich am Leben erhält.

Eine unverzichtbare Rolle spielt hierbei die organische Substanz im Boden, das heißt die Summe der Pflanzenwurzeln, der Bodenflora und -fauna und der Pilze sowie der abgestorbenen und von Bodenorganismen umgewandelten pflanzlichen und tierischen Bestandteile (Humus). Durch Gründüngung, Kompostgaben, jede Form organischen Düngers und Einarbeitung von Ernteresten wird organische Substanz im Boden aufgebaut und die natürliche Bodenfruchtbarkeit gefördert.

Die weitere Verfahrensweise fasst der Freisinger Autor und Pionier des Ökolandbaus, Josef Braun, kurz und treffend zusammen: "Für die Bodenphysik oder die Lockerheit ... des Bodens benötige ich Tiere und Pflanzen im Boden, vorneweg die Regenwürmer. Da kann ich durchaus mal einen Pflug nehmen ... im August, wenn der Boden trocken ist und die Regenwürmer unten sind... Und dann möglichst ... mit einem Zwei-Schichten-Pflug arbeiten... Dann kann man auch mal mineralisch düngen, nicht wasserlöslichen Dünger, sondern ... Gesteinsmehle, die ich in den Mistkompost gebe." (S. 133 ff.)


Gibt es einen Mittelweg?

Einen echten Wandel hin zum Ökolandbau wird es nach Ansicht des zitierten Autors erst geben, wenn kommerzielle Zwänge entstehen, wenn etwa Energie teurer wird oder wenn bspw., wie vor zwei Jahren, die Stickstoffpreise explodieren.

Einen Mittelweg zwischen konventioneller Landwirtschaft und Ökolandbau gebe es nicht. Dazu seien die Systemvoraussetzungen zu verschieden: auf der einen Seite der Ansatz, die Natur beherrschen zu wollen - auf der anderen der Weg hin zur Partnerschaft mit der Natur.

In Teil 2 im nächsten RABEN RALF wird es um den Wert der Grünlandbewirtschaftung und um alternative Eigentumsformen an Grund und Boden gehen.


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Quelle:
DER RABE RALF - 21. Jahrgang, Nr. 155, April/Mai 2010, Seite 12
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2010