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BERICHT/108: Eindrücke aus einer Erkundung des US-Milchmarktes in Oregon (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 339 - Dezember 2010
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Wir haben unsere Nische gefunden
Eindrücke aus einer Erkundung des US-Milchmarktes an der Westküste in Oregon

Von Andrea Fink-Kessler


Keine Milchquote, gigantisch große Milchbetriebe und ein wildes, unberechenbares Spiel freier Marktkräfte - diese Bilder erscheinen schnell, wenn vom US-amerikanischen Milchmarkt die Rede ist. Eine Reise in den Bundesstaat Oregon gab mir die Gelegenheit, mit Milchbauern und dem Vertreter einer regional ausgerichteten Molkerei zu sprechen, das Milchangebot in den Supermärkten zu studieren und Erkundungen über die Organisation des Milchmarktes einzuholen. Nachfolgender Bericht gibt eine kurze Zusammenfassung, für mich unerwarteter Aspekte dieses eigentlich unbekannten Marktes und Landes.


Eine Quote - das wäre nicht schlecht

Mein Weg führt von der bezaubernden Pazifikküste ein paar Meilen weit hoch in die angrenzenden Berge. Es regnet wie aus Kübeln und die 100 Jerseykühe suchen Schutz am Waldrand der Weide. Ich treffe Al und Tom Johnson und ihre Mutter Lucy. Als Lucy und ihr Mann 1959 diesen Betrieb nahe North Bend übernahmen, gab es noch 15 Betriebe in nächster Umgebung. Nun sind sie der einzige. 280 Milchviehbetriebe sind es noch in Oregon, das in etwa die Größe der Bundesrepublik hat, zu zwei Dritteln im Landesinnern aber aus Wüste und Bergen besteht. 100 Milchkühe, das ist immer noch der typische Familienbetrieb in den USA. 1986 haben die beiden Brüder beschlossen, den elterlichen Milchviehbetrieb gemeinsam weiterzubetreiben. Tom arbeitet zusätzlich im Forst. Al hingegen war "schon immer auf dem Hof". Dieser ernährt nun drei Familien. Vor knapp drei Jahren haben sie auf biologische Landwirtschaft umgestellt. Weniger aus Überzeugung - der Anstoß kam von der Molkerei. Die hatte ihre konventionelle Linie eingestellt und produziert jetzt nur noch Bio-Milchpulver, das sie nach New Jersey verkauft. "Uns war das Risiko zu groß, dass wir ganz aus dem Markt fliegen, wenn wir weiterhin konventionell wirtschaften", erklärt Al. 50 Cent Aufschlag gibt es pro Gallon (ca. 3,8 Liter), dafür, dass sie dieser Molkerei treu bleiben und nicht zur Konkurrenz von "Organic Valley" den in jedem Supermarkt vertretenen Platzhirsch unter den Biomilchanbietern, wechseln. Das geht per Handschlag. Verträge gibt es nicht und jederzeit könnten sie die Molkerei wechseln, wenn es noch eine in erreichbarer Nähe gäbe. Mit dem Preis - Basispreis plus Qualitätszuschlag - sind sie zufrieden, denn er blieb weitgehend stabil, obwohl auch die Biobetriebe von der Preiskrise im Juli 2009 schwer getroffen worden sind. "Eine Quote, das wäre perfekt, das würde uns Kleinen helfen", meint Tom. Stärker als Europa haben die USA infolge der GATT-Verhandlungen ihre internen Preisstützungen abgebaut und durch andere Instrumente ersetzt. So wird derzeit mit mehreren Milchkuh-Aufkaufaktionen versucht, den Milchpreis zu stabilisieren. Da auch nur Teile der Herde in dieses Aufkaufprogramm gegeben werden können, bedeutet das nicht zwangsläufig eine Betriebsaufgabe. Im Gegensatz zur Inanspruchnahme der "Herdenrente", die die privatwirtschaftliche Initative "Cooperative Working together-cwt" der Milcherzeugervereinigung anbietet. Bis zur Bioumstellung haben die beiden Brüder umgerechnet 0,22 Cent pro kg produzierter Milch einbezahlt, um zu gegebenem Zeitpunkt eine solch Abschlachtprämie in Anspruch nehmen zu können. Der Preisverfall 2009 hat gerade die großen Betriebe mit mehr als 1.000 Kühen z.B. in Kalifornien und New Mexiko - als Folge ihre starken Abhängigkeit vom Kapitaldienst und den Futterkosten - in extreme Schwierigkeiten geraten lassen. Ein Farmer hätte zuerst die Kühe und dann sich erschossen, berichten die Brüder, und die staatlichen Einkommenshilfen des Milk Income Loss Contract MILC kommen vorrangig den Familienbetrieben zugute. Über dieses Programm wird 45 Prozent der Differenz zwischen einem bundesweit fixierten Zielpreis (die Futterkosten-Milchpreis-Relation wird neuerdings berücksichtigt) und dem aktuellen Milchpreis (Class 1 Boston) an die Erzeuger ausbezahlt. Aber nur für die 1,35 Mio kg abgelieferter Milch. Damit liegt die Deckelung bei rund 130 bis 150 Milchkühen und entsprechend scharf kritisiert wird das Programm seitens der großen Milcherzeuger.

Tom ist neu in den Vorstand des Oregon-Milcherzeugerverbandes gewählt worden. Bio- und konventionelle Milcherzeuger. haben doch viele gemeinsame Probleme, erklärt er mir: vorneweg die aus ihrer Sicht völlig überzogene Umweltgesetzgebung, die nur den Strukturwandel vorantreibt. Dabei sind es doch die großen Betriebe, die die Umweltprobleme durch ihre Gülle und klimarelevanten Stickoxidemissionen verursachen. Die Investitionen brechen uns kleinen das Genick und fördern dann nur diejenigen, die an der Misere Schuld sind. Subventionen für den Erhalt des Grünlandes? Beide verstehen mich zunächst gar nicht - wovon ich überhaupt spreche. Höchstens wenn wir das Ganze hier in ein Naturschutzgebiet mit Niedermoor in der Senke umwandeln würden, erklärt mir Al.


Wir haben unsere Nische gefunden

Am nächsten Tag bin ich mit Tom Nieradka von der Alpenrose Molkerei in Portland verabredet. Tom ist Produktionschef, der 1916 aus einem direktvermarktenden landwirtschafltichen Betrieb hervorgegangene Alpenrose-Molkerei. Heute verarbeiten 150 Beschäftigte rund 25 Mio kg Milch im Jahr, außer garantiert rbst-freier Trinkmilch zu Sour Cream (Schmand) und Hüttenkäse und vor allem aber zu Speiseeis. Ich will endlich wissen, wie der Milchpreis in den USA zustande kommt. Die beiden Brüder in North Bend konnten es mir nicht erklären. "Nobody knows" antworteten sie lachend. Ich denke, hier in der Alpenrose-Dairy, die müssen das wissen. Und wieder bekomme ich die gleiche Antwort "nobody knows" - das wird einfach festgelegt von der FMO (Verwaltungsstelle der Bundesmilchverordnung, Federal Marketing Organisation) - einer hoch bürokratisch organisierten staatlichen Organisation, die seit 1937 als Überbleibsel aus der New Deal-Wirtschaft rund 80 Prozent der US-Milch in elf Vermarktungsregionen "erfasst" bzw. Preisegestaltung der Milchhändler und Verarbeiter in den jeweiligen Regionen kontrolliert. Grob gesagt klassifiziert die FMO die von den Verarbeitern und Händlern gemeldeten Milchverkäufe je nach ihrer Verwendung, ermittelt die jeweiligen Mindestpreise für Trinkmilch und für die verarbeiteten Produkte, leiten Mischpreise ab und fixiert diesen als Minimum-Preis, den die Verarbeiter den Genossenschaften bzw. Milchbauern bezahlen müssen. Dieser Preis fließt auch in die Berechnung des MILC ein.

Tom zuckt mit den Schultern. Unterhalb dieses Preises können wir nicht gehen; Wir haben natürlich auch Vorteile: Wir sind ja eine unabhängige Molkerei, d.h. wir haben keine Verträge mit Bauern. Da wir im Pool-System integriert sind, können wir soviel Milch beziehen, wie wir brauchen, und müssen uns nicht um die Erzeugungsebene kümmern. Die in "seinem" FMO-Pool befindlichen Kooperativen kaufen dann die gewünschte Milch aus anderen Regionen zu. Molkereien mit eigener Milcherzeugerbasis sind oftmals nicht im Pool und können ihre Auszahlungspreise gestalten, wie sie wollen. Überschreiten sie aber eine bestimmte Verarbeitungsmenge, müssen sie bei der FMO mitmachen, ob sie wollen oder nicht. Das soll verhindern, dass Molkereien dieses Preissystem unterlaufen. Nicht im Pool ist die Biomilch, die die Alpenrose-Dairy von drei Farmen abnimmt. Das sei eine win-win-Situation, meint Tom. Wir geben einen guten Preis und bekommen auf dem Markt ebenfalls einen guten Preis. Ansonsten sei mit Frischmilch nichts zu verdienen, die großen Supermarktketten drücken die Margen für die Verarbeiter bis unter die Schmerzgrenze. Wirtschaftlich getragen wird die kleine Molkerei vom Eis-Verkauf an die 180 Franchise-Nehmer der bekannten Baskin Robbins-Eisläden. Vor allem aber lebt sie von ihrem Ruf, regionale und frische Qualitätsmilchprodukte zu erzeugen. Gut läuft daher ihr Geschäft mit kleinen unabhängigen Ladenketten in Portland, wie zum Beispiel den neun inhabergeführten "New Season"-Läden. So wie die Molkerei setzen auch sie auf den gerade in Portland schon zum Mainstream gewordenen Trend des "regional, natural und organic". Molkerei und Kunden treffen sich in dieser Nische. Und auf allen Ebenen geht das immer noch vorrangig per Handschlag. Besser wäre es, so Tom abschließend, der Staat würde seine Hände aus dem Spiel lassen. Dann könnte ein guter Wettbewerb stattfinden.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 339 - Dezember 2010, S. 6-7
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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Abonnementpreis: 36,00 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Januar 2011