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BERICHT/121: Neuer Wind in Stuttgart und Mainz (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 345 - Juni 2011
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Neuer Wind in Stuttgart und Mainz

Das Programm von Grün-Rot und Rot-Grün und ihre Abgeordneten unterstützen die Reform-Ansätze der EU-Kommission


Seit Mai regieren in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz Koalitionen aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Unter den neuen Abgeordneten finden sich einige Menschen mit landwirtschaftlichem Hintergrund, zum Teil auch Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL).

In Baden-Württemberg wurde Mitte Mai der erste grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann gewählt. Auch für die Landwirtschaft könnte damit ein neuer Wind im Ländle wehen. In ihrem Koalitionsvertrag vereinbarten beide Parteien, den Ansatz von EU-Kommissar Dacian Ciolos zur "Begrünung" der Direktzahlungen in der 1. Säule zu unterstützen. Auch die Einführung einer Deckelung der Direktzahlungen für Großbetriebe mit wenigen Arbeitskräften unterstützt die Stuttgarter Koalition. "Dabei dürfen aber weder die "2. Säule" noch die Nettozahlerposition verschlechtert werden", schreiben sie in ihrem Koalitionsvertrag. Zudem sprechen sie sich dafür aus, dass es auch nach 2020 "eine Grundsicherung gegen extreme Preisschwankungen und für den Ausgleich höherer Standards in der EU geben" soll, womit wohl Direktzahlungen gemeint sind. Schon ab 2014 sollen die Finanzierungssätze der EU für solche Fördermaßnahmen der zweiten Säule wie Kulturlandschaftspflege, Erhalt und Verbesserung der Biodiversität, Gewässer- und Klimaschutz und Bewirtschaftungssicherung in benachteiligten Gebieten erhöht werden.


Landmenschen in der Politik

Der neue Minister für Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz in Baden-Württemberg ist Alexander Bonde von den Grünen. Zuletzt war er Abgeordneter des Deutschen Bundestages und Landesvorstand von Bündnis 90/ Die Grünen Baden-Württemberg. Schwerpunkte seiner politischen Arbeit sind Haushaltspolitik (u.a. Agrarhaushalt) und Wirtschaft. Unter dem Motto: Die Landwirtschaft stark für die Zukunft machen, legt er den Schwerpunkt seiner neuen Arbeit auf die Unterstützung des EU-Vorschlags zur GAP Reform und die Verbesserung der Marktchancen im ökologischen Landbau. Sein Ministerium will sich dafür einsetzen, über betriebliche Entwicklungen und Einkommensdiversifikation möglichst viele wettbewerbsfähige Betriebe zu erhalten. "Ein zentrales Anliegen ist uns, die Marktposition der Landwirtschaft in der Lebensmittelkette zu stärken", so seine Pressesprecherin.

Als ausgewiesener Fachmann auf dem Gebiet Landwirtschaft gilt Wolfgang Reimer, bisheriger Leiter der Unterabteilung Landwirtschaft im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher (BMELV). Er wird Amtschef im Stuttgarter Agrarministerium. Mit seiner Frau betreibt er einen landwirtschaftlichen Betrieb im baden-württembergischen Hohenlohe. Renate Künast holte ihn 2001 ins Bundesministerium und gab ihm die Zuständigkeit für Strukturpolitik, ländliche Entwicklung und Ökolandbau. Er verfügt damit über umfangreiche Verwaltungserfahrung. Vor seiner Bonner Zeit war er als Berater für die Grünen im Stuttgarter Landtag tätig. Als Agrarpolitiker ist Wolfgang Reimer weit über die Grenzen Baden-Württembergs bekannt, seinen agrarpolitischen Ursprung hat er in der AbL, die er zwei Jahrzehnte lang mitgeprägt hat.


Politik für Bauern

Aus dem Wahlkreis Freiburg wurde der Biolandwinzer Reinhold Pix als Abgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen gewählt. Die Themen des ausgebildeten Forstwirts im Landtag sind Verbraucherschutz, Tourismus, Wald, Wild und Wein. Er ist Mitglied im Ausschuss Ländlicher Raum und Landwirtschaft. Pix setzt sich für lückenlose Produktinformationen und gentechnikfreie Nahrungsmittel ein.

Aus dem Bodenseekreis ist Martin Hahn, Demeterbauer und Abler, für die Grünen in den Landtag eingezogen. Er betreibt auf seinem Hof in Überlingen hauptsächlich Milchviehhaltung, Gemüseanbau und Streuobst. In seinem Wahlprogramm plädiert er dafür, mittelständische Landwirte zu erhalten, anstatt mit immer mehr Subventionen die Lebensmittelindustrie und den Zwischenhandel zu subventionieren. "Wir wollen Lebensmittel mit Wert und Geschmack", so Hahn.

Ein offenes Ohr für die Belange der Milchbauern und die Forderungen der AbL hat auch Bernd Murschel. Der Diplom-Agraringenieur ist seit 2006 Landtagsabgeordneter der Grünen in Baden-Württemberg und Mitglied im Ausschuss Ländlicher Raum und Landwirtschaft. In seinem Wahlkreis Leonberg-Herrenberg nahe Stuttgart kämpft der Hobbygärtner unter anderem gegen Gentechnik, für Nulltoleranz bei Saatgut und für die Stärkung des ländlichen Raums.

Aus dem Kreis Vaihingen kommt der grüne Landtagsabgeordnete und Experte in Sachen Streuobst, Dr. Markus Rösler. Der Sprecher des NABU-Bundesfachausschusses Streuobst ist Schriftleiter des NABU-Streuobstrundbriefes und vertritt den Naturschutzbund auf nationaler und internationaler Ebene. Seine Hauptaufgabenfelder sind der Natur- und Umweltschutz, die Land-, Forst- und Wasserwirtschaft, Tourismus sowie Ernährung und Verbraucherschutz.


Pfalz gegen Gentechnikforschung

Auch in Rheinland-Pfalz steht die neue Koalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit Ulrike Höfken als neuer Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft und Ernährung. Ebenso wie im Süden unterstützen auch hier die Parteien im Rahmen der anstehenden Reform der EU-Agrarpolitik "die Zielsetzung der EU-Kommission, ein "Greening" der Agrarförderung, Kappungsgrenzen unter Berücksichtigung der Arbeitskräfte und eine Stärkung der zweiten Säule vorzusehen".

Das Bundesland, in dem der Agrochemiekonzern BASF seinen größten Produktionsstandort hat, will "keine anwendungsbezogene Agro-Gentechnik-Forschung fördern" und den "Schutz vor negativen Auswirkungen der Gentechnikforschung - insbesondere der Auskreuzung gentechnisch veränderter Organismen - verbessern. Die Koalition in Rheinland-Pfalz spricht sich weiterhin gegen den Anbau von Gentechnik und für einen Schutz gentechnikfreier Erzeugung aus. "Wir wollen die Gentechnikfreiheit der rheinland-pfälzischen Land- und Lebensmittelwirtschaft als Marktchance erhalten und nutzen", so die neue Koalition. Allerdings betont sie "Chancen bei der Anwendung der Gentechnik außerhalb der Freisetzung von lebenden gentechnisch veränderten Organismen". Rot-Grün äußert sich in dem Koalitionspapier auch zur Milch. Die Parteien wollen das Marktstrukturgesetz beibehalten und die Bündelungsmöglichkeiten von Erzeugergemeinschaften auf EU-Ebene ausbauen. Gewollt sind bessere Strukturen für Verarbeitung, Vermarktung und Verbraucherinformation.


Staatssekretär Griese

Das Amt des Staatssekretärs für Umwelt und Landwirtschaft in Rheinland-Pfalz besetzt nunmehr Dr. Thomas Griese. Der Jurist und Bauernsohn aus Nordrhein-Westfalen war von 1995 bis 2005 Staatssekretär im Düsseldorfer Ministerium unter Ministerin Bärbel Höhn und kennt sich in seinen kommenden Aufgaben daher bestens aus. Er ist wie Wolfgang Reimer ein Gründungsmitglied der AbL und arbeitete zuletzt als Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht Köln und stellvertretendes Mitglied des Verfassungsgerichtshofes NRW in Münster. Ihn zog es in das neue Amt, weil er sich mit der Koalitionspolitik für eine umweltfreundlichere Landwirtschaft, die Gentechnikfreiheit als Marktvorteil und die tierschutzfreundliche Landwirtschaftsproduktion identifizieren kann, sagt Griese.

Ebenfalls AbL-Mitglied ist der neue Abgeordnete für die Grünen Rheinland-Pfalz im Mainzer Landtag Dietmar Johnen. Mit seiner Familie betreibt der Landwirt einen Hof in Großkampenberg. Zur Zeit stellt er seinen Betrieb von der Milchkuhhaltung auf Milchschafhaltung um. In Bezug auf die EU-Agrarreform betont er die sozial-ökologischen Vorschläge zur Verteilung der Direktzahlungen der AbL. "Die Strategie der AbL ist auch meine Arbeitsgrundlage", so Johnen. (mh)


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 345 - Juni 2011, S. 4
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2011