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BERICHT/181: Solidarische Landwirtschaft - Ein revolutionärer Weg (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 372 - Dezember 2013
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Ein revolutionärer Weg
Solidarische Landwirtschaft setzt auf Vertrauen, Kooperation und geteilte Verantwortung

von Marlene Herzog und Kathrin Lindner, junge AbL



Wenn Gunter Freytag auf den Acker geht, auf dem Spinat, Feldsalat, Lauch und Kohl wachsen, weiß er genau für wen er arbeitet. Die knapp über hundert Mitglieder der Initiative "Solawi-Rostock" zahlen den Beitrag, den die Produzenten der Wirtschaftsgemeinschaft für sich und die Bewirtschaftung der beiden Gärtnereien und der Schäferei benötigen. Die Mitglieder teilen wöchentlich die Gemüseernte und Erzeugnisse der Schäferei unter sich auf. Wer will, kann mitarbeiten und mitgestalten, Feste planen oder in anderer Weise mitmachen. Die Initiative im Rostocker Land gibt es seit Mai 2013. Sie gehört zu einer Bewegung, die weltweit immer mehr Anhänger findet.


Sich die Ernte teilen

Der ehemalige freiberufliche Baumpfleger, Gartenlandschaftsbauer und Planer für Abwasserkonzepte Gunter Freytag wollte in die Landwirtschaft, "aber weg vom größer, billiger und schneller". Deshalb hat er die Idee der Solidarischen Landwirtschaft (Solawi) gemeinsam mit einer weiteren Gärtnerei und einer Schäferei verwirklicht. Zusammen produzieren sie für ihre Mitglieder etwa 35 Gemüsesorten auf dem Acker und in vier Folientunneln. Dazu kommen verschiedene Kräuter, Blumen, Äpfel und die Produkte der Ziegen und Schafe wie Lammfleisch, Leber-, Brat-, Bock- oder Lungenwurst sowie Salami und Leberwurst. "Die Vielfalt der Produkte soll noch steigen", erzählt Freytag. "Wir denken da zunächst an Milchprodukte und in der weiteren Zukunft auch an Brot und andere Backwaren." Auf ihrer gemeinsamen Homepage informieren sie ihre Mitglieder über Anbauzeiten, Angebote, Termine und weitere Zukunftspläne. Nach der wöchentlichen Ernte werden die Produkte zu verschiedenen Verteilerpunkten in der Umgebung gebracht. Dort können die Mitglieder die Waren untereinander aufteilen. Für die Höfe entsteht durch diese Kooperation eine Planungssicherheit, die es den Landwirten ermöglicht, gesunde und qualitativ hochwertige Nahrungsmittel in angemessener Menge für die Gemeinschaft zu produzieren, so die Initiative. Dabei legen sie besonderen "Wert auf eine artgerechte Tierhaltung und einen bewussten, nachhaltigen Umgang mit der Natur und dem Boden. Dieser wird bei "Solawi-Rostock" zum Großteil mit Pferden bearbeitet. "Unser Ziel ist es, in der Bodenbearbeitung und Pflege der Gemüsekulturen vollständig auf den Traktor zu verzichten", sagt Freytag. Das Projekt "Solawi-Rostock" zeigt, dass solidarische Landwirtschaft nicht nur möglich, sondern auch erfolgreich im Sinne einer bäuerlichen Landwirtschaft und guter Lebensmittelproduktion sein kann. Für Freytag ist das wichtigste an der solidarischen Landwirtschaft, dass die Menschen wieder Zugang zu den Lebensmitteln und ihrem Land finden, um es für nachfolgende Generation zu erhalten. "Die Menschen fangen wieder an, das Land auf dem sie leben selbstverantwortlich zu gestalten", erzählt Freytag. "Das schafft eine Wertschätzung in der Gesellschaft für gesunde Lebensmittel, die Arbeit und die in der Landwirtschaft tätigen Menschen. Aber auch Verbindung, Achtsamkeit und Vertrauen der Menschen im Umgang miteinander und mit der Natur."


Ohne Wachstumszwang

Wie für Gunter Freytag ist für viele Menschen die Solidarische Landwirtschaft ein neuer Weg, um die bäuerliche Landwirtschaft zu erhalten. Um aus dem Konkurrenz- und Wachstumszwang auszubrechen und gesunde Lebensmittel zu produzieren. Seine Hofgemeinschaft gehört zu einer der 42 Solidarhöfe in Deutschland, von denen ein Großteil Mitglied im "Netzwerk Solidarische Landwirtschaft" ist. Anfang November traf sich die Bewegung auf dem "Naturerlebnishof Hausen" nahe Erfurt. Etwa fünfzig Bauern und Bäuerinnen, Verbraucher und Interessierte versammelten sich, um Erfahrungen auszutauschen, sich zu vernetzen und neue Pläne zu schmieden. Einen ganzen Nachmittag wurde in Gruppen zu den unterschiedlichsten Themen gearbeitet, geplant, beraten und erzählt z.B. die Gründung einer solidarischen Landwirtschaft, neuer Umgang mit Tieren und Erfahrungen über die Solidarische Landwirtschaft in ländlichen Räumen. Ebenso wichtig waren die Themen Beratung von Initiativen, was macht den Mehrwert einer Solawi aus und Vernetzung mit anderen Verbänden und Initiativen. Zum Thema Vernetzung leisteten auch Georg Janßen und Michael Grolm von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) einen Beitrag. Sie freuen sich auf eine Zusammenarbeit mit dem Solawinetzwerk und unterstützen die Bewegung. "Ich habe Respekt vor eurer Arbeit und bedanke mich dafür. Ihr engagiert euch aktiv für den Erhalt von Bauernhöfen. Und deshalb sage ich euch die Unterstützung und Zusammenarbeit mit der AbL zu!", sagte Janßen.


Infobox:
Solidarische Landwirtschaft (Solawi) gibt es in Deutschland seit den 1980er Jahren. Momentan gibt es etwa 42 Solawi Projekte in Deutschland. Solidarische Landwirtschaft ist ein Modell der Zusammenarbeit zwischen Erzeugern und Verbrauchern. Die Besonderheit: Eine Gruppe von Verbrauchern verbindet sich langfristig mit einem landwirtschaftlichen Betrieb. Die Gruppe finanziert gemeinsam die jährlichen Kosten des Hofes im Voraus und erhält im Gegenzug einen entsprechenden Anteil der Produkte des Hofes. So gestalten Verbraucher und Produzenten gemeinsam und teilen sich die Verantwortung für die Lebensmittelproduktion. Der Kunde ist kein Kunde im traditionellen Sinn, sondern eine Art "Mitfarmer". Solidarität und Vertrauen zeigen die Verbraucher den Landwirten durch Vorauszahlung der Beiträge und eine selbstbestimmte Beitragshöhe. Auch bei der Verteilung der Ernteanteile unter den Verbrauchern ist Vertrauen und Kooperation ausschlaggebend für ein gutes Gelingen. Durch die Solidarität unter den Verbrauchern ist es auch Menschen mit geringem Einkommen möglich, sich an einem Solawi Projekt zu beteiligen. Zentrales Ziel ist die Produktion qualitativ hochwertiger Lebensmittel, der Schutz gesunder Naturkreisläufe und der Erhalt einer kleinbäuerlichen, nachhaltigen Landwirtschaft außerhalb von Wachstumszwängen und Konkurrenzdruck. Zudem wird das Land für die Verbraucher zugänglich und erfahrbar. Diese Verbindung schafft Bezug und fördert die Wertschätzung in der Gesellschaft gegenüber den erzeugten Nahrungsmitteln und der Arbeit auf den Höfen.

Weitere Infos:
www.solidarische-landwirtschaft.org

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 372 - Dezember 2013, S. 17
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
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Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
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(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. März 2014