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BERICHT/196: Doppelte Bürde der Mangelernährung - Hunger und Fettleibigkeit weltweit verbreitet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. November 2014

Ernährung: Doppelte Bürde der Mangelernährung - Hunger und Fettleibigkeit weltweit verbreitet

von Gloria Schiavi


Bild: © UN Photo/Albert González Farran

Das Welternährungsprogramm finanziert Schulspeisungen in Haiti
Bild: © UN Photo/Albert González Farran

Rom, 25. November (IPS) - Nicht nur, dass jeden Tag etwa 805 Millionen Menschen hungrig zu Bett gehen müssen. Jährlich landen ungefähr 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel - ein Drittel der globalen Produktion - auf dem Müll. Wie paradox die Ernährungslage sein kann, zeigt sich noch deutlicher daran, dass zwei Milliarden Menschen an Mikronährstoffmangel leiden, während 500 Millionen Übergewicht haben.

Der erste Globale Ernährungsbericht, den die Weltagrarorganisation FAO im November nach einer Überprüfung durch unabhängige Fachkollegen ('Peer-Review') veröffentlicht hat, zeigt, dass Fehlernährung ein komplexes Problem ist.

"Die doppelte Bürde der Mangelernährung manifestiert sich dadurch, dass Fettleibigkeit und Unterernährung in ein und demselben Land nebeneinander existieren", sagt Anna Lartey, die Leiterin der FAO-Ernährungsabteilung. "Dies beobachten wir in vielen Staaten, die sich wirtschaftlich entwickeln und einen Wandel bei den Ernährungsgewohnheiten erleben."


Schlechte Ernährung erhöht Krebs- und Infarktrisiken

Regierungen und unabhängige Organisationen sind gezwungen, sich nicht nur mit dem Problem des Hungers, sondern auch mit dem der Überernährung zu befassen. "Während Jahr für Jahr nach wie vor fast 1,5 Millionen Frauen und Kinder infolge von Unterernährung sterben, treiben Übergewicht und Fettleibigkeit die Zahl der Fälle von Krebs, Herzerkrankungen, Schlaganfällen und Diabetes in die Höhe", so Francesco Branca, Direktor der Abteilung Ernährung für Gesundheit und Entwicklung bei der Weltgesundheitsorganisation WHO.

Die Lösung ist nicht allein in den Bereichen Wissenschaft, Gesundheit oder Landwirtschaft zu finden. Notwendig ist ein spartenübergreifender und multidimensionaler Ansatz, der auch Bildung, die Stärkung der Rechte von Frauen, Marktregulierung, technologische Forschung und vor allem politischen Willen einschließen muss.

Um sich mit diesem bisher ungelösten Problem zu beschäftigen, kamen Vertreter von Regierungen, multilateralen Institutionen, der Zivilgesellschaft und der Privatwirtschaft vom 19. bis 21. November am Hauptsitz der FAO in Rom zu der Zweiten Internationalen Ernährungskonferenz (ICN2) zusammen. Das erste Treffen hatte vor 22 Jahren stattgefunden.


Mangelernährung kommt Staaten teuer zu stehen

Mangelernährung hat Auswirkungen auf die körperliche Leistungsfähigkeit von Menschen, auf ihre Arbeit und auf die Art, wie sie Kinder großziehen. Der Globale Ernährungsbericht schätzt die Kosten der Mangelernährung auf etwa vier bis fünf Prozent des nationalen Bruttoinlandsprodukts. Präventionsmaßnahmen wären demnach kosteneffizienter.

Mit dem Ziel, die globale Ernährung durch die Implementierung evidenzbasierter Strategien und effizienter internationaler Kooperation zu verbessern, hat ICN2 zwei Dokumente erstellt, die Regierungen und Interessenvertretern helfen sollen, den richtigen Weg zu finden: die Rom-Erklärung zur Ernährung und einen Handlungsrahmen ('Framework for Action').

Auf der Konferenz wurden zudem eine bessere Überprüfbarkeit von Maßnahmen und eine stärkere Verankerung des Themas Ernährung in der Entwicklungsagenda für den Zeitraum ab 2015 gefordert.

Flavio Valente, der auf dem Treffen zivilgesellschaftliche Organisationen vertrat, merkte an, dass "das gegenwärtige hegemoniale Nahrungssystem und das agro-industrielle Produktionsmodell nicht nur ungeeignet sind, um die bestehenden Mangelernährungsprobleme anzugehen, sondern auch dazu beigetragen haben, unterschiedliche Formen der Mangelernährung hervorzurufen und unsere Ernährungsweise einseitiger zu machen." Andere Sprecher pflichteten Valente bei und hoben die negativen Auswirkungen hervor, die die Werbung für ungesunde Lebensmittel vor allem auf Kinder hat.


Multis planen Beschwerde gegen Chile vor WTO

Ein Teilnehmer aus Chile erklärte, dass die Charakterisierung von Fettleibigkeit als nichtübertragbare Krankheit irreführend sei, da sie sich rasch über die Medien ausbreite. Er berichtete, dass multinationale Unternehmen derzeit in Erwägung zögen, gegen Chile Beschwerde vor der Welthandelsorganisation WTO zu erheben, da die Regierung die öffentliche Gesundheit durch die Reglementierung von Werbung für bestimmte Nahrungsmittel schützen wolle.

Der ständige Vertreter Chiles bei der FAO, Luis Fernando Ayala Gonzalez, erklärte, dass in seinem Land 60 Prozent der Menschen übergewichtig seien. Statistisch gesehen würde in jeder Stunde ein Mensch an den Folgen von Fettleibigkeit sterben.

Königin Letizia von Spanien betonte in ihrer Ansprache die Verantwortung des privaten Sektors: "Es ist notwendig, darauf hinzuwirken, dass sich die wirtschaftlichen Interessen in Richtung der öffentlichen Gesundheit bewegen. Kein Land der Welt ist bisher in der Lage, die Epidemie der Fettleibigkeit in allen Altersgruppen umzukehren."

Auf der Konferenz wurde ein breiter Konsens über einen Aktionsplan und vorrangige Ziele erreicht. Von großer Bedeutung ist demnach die Aufklärung von Kindern und Müttern über gesunde Ernährung. Zudem sollten Anreize für das Stillen von Säuglingen gegeben werden, indem Frauen in den bezahlten Mutterschutz gehen und ihre Säuglinge am Arbeitsplatz stillen könnten.

Außerdem sollen die Rechte von Frauen, die im Agrarsektor arbeiten, gestärkt werden. Unterstützung für Kleinbauern und die Familienlandwirtschaft könnte den Zugang zu lokalen, frischen und saisonalen Produkten wie Obst und Gemüse verbessern. Damit ließe sich der Konsum von nährstoff- und vitaminarmen, jedoch kalorienreichen Fertiglebensmitteln verringern.

Initiativen wie das in Neuseeland durchgeführte Programm 'Obst in der Schule' führten in die richtige Richtung, vor allem wenn sie mit der Förderung von Sport und einer gesunden Lebensweise einhergingen, hieß es auf der Konferenz. (Ende/IPS/ck/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/11/the-double-burden-of-malnutrition/

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IPS-Tagesdienst vom 25. November 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. November 2014