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BERICHT/205: Kritischer Agrarbericht 2015 - Schwerpunkt Agrarindustrie und Bäuerlichkeit (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 184 - Februar/März 2015
Die Berliner Umweltzeitung

Kritischer Agrarbericht 2015
Schwerpunktthema: Agrarindustrie und Bäuerlichkeit

Von Volker Voss


Der seit 1993 jährlich erscheinende Kritische Agrarbericht ist aus der Grünen Woche nicht mehr wegzudenken, ist er doch ein aufmüpfiges Gegenstück zu den offiziellen Verlautbarungen. Pünktlich zum Beginn der weltweit größten Messe der Lebensmittelbranche und Landwirtschaft in Berlin im Januar wurde er vom AgrarBündnis, einem Zusammenschluss von 25 Verbänden aus Landwirtschaft, Umwelt- und Tierschutz, Ernährung und Entwicklungsarbeit, wieder den Medien vorgestellt. Schwerpunktthema der aktuellen 300-seitigen Ausgabe ist die Auseinandersetzung zwischen "Agrarindustrie und Bäuerlichkeit". Diese beiden Bereiche, die gegensätzlicher kaum sein können, werden - in elf Kapitel untergliedert - hochaktuell und detailliert beschrieben sowie einer gründlichen Analyse unterzogen. Jedes Kapitel beginnt mit dem einführenden Beitrag Entwicklungen & Trends 2014. Insgesamt 65 Fachautoren aus dem In- und Ausland setzen sich mit den folgenden Themen kontrovers auseinander: Agrarpolitik und soziale Lage, Agrarkultur, Welthandel und Ernährung, Ökologischer Landbau, Produktion und Markt, Natur und Umwelt, Tierschutz und Tierhaltung, Gentechnik, Verbraucher und Ernährungskultur, Produktion und Markt, Wald und Regionalentwicklung.

Einleitend wird festgestellt: "Rein theoretisch erlebt die bäuerliche Landwirtschaft gerade eine neue Renaissance: Die Vereinten Nationen hatten 2014 als 'Internationales Jahr der familienbetriebenen Landwirtschaft' ausgerufen. Doch außer vielen öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten und emotional gefärbter PR zur traditionellen Landwirtschaft war nicht viel zu verspüren." Vielmehr nutzte die Agrarindustrie die Bilder und das Image der traditionellen bäuerlichen Landwirtschaft mit ihrer eigentümlichen, ländlichen Idylle für die Präsentation der industriell geprägten Agrarindustrie mit ihren Großbetrieben, vielerorts qualvoller Massentierhaltung und oft schädlichen Umwelteinflüssen.

Beide Bereiche sind unversöhnliche Gegenpole: Die moderne, industrielle Agrarindustrie mit ihrem ständigen Wachstumszwang, dem viele Bauern kaum noch standhalten können. Auf der anderen Seite die industrielle Landwirtschaft, "die nichts mehr mit dem traditionellen Familienbetrieb zutun hat, in dem jeder seinen Arbeitsplatz hatte und man nicht einfach wegrationalisiert wurde", so Frieder Thomas bei der Präsentation des Berichts. Dort, wo "selbstverantwortliches Handeln im Dreieck der Ökonomie, Ökologie und Soziales" Grundlage nachhaltigen Wirtschaftens ist. "Genau das ist es, was wir wieder brauchen. Doch unter den heutigen Bedingungen hat es die bäuerliche Landwirtschaft schwer", kritisiert er und wirft zugleich die Frage auf: "Sollen Konzerne oder die Zivilgesellschaft die Lebensmittelproduktion bestimmen?"

Bauernhöfe statt Agrarfabriken

Vor allem will der diesjährige Kritische Agrarbericht die Debatte zum Thema "Bäuerlichkeit grundsätzlicher und tiefgehender als im Parlament oder auf der Straße behandeln" und ebenso Handlungsalternativen aufzeigen. Der Agrarbericht analysiert die unterschiedlichen Vorstellungen einer künftigen Agrarpolitik, die kurzgefasst mit den Begriffen "Bauerhöfe statt Agrarfabriken" benannt werden. Es werden unter anderem die negativen Auswirkungen der industriellen Land- und Ernährungswirtschaft auf Klima, Wasser, Boden und Biodiversität sowie den gefährlichen Antibiotikaeinsatz behandelt. Eingegangen wird ebenso auf die vielfältigen Aktivitäten gegen diese negativen Entwicklungen und verweist auf die guten Erfolge des Widerstands gegen die Agrarindustrie, wie beispielsweise die Protestaktivitäten gegen die neu entstandenen riesigen Mastanlagen beweisen. Des Weiteren wird das geplante Freihandelsabkommen (TTIP) einer Analyse unterzogen. "TTIP gefährdet errungene Umwelt- und Lebensmittelstandards. Entgegen regierungsoffizieller Verlautbarungen ist auch beim Verbraucherschutz mit Kompromissen auf niedrigstem Niveau zu rechnen. Im Zweifel gelten die Interessen von Großkonzernen mehr als die Interessen von Mensch und Umwelt", so Hubert Weiger während der Präsentation.

Schließlich setzt sich das AgrarBündnis mit den Anfeindungen seitens des Deutschen Bauernverbandes (DBV) auseinander: "Wir demonstrieren nicht, wie immer wieder behauptet wird, gegen die Bauern, sondern für eine nachhaltige Landwirtschaft", führt Hubert Weiger, BUND-Vorsitzender in Bezug auf die schon zur Tradition gewordene Großdemonstration "Wir haben die Agrarindustrie satt", parallel zur Grünen Woche aus, die dieses Jahr mit einer Rekordbeteiligung von 50.000 Menschen stattfand. Denn DBV-Präsident Joachim Rukwied griff in seiner Eröffnungsrede zur Grünen Woche 2015 die immer wieder geäußerte und durchaus berechtigte Kritik an der industriellen Landwirtschaft mit scharfen Worten an - so als wenn es die von Medien gut dokumentierten Skandale nie gegeben hat: "Teilweise wird versucht, kampagnenartig und mit falschen Behauptungen Stimmung gegen redliche Bauernfamilien zu machen. Die fortgesetzte öffentliche Anklage mit Begriffen wie 'industrielle Landwirtschaft', 'Massentierhaltung', 'Doping im Stall' tut letztendlich genau dies mit den Bauern". Jedenfalls geht aus dem kritischen Jahresbericht 2015 klar hervor, dass keine "redlichen Bauern" angegriffen werden.

Thematische Schwerpunkte

Es wird untersucht, warum die bäuerliche Landwirtschaft thematisch in den Mittelpunkt gerückt ist. Denn nicht nur die Nachfrage nach nachhaltigen Lebensmitteln ist gestiegen, sondern weil es bei der bäuerlichen Landwirtschaft "nicht um kurzfristige Kapitalakkumulation und Kapitalrendite geht, sondern um den sinnvollen Einsatz von vorhandenen Ressourcen: Boden, Bodenfruchtbarkeit, vorhandene Arbeitskräfte, Immobilien und Inventar." Auch der Russland-Ukraine-Konflikt mit fatalen Folgen aufgrund der gegenseitigen Handelssanktionen für die europäische Landwirtschaft, die daraus resultierenden langfristigen Veränderungen in der Branche und der Handelsbeziehungen.

Des Weiteren wird der EU-Kommissionsvorschlag für eine Revision der EU-Ökoverordnung, die mit dem Begriff "Ökoverhinderungs-Verordnung" kritisch unter die Lupe genommen. Zum Thema Verbraucherschutz wird das bislang in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Thema des Schlachtens trächtiger Tiere diskutiert. Auch auf die gesundheitlichen, sozialen und politischen Aspekte durch zu hohen Zuckerkonsum wird eingegangen und näher untersucht. Einer in der Öffentlichkeit oft diskutierten Frage, ob Bio eine gesellschaftliche Alternative und keine Illusion oder Statussymbol ist, wird nachgegangen. Nachdem in den Medien in den vergangenen Monaten mit Schlagzeilen wie "Der Bio-Betrug" oder "Die Bio-Illusion" eine ganze Branche unter Beschuss genommen wurde, ist es den Autoren wichtig, sowohl Widrigkeiten als auch Erfolge der Biobranche zu thematisieren. Zwar würden pro Jahr etwa 600 Bio-Höfe schließen. Anderseits wachse die Biobranche - wenn auch auf niedrigen Niveau.

Neben den überwiegend negativen Entwicklungen im Agrarsektor und im Umweltbereich werden auch hoffnungsvolle, zukunftsweisende Beispiele benannt. So wird ein erfolgreiches Projekt bäuerlicher Direktvermarktung in Hessen vorgestellt. Gute Nachrichten kommen aus Südtirol, wo eine Gemeinde per Volksentscheid den Einsatz von Pestiziden verbieten lässt.

Fazit: Das Buch, mit dem die Autoren Antworten zu allen wichtigen Fragen im Zusammenhang mit Agrarwirtschaft und verwandten Themen geben, eignet sich hervorragend als Nachschlagewerk.



AgrarBündnis e.V. (Hrsg.)
Der Kritische Agrarbericht 2015:
Schwerpunkt: Agrarindustrie und Bäuerlichkeit
ABL Bauernblatt Verlag-GmbH Hamm, Januar 2015
304 Seiten, broschiert, 22 Euro
ISBN 978-3-930413-58-4

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Quelle:
DER RABE RALF
25. Jahrgang, Nr. 184 - Februar/März 2015, Seite 22
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47/-0, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: jährlich, 20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Februar 2015

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