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FRAGEN/035: Indische Milch - Sagari Ramdas im Interview (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 395 - Januar 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Indische Milch

Die Bäuerin und Tierärztin Sagari Ramdas im Interview mit Marcus Nürnberger


In Indien bewirtschaftet Sagari Ramdas zusammen mit ihrer Familie etwa einen Hektar Land. Angebaut werden viele verschiedene Gemüsesorten und Grundnahrungsmittel. Die biologisch bewirtschafteten Felder dienen zum einen der Versorgung der eigenen Familie mit Nahrungsmitteln. Darüber hinaus werden die Produkte auf den umliegenden Märkten oder an kleine Händler verkauft. Die Familie besitzt zwei Büffel als Zugtiere sowie eine Milchkuh. Die Vielfalt auf den eigenen Feldern, wird vor allem durch den eigenen Nachbau, die eigene Saatgutproduktion, sichergestellt.


Unabhängige Bauernstimme: Frau Sagari Ramdas, Sie vertreten ein Netzwerk von Kleinbauern, Fischern, Hirten und Verbrauchern in Indien. Können Sie uns einen Einblick in die Struktur der indischen Milchproduktion geben?

Sagari Ramdas: In Indien leben ca. 70 bis 80 Millionen Familien, das heißt ca. 500 Millionen Menschen, von der Milchproduktion. Die Familien besitzen meist ein bis zwei Kühe. Gefüttert werden diese zum einen, indem sie auf den eigenen abgeernteten Flächen oder auf Allmenden, Flächen, die der Gemeinschaft gehören, grasen.

Wie wird die Milch weiterverarbeitet bzw. kommt zu den Verbrauchern?

70 Prozent der Milch werden direkt verkauft. Wir sprechen von informellen Märkten. Direkte Beziehungen zu Verbrauchern, kleinen Läden, Hotels usw. Diese liegen in einem Umkreis von 20-30 km. Die verbleibenden 30 Prozent werden an Molkereien abgeliefert bzw. privat konsumiert.

Eine funktionierende direkte Vermarktung wünschen sich auch viele Betriebe in Deutschland. Wo sind die Probleme?

Ein entscheidendes Jahr war 1990. Damals hat die Regierung auf Druck der Welthandelsorganisation die Märkte liberalisiert. In der Folge fiel die Preisbindung der Molkereien. Auch wurde der Markt für 100 ausländische Investoren geöffnet. So investierten unter anderem Danone und Lactalis in die indische Molkereiwirtschaft. Die Molkereien hatten in der Folge viel Geld und reduzierten den Milchpreis.

Wie haben Sie darauf reagiert?

Quasi über Nacht brachen unsere Märkte, zumindest Teile davon, weg. Gemeinsam mit sechs anderen Bauern gründeten wir damals eine Genossenschaft, in der heute 85 Bauernfamilien organisiert sind. Wir liefern unsere Milch an einen Eisladen, an Schulen und direkt an Familien.

Ein tolles Erfolgsmodell.

Ja, bis Anfang vergangenen Jahres. Auf einmal war es für den Eisladen deutlich günstiger, Milchpulver zu verwenden anstatt unserer Frischmilch. Dabei haben wir in Indien Importzölle von 68 Prozent auf Milchpulver und wir fragten uns, woher das Pulver kam. Unsere Nachforschungen ergaben, dass die indischen Molkereien zu Zeiten hoher Milchpreise Anfang 2014 Milchpulver in die Nachbarstaaten exportierten. Mit dem Preissturz im Juli 2014 brachen diese Absatzwege weg und das Pulver überschwemmte den indischen Markt. Die Auswirkungen sind sehr weitreichend. Es entstand ein großer Druck auf unsere direkten Absatzmärkte, über die 70 Prozent der Milch direkt vom Bauern zum Kunden gelangen.

Vor allem in den Regionen haben Sie einen sehr direkten Kontakt von Produzenten und Verbrauchern, während in den Städten die Beziehungen anonymer sind und auch das Bewusstsein für die Saisonalität und die Herkunft der Lebensmittel verloren geht. Welche Schritte braucht es, um diese Entwicklungen aufzuhalten?

Ganz wichtig ist es, dass unsere Märkte vor billigen Importen geschützt werden. Derzeit ist es noch so, dass der neuseeländische Apfel zwar angeboten wird, aber viel teurer ist als ein in Indien gewachsener. Ein weiterer Punkt ist die Veränderung der Landwirtschaft in Indien. Zunehmend verlagern die Bauern ihre Produktion auf Cash Crops wie Baumwolle, Palmöl, Kautschuk usw. Dadurch verlieren wir unsere Ernährungssouveränität. Wir bauen nicht mehr an, was wir selbst zum Leben brauchen. Außerdem müssen diese Bauern Dünge- und Spritzmittel kaufen. Die Abhängigkeiten nehmen zu. Die derzeitige Politik der Regierung, die Märkte zu liberalisieren und Zölle zu senken, zerstört die bäuerliche Landwirtschaft in Indien. Die Milch war und ist für viele Familien eine Versicherung. Dass dies auch weiterhin so bleiben kann, dafür kämpfen wir.

Vielen Dank für das Interview

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 395 - Januar 2016, S. 7
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2016

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