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GENTECHNIK/572: Europäischer Gerichtshof stärkt Vorsorge - Neue Gentechnikverfahren sind Gentechnik (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 424 - September 2018
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

EuGH stärkt Vorsorge
Neue Gentechnikverfahren sind Gentechnik

von Annemarie Volling


Die zentrale vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu klärende Frage war, welche Gentechnikverfahren bzw. daraus resultierenden gentechnisch veränderten Organismen (GVO) vom Anwendungsbereich der Gentechnikrichtlinie auszunehmen sind. In seinem Urteil vom 25. Juli 2018 stellte der EuGH fest, dass auch neue Verfahren wie CRISPR/Cas, Zink-Finger-Nuklease, TALEN oder ODM Gentechnik sind, unter den Anwendungsbereich der europäischen Gentechnik-Freisetzungsrichtlinie 2001/18 fallen und somit nach dem Gentechnikgesetz reguliert werden müssen.

Nur begrenzte Ausnahmen

Grundsätzlich fallen nach dem EuGH alle GVO unter den Geltungsbereich der Richtlinie. Ausgenommen sind nur wenige Verfahren, die im Anhang I B aufgeführt werden. Hier ist zwar Mutagenese als Verfahren genannt. Der EuGH stellt aber klar, dass nur solche Verfahren von der Regulierung auszunehmen sind, "die herkömmlich, in einer Reihe von Anwendungen angewandt wurden und seit langem als sicher gelten" (Erwägungsgrund 17). Als Gentechnik zu regulieren sind hingegen Verfahren, die nach Erlass der Richtlinie 2001/18 entwickelt wurden und deren "Risiken für die Umwelt und die menschliche Gesundheit bislang noch nicht mit Sicherheit bestimmt werden" können, so der EuGH. Letzteres trifft sowohl auf die älteren als auch auf die neueren Gentechnikverfahren, wie CRISPR/Cas, zu. Es besteht kein Handlungsbedarf, die Gentechnikgesetzgebung zu überarbeiten oder zu ergänzen. Mit seiner Auslegung der Richtlinie stärkt der EuGH das im Europarecht verankerte Vorsorgeprinzip.

Kontrolle der Risiken

In seiner Urteilsbegründung stellt der EuGH zu den neuen Gentechnikverfahren wie CRISPR/Cas fest, dass "sich die mit dem Einsatz dieser neuen Verfahren/Methoden (...) verbundenen Risiken aber als vergleichbar mit den bei der Erzeugung und Verbreitung von GVO durch Transgenese auftretenden Risiken erweisen (könnten)". Einerseits könnten "die gleichen Wirkungen er- zielt" werden. Andererseits könnten in einem "ungleich größeren Tempo und Ausmaß" gentechnisch veränderte Sorten erzeugt werden. Zudem könnten sich in die Umwelt freigesetzte lebende Organismen in dieser fortpflanzen und ausbreiten. "Die Auswirkungen solcher Freisetzungen können unumkehrbar sein." Der Schutz der menschlichen Gesundheit erfordere auch nach erfolgter Freisetzung eine "gebührende Kontrolle der Risiken".

Unterschiedliche Reaktionen

Das EuGH-Urteil, mit dem - in dieser Deutlichkeit - wohl niemand so gerechnet hatte, wird sehr unterschiedlich aufgenommen. Die gentechnikkritische Bewegung ist in ihrer Argumentation bestätigt werden. Gentechnikbefürworter haben ein anderes Urteil erhofft und greifen den EuGH teilweise an. "Oberste Maxime hat (...) der gesundheitliche Verbraucherschutz", kommentierte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner das Urteil. "Gleichzeitig will ich den Blick für Entwicklungen und Innovationen offen halten (...). Vielerorts werden neue Züchtungstechnologien bereits angewandt oder sind unerlässlich, um für eine ausreichende Versorgung beispielsweise mit Getreide zu sorgen (...). Dazu bräuchten wir weitere Möglichkeiten - zum Beispiel schädlingsresistente oder dürreresistente Sorten." Ähnlich sieht es der Deutsche Bauernverband. Präsident Joachim Rukwied meinte: "Europa läuft Gefahr, den Anschluss an andere Weltregionen zu verpassen. Dieses Urteil verbaut uns die notwendigen Möglichkeiten, mit Hilfe der Pflanzenzüchtung die Herausforderungen des Klimawandels zu meistern (...), beispielsweise trockenheitstolerantere Sorten. Das EU-Gentechnikrecht muss jetzt auf seine Zukunftsfähigkeit überprüft werden, um die Chancen der neuen Züchtungsmethoden nutzen zu können." Stefanie Frank, die Vorsitzende des Bundes Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) meint, der EuGH ignoriere die wissenschaftliche Bewertung der Experten europäischer und nationaler Behörden, nach denen Pflanzen, die sich nicht von klassisch gezüchteten unterscheiden lassen, nicht als GVO einzustufen seien. Ähnlich argumentiert beispielsweise Jens Boch, Professor für Pflanzenbiotechnologie an der Leibniz-Universität Hannover: "Das der EuGH diese hochpräzise Technik nun als potenziell gefährlicher einstuft als die unpräzise klassische Mutagenese, ist ein Affront für die Wissenschaft." Top agrar-Chefredakteur Schulze Pals kommentierte die Luxemburger Entscheidung als "angstgetrieben und innovationsfeindlich". Kathrin Zinkant von der Süddeutschen Zeitung ging noch weiter: "Die Angst vor der Gentechnik hat gewonnen", es sei ein "Fehlurteil", "rückwärtsgewandt und folgenreich".

Wirkmächtiges Instrument

Emmanuelle Charpentier, eine der Entdeckerinnen von CRISPR/Cas und heutige Direktorin am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, meint: "Diese Technologie ist mächtig und deshalb brauchen wir eine strenge Regulierung. Europa könnte diese Rolle dabei spielen." Die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) warnt davor, Genome Editing zu unterschätzen. Genome Editing mit der klassischen Zucht gleichzustellen und als vermeintlich harmlos darzustellen wäre naiv. CRISPR könne "an vielen Stellen im Genom gezielt" eingreifen und "somit der Organismus weitgehend verändert werden". Zudem verführe dieser Vergleich dazu, die potentiellen Risiken der Genome-Editing-Verfahren zu negieren oder zumindest zu verharmlosen. Erst kürzlich haben WissenschaftlerInnen des britischen Sanger-Instituts veröffentlicht, dass CRISPR/Gas zu größeren Schäden im Genom führe als bisher bekannt (5. Meldung). "Um das mit den neuen Gentechnikverfahren verbundene Risiko überhaupt einschätzen zu können, müssen sie eingehend geprüft werden", meint Christof Potthof vom Gen-ethischen Netzwerk. Auch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) begrüßt das EuGH-Urteil: "Damit ist eine am Vorsorgeprinzip orientierte Risikoprüfung gewährleistet."

Vorsorge vor Profit

Die AbL verweist auf den großen Wettbewerbsvorteil und das Vertrauen der BürgerInnen, das sich gentechnikfrei erzeugende Bäuerinnen und Bauern erobert hätten. Dies wolle man nicht mit einer Risikotechnologie aufs Spiel setzen. "Der EuGH stärkt das Vorsorgeprinzip und stellt es klar vor die Profitinteressen der Gentechnikkonzerne. Die neuen Gentechnikverfahren versprechen enorme Profite, die sich v. a. die Konzerne schon jetzt durch Patentanmeldungen sichern. Der Schutz für Gesundheit, Umwelt und gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung muss aber Vorrang haben", so Martin Schulz, Bundesvorsitzender der AbL.

Klimaanpassung durch Vielfalt

Dürreresistente Sorten? "Es nützt nichts, eine Eigenschaft zu ändern, sondern wir brauchen Vielfalt im System. Dazu gehören Sorten, die in sich vielfältig und variabel sind und auf die Gegebenheiten vor Ort reagieren können. Wir brauchen widerstandsfähige Ackerbausysteme, die zusätzlich den Boden wasseraufnahmefähiger machen und Humus aufbauen, weite Fruchtfolgen mit Leguminosen, die Luftstickstoff pflanzenverfügbar machen - und nicht zuletzt vielfältige Betriebe, die vielfältig regional wirtschaften", ist die Botschaft von Elisabeth Freesen aus dem Bundesvorstand der AbL.

Annemarie Volling ist Gentechnikexpertin der AbL

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 424 - September 2018, S. 16
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2018

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