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HUNGER/221: Agrarexporte und Entwicklungsländer (spw)


spw - Ausgabe 7/2009 - Heft 175
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Agrarexporte und Entwicklungsländer

Von Arne Heise


Im Jahre 1996 fand ein UN-Welternährungsgipfel in Rom statt, in dessen Schlussresolution die Teilnehmer-Staaten sich zum Ziel setzten, die Anzahl der hungernden Menschen - damals etwa 800 Mio. - bis zum Jahre 2015 zu halbieren. Dieses Ziel ist später als Bestandteil der "Millenniums-Entwicklungsziele" der UNO auf der Generalversammlung am 18. September 2000 noch einmal bekräftigt worden. Die jüngste Neuauflage des Welternährungsgipfels im November 2009 hat nicht viel mehr gebracht, als die 1996 beschlossenen Ziele ein weiteres Mal zu bestärken. Allerdings ist vor dem Hintergrund eines massiven Anstiegs der Unterernährung auf mittlerweile etwa 1 Mrd. Menschen (vgl. Tab. 1) die Zielerreichung fast illusorisch geworden. Besonders betroffen sind natürlich die Entwicklungsländer, in denen - wie in der Demokratischen Republik Kongo - der Anteil der unterernährten Bevölkerung auf bis zu 75 Prozent angestiegen ist. Aber auch in Transformationsländern wie Usbekistan schnellt der Anteil der hungernden Menschen dramatisch empor (vgl. Tab.1).

Die Hintergründe dieser besorgniserregenden Entwicklung sind selbstverständlich vielfältig. Insbesondere die unzureichende wirtschaftliche Entwicklung in vielen Entwicklungsländern und deren hohe und zunehmende Einkommensungleichheit führen zu Armut und Unterernährung. Neben zahlreichen hausgemachten Problemen spielt aber auch die unzureichende Integration vieler Entwicklungsländer in die globalisierte Weltwirtschaft eine Rolle: Aufgrund fehlender technologischer Potentiale, Qualifikationen und mangelnder Infrastruktur, aber auch durchaus im Einklang mit der herrschenden Außenwirtschaftstheorie produzieren viele Entwicklungsländer bis heute überwiegend arbeitsintensiv Agrarprodukte und exportieren auch vornehmlich landwirtschaftliche Güter und Rohstoffe. Damit werden sie in starkem Maße abhängig von der Aufnahmebereitschaft (Marktzugang) der entwickelten Länder, der Entwicklung der relativen Preise agrarischer Produkte zu industriellen Produkten ("Terms-of-Trade") und der Preisentwicklung von Agrarprodukten auf den Weltmärkten.

Der Preisanstieg von Agrarprodukten in der letzten Dekade (vgl. Tab. 3) scheint damit zwar den Entwicklungsländern grundsätzlich zugute zu kommen, doch sind vor allem die am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries; LDC) nicht nur Ex-, sondern sogar insgesamt Netto-Importeure von Agrarprodukten (Tab. 2) - d.h. sie importieren gar mehr landwirtschaftliche Produkte als sie exportieren können. Damit kommen zwei Entwicklungen zusammen, die die Ernährungslage in vielen Entwicklungsländern während des teilweise spekulativ bedingten Anstiegs der Weltlebensmittelpreise verschlechtert, nicht verbessert haben: Der Anstieg der Weltmarktpreise führte zu einer Konzentration auf die Förderung jener Agrarprodukte, die nicht für den heimischen Markt, sondern für den Export produziert werden. Gleichzeitig haben sich die Preise der benötigten Agrarimporte und damit das Handelsdefizit (Agrarexporte minus Agrarimporte) erhöht.

Die Lage der Entwicklungsländer hat sich noch dadurch verschlechtert, dass dem Anstieg der Weltmarktpreise der eigenen Exportgüter ein noch höherer Preisanstieg der Importgüter (Industriegüter plus Rohstoffe) gegenüber stand, sich also die Terms-of-Trade verschlechterten (vgl. Tab. 3).

Schließlich muss noch erwähnt werden, dass der Handel mit Agrarprodukten - insbesondere nach dem bisherigen Scheitern der Doha-Verhandlungsrunde der World Trade Organisation (WTO) - weiterhin die höchsten tarifären und nicht-tarifären Handelshemmnisse aller Gütergruppen aufweist: Vor allem die mächtige Landwirtschafts- und Farmlobby der USA, aber auch Frankreichs haben bisher eine effektive Liberalisierung der Agrarmärkte - und das impliziert in erster Linie einen freieren Zugang der Entwicklungsländer zu den Märkten des entwickelten Nordens - verhindert.

Vor diesem Hintergrund muss die Enttäuschung über das Schluss-Communiqué des Welternährungsgipfels verstanden werden: Es werden keinerlei konkrete Wege aufgezeigt wie die - vornehmlichen - Agrarexporte der Entwicklungsländer in die entwickelten Länder erhöht oder die Importe aus den entwickelten Ländern -. z.B. durch Aufgabe der Agrarexportsubventionierung - und damit das Handelsdefizit der Entwicklungsländer reduziert werden könnte. Es sind auch keine Zusagen für konkrete, kurzfristige Hilfsmaßnahmen für den hungernden Teil der Bevölkerung gemacht worden. Und das grundsätzlich begrüßenswerte Bekenntnis zu investiven "Vor Ort-Hilfen" in den Ausbau und die Effizienzsteigerung der landwirtschaftlichen Produktion in den Entwicklungsländern statt der allgemeinen Finanzhilfen oder direkten Nahrungsmittelspenden aus den entwickelten Ländern wird ohne konkrete Zusagen wertlos bleiben. Selbst die Inaussichtstellung solcher Mittel in Höhe von 20 Mrd. Dollar pro Jahr durch die G-8-Staaten Mitte des Jahres wurde nicht mehr erneuert. Der Generalsekretär der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) Jacques Diouf hält hingegen einen definitiven Betrag von mindestens 40 Mrd. Dollar für notwendig.


Tabelle 1: Entwicklung des Hungers (Anzahl der unterernährten Menschen in Mio.)


1990/92
1995/97
2000/02
2004/06

2009
Entwickelte Länder
Entwicklungsländer
Weltweit
19,1
826,2
845,3
21,4
803,5
824,9
18,7
838,1
856,8
15,2
857,7
872,9
15,0
1.005,0
1.020,0
Ausgewählte Länder - Anteil der unterernährten Menschen an der Gesamtbevölkerung in %
Nord Korea
Usbekistan
Demo. Rep. Kongo
21
5
29
31
5
57
34
17
70
32
13
75
1,5*
2,8*
2,6*

* Faktor des Anstiegs 1990/92-2004/2006
Quelle: FAO - The State of Food Insecurity in the World 2009, Rome 2009


Tabelle 2: Brutto-Exporte, Brutto-Importe und Netto-Importüberschüsse an Agrargütern
als Prozent des BIP (im Jahre 2007)



Brutto-Exporte

Brutto-Importe

Netto-Import-Überschüsse
Entwickelte Länder
Entwicklungsländer
LDC
Sub-Sahara Afrika ohne Südafrika
1,1     
1,6     
1,5     
1,4     
1,2     
1,5     
3,7     
3,3     
0,1         
-0,1         
2,2         
1,9         

Quelle: UNCTAD - Trade and Development Report 2009, Genf 2009


Tabelle 3: Weltmarktpreise für verschiedene Warengruppen; Veränderungen in Prozent



2002

2003

2004

2005

2006

2007

2008
2002-2008
Alle Güter
Agrargüter
Ölprodukte
Mineralien, Metalle
0,8
2,9
2,0
-2,7
8,1
4,1
15,8
12,4
19,9
13,2
30,7
40,7
11,7
6,3
41,3
26,2
30,4
16,3
20,4
60,3
12,9
13,3
10,7
12,8
23,8
39,2
36,4
6,2
164,0
129,8
288,9
283,0

Quelle: UNCTAD - Trade and Development Report 2009, Genf 2009


Dr. Arne Heise ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg.


*


Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 7/2009, Heft 175, Seite 46-47
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2010