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INTERNATIONAL/024: Kasachstan - Mehr Weizen für Zentralasien, im Norden fehlen Fachkräfte und Güterzüge (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. Januar 2012

Kasachstan: Mehr Weizen für Zentralasien - Im Norden fehlen Fachkräfte und Güterzüge

von Christopher Pala


Almaty, 3. Januar (IPS) - Mit bemerkenswertem Erfolg bemüht sich Kasachstans Regierung seit zehn Jahren um eine Diversifizierung seiner Wirtschaft. Anstatt sich wie früher auf Bergbau und Erdölindustrie zu konzentrieren, gilt ihr Hauptaugenmerk jetzt der Förderung der Agrarwirtschaft und der Getreideproduktion. Im Norden, dem traditionellen Brotkorb des zentralasiatischen Landes, wurden die Anbauflächen für Getreide um ein Drittel vergrößert.

Doch die 2011 eingefahrene Rekordernte von 21 Millionen Tonnen Weizen hat die Region an die Grenzen der Expansion des Weizenanbaus gebracht. Für den per Eisenbahn abgewickelten Transport des Getreides in den Süden und den Export in die Nachbarländer fehlen Güterzüge. Ein Teil der Ernte droht zu verkommen, weil es nicht genügend Silos gibt. Die Großabnehmer verlangen von den Agrarbetrieben wegen der längeren Lagerung höhere Gebühren.

Der Analyst Dauren Oschakbajew vom Verband kasachischer Wirtschaftswissenschaftler erklärte: "Unsere Exporte werden nicht im gleichen Maße steigen wie die Ernte. Das meiste Getreide wird erst in diesem oder im nächsten Jahr die Märkte erreichen. Die jährliche Verladekapazität von Kasachstans wichtigstem Umschlaghafen Aktau am Kaspischen Meer liegt bei einer halben Million Tonnen Getreide."

Nach einer für die Weltbank durchgeführten Studie des Leibnizinstituts für Agrarwirtschaft in Zentral- und Osteuropa in Halle förderte die kasachische Regierung die Agrarwirtschaft durch subventionierte Importe von modernen Landwirtschaftsmaschinen sowie durch die vermehrte Verwendung von Kunstdünger. Zwischen 2001 und 2009 hat sich der Wert des geernteten Getreides verdoppelt.


Löhne der Landarbeiter steigen schneller als Getreidepreise

In einem Gespräch mit IPS berichtete Martin Petrick, einer der maßgeblich an der Studie beteiligten Wissenschaftler: "Im gleichen Zeitraum stiegen die Löhne der landwirtschaftlichen Arbeiter doppelt so schnell wie die Getreidepreise."

Der Arbeitskräftemangel, besonders das Fehlen von Fachkräften, die die komplexen modernen Maschinen bedienen können, waren die Gründe für diese erstaunliche Lohnentwicklung in der Region. Die ländlichen Haushalte konnten ihre Ausgaben innerhalb von sechs Jahren verdoppeln. Der Anteil der Familien, die unter der Armutsgrenze lebten, ging von 40 Prozent (2000) auf fünf Prozent (2010) zurück.

Nach der 1991 erklärten Unabhängigkeit Kasachstans hatte der Großteil der im Norden lebenden Nachfahren von Russen, Ukrainern und Deutschen nach und nach die Region verlassen. Wer blieb, erntet jetzt die Früchte seiner Bodenständigkeit und profitiert vom durch die Expansion weiter vergrößerten Arbeitskräftemangel.


Weizen für ganz Zentralasien

Die 16 Millionen Kasachen konsumieren jährlich sieben Millionen Tonnen Weizen. Ein Drittel der Ernte wird auf dem Schienenweg nach Usbekistan, Kirgisien, Tadschikistan, Turkmenistan und Afghanistan exportiert. Der für Iran und Aserbaidschan bestimmte kleinere Teil wird per Eisenbahn zum Kaspischen Meer transportiert und gelangt weiter über das Schwarze Meer nach Georgien und in die Türkei. Von russischen und ukrainischen Schwarzmeerhäfen aus wird kasachischer Weizen auch nach Europa und Afrika exportiert.

Besonders im Iran und in Aserbaidschan ist der Weizenbedarf groß, doch die Verladekapazitäten der Häfen sind begrenzt. Wegen der vielfältigen Engpässe raten Experten Kasachstan jetzt zu einer Reduzierung der Anbauflächen zugunsten von mehr Viehweiden und Futterflächen sowie zum vermehrten Anbau anderer Agrarprodukten wie Gerste, Hafer, Raps, Mais und Sonnenblumen.

"Die Botschaft der Märkte ist klar: diversifizieren", erklärte der kasachische Experte Oschakbajew. Er berichtete, einer der großen Agrokonzerne habe bereits seit 2005 seine Anbauflächen für Weizen um 43 auf 39 Prozent verringert.

In einem für die Welternährungsorganisation (FAO) erarbeiteten Bericht empfiehlt der in Kasachstan lebende Viehzuchtexperte Anton van Engelen eine Reduzierung der Anbauflächen für Weizen um 15 auf 25 Prozent. Auf den eingesparten Flächen sollte Gras als Viehfutter angebaut werden. Damit ließe sich Kasachstans Viehbestand um zehn Prozent vergrößern und der hohe Fleischpreis im Land verringern. Er ist derzeit doppelt so hoch wie der Weltmarktpreis.


Mehr Vieh statt Weizen

Auch der neuerdings vom ehemaligen britischen Regierungschef Tony Blair in Wirtschaftsfragen beratene Präsident Nursultan Nasarbajew hatte kürzlich beim Besuch einer Weizenplantage im Norden betont: "Wir müssen unsere Landwirtschaft effektiver machen und mehr Viehfutter anbauen. Mais bringt höhere Gewinne als Weizen."

Agrarexperte Petrick vom Leibniz-Institut in Halle hält zudem eine umfassende Strukturreform der kasachischen Landwirtschaft für angebracht. Die bis zu 20.000 Hektar großen privatisierten ehemaligen Kolchosen seien nicht mehr zeitgemäß. "Heute bewirtschaftet ein typischer Agrarbetrieb 700 Hektar."

Er kritisierte auch die mangelnde Transparenz der Regierung bei der Landzuweisung. Ihr gehört bislang der größte Teil der Anbauflächen. "Das ganze Vergabesystem ist sehr undurchsichtig, Es muss fairer und transparenter werden." (Ende/IPS/mp/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2012