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INTERNATIONAL/025: Nahost - Olivenbäume als Hoffnungsträger, Gazastreifen setzt auf Zuchtstationen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. Januar 2012

Nahost: Olivenbäume als Hoffnungsträger - Gazastreifen setzt auf Zuchtstationen

von Eva Bartlett

Eine Olivenbaumschule in Gaza - Bild: © Eva Bartlett/IPS

Eine Olivenbaumschule in Gaza
Bild: © Eva Bartlett/IPS

Gaza-Stadt, 9. Januar (IPS) - "Unserem Olivenöl verdanken wir, dass wir selbst in den schwierigsten Zeiten überleben konnten", sagt Ahmed Sourani vom Palästinensischen Landwirtschaftlichem Hilfskomitee (PARC). "Im letzten Krieg haben sich viele Menschen, die ihre Häuser nicht verlassen konnten, über einen langen Zeitraum hinweg ausschließlich von Brot und Olivenöl ernährt."

Auch während der ersten Intifada, dem palästinensischen Aufstand gegen die israelische Besatzung, waren Oliven und Olivenöl wahre Lebensretter. "Sie sind unsere Hauptnahrungsmittel, wenn die israelische Armee Ausgangssperren verhängt", berichtet Sourani. "Und die meisten Schulkinder essen in den Pausen Brot mit Olivenöl und wildem Thymian."

Israel ist die wertvolle Nahrungsquelle der Palästinenser offenbar ein Dorn im Auge. So berichtete die internationale Entwicklungsorganisation Oxfam im November 2008, dass seit dem Jahr 2000 im Gazastreifen 112.000 Olivenbäume zerstört worden sind.

"Den israelischen Behörden zufolge ist die 'Pufferzone' - ein von Israel durchgesetztes No-Go-Gebiet, das den Palästinensern gehört, sie aber am Betreten des Landes hindert - von der grünen Grenze zwischen Gazastreifen und Israel 300 Meter breit", so Sourani. "Doch in Wirklichkeit sind es 600 Meter und somit 30 Prozent des Agrarlands des Gazastreifens."


Agrarland dezimiert

Die Vereinten Nationen berichten von bis zu zwei Kilometer breiten Arealen, die für die Palästinenser unzugänglich sind, weil dort geschossen wird und Bomben niedergehen. PARC zufolge wurden mehr als 42 Prozent der 17.500 Hektar großen Agrarfläche im Gazastreifen durch israelische Invasionen und Operationen zerstört. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtet, dass der israelische Krieg gegen den Gazastreifen bis zu 60 Prozent der landwirtschaftlichen Industrie vernichtet hat.

Trotz der systematischen Kampagne, die Olivenbäume zu dezimieren und das Agrarland unzugänglich zu machen, gibt es Sourani zufolge 100 Jahre alte Olivenbäume. Sie stehen vor allem in den Gaza-Stadt-Vierteln Zaytoun, Sheyjayee und Tuffah. Die Mehrheit der in Gaza wachsenden Olivenbäume ist jedoch durchschnittlich fünf Jahre alt.

Das Gaza-Landwirtschaftsministerium will nun der Zerstörung der heimischen Agrarindustrie entgegenwirken. Der Beamte Ahmad Fatayar wirft Israel vor, schon während und auch nach der Besatzung des Gazastreifens auf Maßnahmen und Initiativen aus gewesen zu sein, die die Palästinenser davon abbringen sollten, Bäume zu pflanzen und ihr Land zu bewirtschaften. Stattdessen sollten sie in Israel in Treibhäusern oder als Lohnarbeiter beschäftigt werden.

Nachdem Israel palästinensisches Farmland niedergewalzt hatte, war es für die Palästinenser schwierig wenn nicht gar unmöglich, ihre Olivenbäume zu kultivieren. Inzwischen haben die Behörden im Gazastreifen eine Olivenbaumschule eingerichtet, mit deren Hilfe eine Million Bäume im gesamten Gazastreifen gezogen und insbesondere in den Pufferzonen ausgebracht werden soll.


Traditionsreicher multifunktionaler Baum

Wie Fatayar erläutert, reichen zwei bis drei Olivenbäume, um eine achtköpfige Familie mit Oliven und Öl zu versorgen. Abgesehen vom Wirtschafts- und Ernährungswert sind Olivenbäume auch aus anderen Gründen für Palästinenser bedeutungsvoll. "Für uns stehen sie für Land, Unabhängigkeit und Würde", sagt Ahmed Sourani. "Wir verwenden Olivenöl für alles Mögliche, auch als Haarpflege. Wenn wir krank sind, reiben wir uns mit dem Öl ein. Die Blätter des Olivenbaums haben Heilkräfte, und sie wirken als Tee gegen Diabetes und Bauchschmerzen."

Der enorme Oliven- und Olivenölbedarf der 1,6 Millionen Palästinenser des 365 Quadratkilometer großen Gazastreifens wurde lange Zeit durch Importe aus dem Westjordanland gedeckt. Doch einem Oxfam-Bericht von 2010 zufolge sorgte die israelische Blockade des Gazastreifens dafür, dass die Einfuhren aus dem Westjordanland rückläufig sind.

"Inzwischen sind die Lieferungen aus dem Westjordanland sehr dürftig, und viel kommt inzwischen aus Syrien, dem Libanon, Ägypten und Spanien", hält Sourani fest. "Dennoch bevorzugen wir immer noch Oliven und Öl unserer Suri-Sorte, deren Existenz sich bis in Römerzeit zurückverfolgen lässt."


Auch Dattelpalmen gefragt

Für die Palästinenser sind auch Dattelpalmen aus historischer, wirtschaftlicher und Ernährungssicht von großer Bedeutung. "Datteln haben einen hohen Nährwert, und die Bäume sind ertragsreich und können mit wenig Geld gezogen werden", betont Sourani.

Die Palmen brauchen zudem nicht viel Platz. "Sie kommen mit zwei Quadratmetern aus", erläutert Ahmad Fatayar. Eine einzige Palme wirft jährlich bis zu 200 Kilogramm Datteln ab. Deshalb ist der Anbau von Dattelpalmen ebenfalls im neuen Agrarplan des Landwirtschaftsministeriums des Gazastreifens vorgesehen.

"Ein Setzling benötigt sieben Jahre, bis er Früchte trägt und weitere zehn Setzlinge hervorbringt", sagt Fatayar. "Diese zehn neuen Setzlinge sind dann nach weiteren sieben Jahren produktiv und liefern 100 neue Setzlinge."

Nach Schätzungen des Ministeriums lassen sich bis 2020 rund drei Millionen Setzlinge ziehen. Aus den Früchten, Blättern und den Holz der Palmen lassen sich dann Melasse, Süßigkeiten, Öl, Textilien, Möbel, Viehfutter und Papier herstellen. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:
http://www.pal-arc.org/
http://www.oxfam.org/en/policy/road-olive-farming
http://www.ipsnews.net/print.asp?idnews=106384

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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Januar 2012