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INTERNATIONAL/036: Kenia - Import von europäischem Kartoffelsaatgut mit unabsehbaren Folgen (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 355 - Mai 2012
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Kartoffel in Kenia mit Potenzial und Feinden
Import von europäischem Kartoffelsaatgut mit unabsehbaren Folgen

von Berit Thomsen



Hinter den kleinen Hütten, in Kenia Dukas genannt, wird auf Feuerstellen gekocht. Bei den ärmeren Schichten steht täglich dasselbe Gericht auf der Speisekarte. Der sättigende, energieliefernde Maisbrei Ugali mit Zukumawiki, einer spinatähnlichen Beilage und Beefstew, eine Art Gulasch in Tomatensoße. Der Anteil an Fleisch fällt meist gering aus oder bleibt ganz aus. Dazu gibt es gedünsteten Weißkohl mit Möhren. Und seit noch nicht all zu langer Zeit Kartoffeln. Die stehen immer mehr auf der Speisekarte der Kenianer, auch für die Ernährung der Kinder. Kartoffeln haben sich zu einer nennenswerten landwirtschaftlichen Kultur in Kenia gemausert.

Plastikmöbel. Frittiergeruch. Gerichte, die auf der ganzen Welt gleich schmecken und von diesem Geschmack auch nicht abweichen dürfen. Fastfoodketten: Was sich die Armen nicht werden leisten können, kann sie dennoch arg in Bedrängnis bringen. Konzerne wie Kentucky Fried Chicken halten neuerdings Einzug in Kenia. Und damit auch die Nachfrage der Industrie nach Kartoffelsorten, die sich für die Herstellung der standardisierten Pommes Frites eignen. Bisher wurden diese Verarbeitungskartoffeln vorwiegend aus Ägypten importiert. Eine neue Vertragsvereinbarung der kenianischen Regierung mit den Niederlanden erlaubt seit September letzten Jahres den Import neuer Kartoffelsorten, die ohne Risikoanalyse auf Krankheitsbefall direkt in den Anbau gehen sollen.

Experten wie Wachira Kaguongo, Direktor des Nationalen Kartoffel Zentrums von Kenia (NPCK), fürchten, dass mit dem neuen Kartoffelsaatgut auch Krankheiten importiert und verbreitet werden können. Die Bauern wären darauf nicht vorbereitet. Der junge landwirtschaftliche Kartoffelzweig könnte massiv unter Druck geraten. Kenia hat knapp 40 Millionen Einwohner und weit mehr als die Hälfte leben von der Landwirtschaft.

Unabhängige Bauernstimme: Dass die Kartoffel in Kenia so beliebt ist, hätte ich erst mal nicht erwartet. Welche Rolle spielt denn der Kartoffelanbau in Ihrem Land?

Wachira Kaguongo: Die Kartoffel ist mittlerweile die zweitwichtigste Kultur in der Landwirtschaft, gleich nach Mais. Es gibt 800.000 Bauern, die auf 158.000 Hektar Kartoffeln anbauen. Insgesamt sind 2,5 Millionen Menschen entlang der Wirtschaftskette im Kartoffelsektor beschäftigt.

Unabhängige Bauernstimme: Welche Bedeutung spielt die Kartoffel für die Ernährungssouveränität?

Wachira Kaguongo: Mehr als fünfundneunzig Prozent der Kartoffelbauern sind Kleinbauern und bewirtschaften etwa 0,2 bis 0,3 Hektar Kartoffeln. Die Kartoffeln werden für die Selbstversorgung genutzt, aber auch verkauft, um Geld zu erwirtschaften. Sie trägt bis zu 500 Millionen US-Dollar jährlich zur Wirtschaftsleistung bei.

Unabhängige Bauernstimme: Was sind die Gründe, dass der Kartoffelanbau so an Beliebtheit gewonnen hat und ein bedeutsamer Zweig für die ländliche Entwicklung geworden ist?

Wachira Kaguongo: Die Kartoffel hat eine höhere Produktivität als andere Kulturen, weil sie verglichen mit anderen Nahrungsmitteln mehr Kohlenhydrate pro Land- und Zeiteinheit erzeugen kann. Unter natürlichen Bedingungen bringt sie hier in Kenia zwei Ernten im Jahr. Mit künstlicher Beregnung können sogar drei Ernten eingefahren werden.

Unabhängige Bauernstimme: Warum hat die Regierung zugestimmt, dass Kartoffelknollen, die speziell den Ansprüchen der Fastfoodindustrie entsprechen, importiert werden und direkt in den Anbau gehen dürfen?

Wachira Kaguongo: Diese Abmachung wurde zwischen der kenianischen und niederländischen Regierung getroffen und ist deshalb rechtens, weil der Import von Kartoffelknollen zunächst mal nicht gegen das Gesetz verstößt. Außerdem haben wir zurzeit nur wenig Zuchtmaterial für die Verarbeitungskartoffel und die Qualitätsstandards sind noch zu gering. Aber die Frage bleibt doch, ob importiertes Kartoffelsaatgut gleich in den Anbau geht oder ob es erst mal für die vor Ort angepasste Weiterentwicklung von Saatgutmaterial eingesetzt und dann erst angebaut wird. Eben wenn es sich auch unter den hiesigen Bedingungen bewährt hat. Und in diesem konkreten Fall sind die relevanten landwirtschaftlichen Akteure überhaupt nicht involviert. Parallel sind wir von dem NPCK ebenfalls dran, um schnellstmöglich gutes Saatgut für den lokalen Anbau von Verarbeitungskartoffeln zu entwickeln und bereitzustellen. Eine Einführung muss auch mit Beratungsarbeit bei Bauern begleitet werden.

Unabhängige Bauernstimme: Was sind genau die Gefahren, wenn Kartoffelsorten für den direkten Anbau importiert werden?

Wachira Kaguongo: Die Experten in dem Bereich sind sich einig, dass dadurch Krankheiten und Schädlinge eingeführt werden können, die in den Niederlanden auftreten, aber die wir in Kenia noch nicht haben. Unter tropischen Bedingungen könnte das extreme Auswüchse mit sich bringen.

Unabhängige Bauernstimme: Wie regieren die Kartoffelanbauer auf diese Abmachung mit den Niederlanden?

Wachira Kaguongo: Sie sind darüber überhaupt nicht glücklich und fordern vom Präsidenten, diese Intervention umgehend zu unterlassen. Die Erzeuger fordern vom NPCK, gerichtlich gegen die Importe von Kartoffelknollen für den unmittelbaren Anbau vorzugehen.

Unabhängige Bauernstimme: Gibt es gentechnisch veränderte Kartoffeln in Ihrem Land?

Wachira Kaguongo: So viel ich weiß, nicht.

Unabhängige Bauernstimme: Welches landwirtschaftliche System ist in Ihrer Vision in Kenia nachhaltig und wirkt der Armut entgegen?

Wachira Kaguongo: Die kenianische Wirtschaft und deren Entwicklung basiert nun mal auf dem landwirtschaftlichen Sektor. Das bedeutet, dass wir Kulturen wie etwa die Kartoffel entdecken müssen, die weit verbreitet angebaut werden können und die zunehmend regional nachgefragt werden. Dafür ist es zunächst wichtig, dass vor Ort die lokale Saatgutvermehrung verbessert wird und neue Technologien und Innovationen genutzt werden. Dazu gehört auch, dass Potenziale in der Kette vom Anbau bis zum Verbrauch entfaltet und ausgebaut werden, die nun mal die ländliche Entwicklung beleben. Die Vermarktungsstrukturen als auch der Zugang zu Krediten muss verbessert werden. Es braucht auch staatliche finanzielle Unterstützung für die Weiterentwicklung in der Landwirtschaft.

Unabhängige Bauernstimme: Vielen Dank für das Gespräch

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 355 - Mai 2012, S. 3
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2012