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INTERNATIONAL/087: Appelle gegen Verschwendung von Nahrung - Experten fordern Umdenken (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Juni 2013

Ernährung: Appelle gegen Verschwendung von Nahrung - Experten fordern Umdenken

von Carey L. Biron


Bild: © Catherine Wilson

Etwa die Hälfte aller in Papua-Neuguinea produzierten Lebensmittel geht nach der Ernte verloren
Bild: © Catherine Wilson

Washington, 10. Juni (IPS) - Ein Viertel aller Kalorien, die Menschen durch Nahrung aufnehmen könnten, geht neuen Expertenschätzungen zufolge verloren. Denn viele Lebensmittel verderben oder werden absichtlich vernichtet. Während es mittlerweile normal geworden ist, trotz weltweit wachsender Nachfrage viel Geld für Nahrungsmittel auszugeben, fordern Entwicklungsexperten deutlicher als je zuvor konzertierte Maßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene.

"Ein ähnliches Debakel hatte die Welt in den 1970er Jahren im Energiesektor erlebt", warnt ein Arbeitspapier des UN-Entwicklungsprogramms UNDP und des Washingtoner 'World Resources Institute' (WRI). Darin heißt es, dass die Anbaufläche für diejenigen Nahrungsmittel, die bereits verschwendet wurden, in etwa der Größe Mexikos entspräche. Auch seien für die Menge 28 Millionen Tonnen Düngemittel verschleudert worden.

Die Gründe, die zu dieser Verschwendung führen, sind vielschichtig. Sie reichen von unsachgemäßer Lagerung bei den Erzeugern und ineffizientem Transport bis hin zur Unkenntnis der Verbraucher im Umgang mit weniger frischen Nahrungsmitteln.

Zeitgleich mit diesen Erkenntnissen sind überraschende neue Zahlen über das Ausmaß des Hungers auf der Welt bekannt gegeben worden. Aus einer Reihe von Untersuchungen, die am 6. Juni im medizinischen Fachmagazin 'The Lancet' veröffentlicht wurden, geht hervor, dass Mangelernährung für 45 Prozent aller Todesfälle von Kindern unter fünf Jahren verantwortlich ist.


Verschwendung im Norden und Süden etwa gleich groß

Zu einem großen Teil ist Nahrungsvergeudung auf unzureichende technische Hilfsmittel zurückzuführen, wie Craig Hanson, WRI-Koautor des neuen Arbeitspapiers, erläutert. Er weist darauf hin, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Nahrungsmittelfragen nach den Ernten spärlich ausfällt. Sie entspricht lediglich fünf Prozent der gesamten Agrarforschungsinvestitionen. "Wenn Geber und Spender den Anteil der Investitionen auf zehn Prozent verdoppeln könnten, stünden den Menschen wesentlich mehr Kalorien zur Verfügung", so Hanson.

Den Forschungsergebnissen zufolge wird in Entwicklungsländern und Industriestaaten ein ungefähr gleich hoher Anteil von Nahrung verschwendet. Während im Norden etwa 56 Prozent aller Lebensmittel auf dem Müll landen, sind es im Süden ungefähr 44 Prozent. Allein Süd- und Südostasien tragen fast ein Viertel zu der globalen Nahrungsvergeudung bei. Die industrialisierten asiatischen Länder folgen mit weiteren 28 Prozent.

Eine Pro-Kopf-Untersuchung der Verschwendung würde wahrscheinlich noch größere Diskrepanzen zutage führen. Die Regierung in Washington schätzt, dass allein in den USA 40 Prozent der Nahrungsmittel vergeudet werden.

In den meisten Regionen der Welt werden laut dem neuen Papier pro Person und Tag zwischen 400.000 (Süd- und Südostasien) und 750.000 Kalorien (Europa) verschwendet. In Nordamerika liegt diese Zahl nach dem Stand von 2011 sogar bei mehr als 1,5 Millionen. Nach aktuellen internationalen Standards benötigt ein Erwachsener im Durchschnitt täglich zwischen 2.200 und 3.000 Kalorien. "Die Reduzierung von Nahrungsverlusten und Verschwendung könnte eine der wichtigsten globalen Strategien zur Erreichung einer nachhaltigen Nahrungsversorgung in der Zukunft werden."

Besonders bedrohlich wirkt hier die Aussicht, dass im Jahr 2050 etwa zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben werden. Um sie alle satt zu bekommen, wären schätzungsweise 60 Prozent mehr Kalorien notwendig als 2006. Wenn das Ausmaß der heutigen Nahrungsverschwendung auf zwölf Prozent halbiert würde, wäre es laut der neuen Untersuchung möglich, 22 Prozent der erwarteten Defizite auszugleichen.

Verantwortlich für die Missstände sind neben den Produzenten und Transporteuren offensichtlich auch die Verbraucher, die zu 35 Prozent an der Nahrungsverschwendung beteiligt sind.


Frauen an vorderster Front bei Nahrungsproduktion

Nach Ansicht von Experten könnten neue Chancen für Frauen, die auf der ganzen Welt Entscheidungen im Agrarbereich und in den Familien treffen, Abhilfe schaffen. "Frauen produzieren, verarbeiten, kochen und verteilen Essen. Ihnen zu helfen, die Verschwendung von Nahrung und Ernteausfälle zu reduzieren, ist sehr wichtig", meint Danielle Nierenberg, Mitbegründerin der Denkfabrik 'Food Tank' in Washington. "Je mehr sie Zugang zu Rohstoffen, Bildung und Infrastruktur erhalten, umso mehr sind sie in der Lage, die Verschwendung von Lebensmitteln zu vermeiden. Dies kommt nicht nur ihren Familien, sondern auch ihren Einkommen und der Umwelt zugute."

In den USA ist die Verschwendung von Lebensmitteln in den vergangenen vier Jahrzehnten offenbar um 50 Prozent gestiegen. Am 4. Juni kündigten die US-Umwelt- und Agrarbehörden eine groß angelegte neue Initiative an, die auf eine Sensibilisierung von Verbrauchern und Unternehmen abzielt.

Die Europäische Union ist noch einen Schritt weiter gegangen und hat das Ziel formuliert, die Verschwendung von Nahrung bis 2020 zu halbieren. Hanson und seine Kollegen fordern nun ein internationales Protokoll, das Ländern und Unternehmen die Instrumente in die Hand gibt, mit denen sie den Grad der Nahrungsmittelverschwendung in aller Welt ermitteln können. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://pdf.wri.org/reducing_food_loss_and_waste.pdf
http://www.thelancet.com/series/maternal-and-child-nutrition
http://www.usda.gov/oce/foodwaste/index.htm
http://www.ipsnews.net/2013/06/international-community-urged-to-declare-war-on-food-waste/

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IPS-Tagesdienst vom 10. Juni 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2013