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INTERNATIONAL/134: Afrika - Gemüse aus dem Sack, von Stadtfarmern und Mikrogärtnern (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. Mai 2015

Afrika: Gemüse aus dem Sack - Von Stadtfarmern und Mikrogärtnern

Von Miriam Gathigah und Lisa Vives


Bild: © Miriam Gathigah/IPS

Alice Atieno zwischen ihren Sackbeeten im Kibera-Slum in der kenianischen Hauptstadt Nairobi
Bild: © Miriam Gathigah/IPS

NAIROBI/NEW YORK (IPS) - In Afrika werden bis zum Jahr 2050 aller Voraussicht nach 58 Prozent der Bevölkerung - 1,26 Milliarden Menschen - in Städten leben. Diese Menschenmassen zu ernähren, ist eine ständig wachsende Herausforderung. Inzwischen betreiben Millionen städtische Arme erfolgreich verschiedene Formen der urbanen Landwirtschaft, um ihr Überleben zu sichern.

In der größten Armensiedlung Afrikas, dem Kibera-Slum in der kenianischen Hauptstadt Nairobi, hat vor einigen Jahren das 'Garten-im-Sack-Konzept' Einzug gehalten. Für diese Form der vertikalen Landwirtschaft spricht eine Vielzahl von Faktoren wie die geringen Produktionskosten und die Möglichkeit, hohe Erträge auf begrenztem Raum zu erzielen.

"Ein Sack kostet etwa zwölf Cent, die Erde höchstens einen Dollar", rechnet der Kibera-Farmer Peris Muriuki vor und fügt hinzu: "Für die meisten von uns ist die Erde kostenlos, weil wir sie uns aus der näheren Umgebung holen."

Die Mikrogärtner brauchen neben den Säcken und der Erde Dung und kleine Steine als Bodensatz, die das überschüssige Wasser drainieren. Sind die Sack-Beete vorbereitet, werden die Pflanzensamen oben und seitlich ins Erdreich gedrückt. Wenn sie keimen, suchen sich die Triebe auf dem Weg zur Sonne ihren Weg durch die seitlich in die Säcke gebohrten Löcher.


Erfolgreiche Projekte

Gefördert wird das Prinzip von etlichen Nichtregierungsorganisationen. Die französischen 'Solidarites International' konnten seit 2008 22.109 Haushalte in den Elendsvierteln Mathare, Kiambiu und Kibera zum Sackgärtnern mobilisieren, wovon insgesamt 110.000 Menschen profitieren. Angelaufen war das Unterfangen als Projekt zur Beschäftigung junger Arbeitsloser im Zusammenhang mit den Unruhen nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2007, die landesweit mehr als 1.000 Tote forderten.

Auch Alice Atieno zieht ihr Gemüse - Kohlköpfe, Spinat, Paprika und Frühlingszwiebeln - in Säcken. Ihre sechs Kinder passen auf, dass sie die Stauden nicht beschädigen. "Sie wissen, was Hunger bedeutet", sagt die Mutter. "Und sie wissen genau, dass es diese Pflanzen sind, die sie ernähren."

Nach Angaben des 'Map Kibera Trust', der sich für die Partizipation von Slumbewohnern an Entscheidungsprozessen einsetzt, generieren die Pflanzsäcke ein wöchentliches Zusatzeinkommen von mindestens fünf US-Dollar. "Das ist recht viel, wenn man bedenkt, dass einer Durchschnittsfamilie nur 50 bis 100 Dollar im Monat zur Verfügung stehen", meint der Wirtschaftswissenschaftler Arthur Kimani.

Courtney Gallaher ist Assistenzprofessorin an der 'Michigan State University'. Sie forscht über Nahrungssysteme und nachhaltige Landwirtschaft. Ihren Untersuchungen zufolge geben die meisten Haushalte im Kibera-Slum 50 bis 75 Prozent ihrer Einkommen für Nahrungsmittel aus. Durch den Verkauf eines Teils des Gemüses, das sie in den Pflanzsäcken ziehen, können sie zwischen 20 und 30 Dollar monatlich - abzüglich der Bewässerungskosten - dazuverdienen.

Zahlen des Landwirtschaftsministeriums von 2010 belegen, dass 30 Prozent der Einwohner Nairobis innerstädtisch und an den Stadträndern Landwirtschaft betreiben, die meisten von ihnen greifen auf städtische Abwässer zurück. Die Nahrungsmittelproduktion in Säcken gilt als gesunde Alternative.

Die städtische Landwirtschaft, ob nun in Säcken oder auf Mikro-Parzellen praktiziert, hat sich längst afrikaweit durchgesetzt. In Kobaya, einer Siedlung am Rand der guineischen Hauptstadt Conakry, bewirtschaftet eine Gruppe von Frauen seit 1997 drei Hektar Land. Die Brunnen auf dem Gelände haben sie selbst gegraben, und die Gartengeräte, die sie benötigen, sowie Säcke und eine Karre, auf der sie ihr Gemüse zum Markt transportieren, sind in einem Schuppen untergebracht.

Die Frauenkooperative benutzt keine chemischen Düngemittel, um die Produktion anzukurbeln. "Unser Gemüse wird natürlich angebaut und geerntet", versichert Ramata Touré, die für die Vermarktung der Erzeugnisse zuständig ist. "Mit Hilfe eines Experten haben wir den Boden so bearbeitet und aufgeteilt, dass wir das ganze Jahr über ernten können."


Afrikaweites Phänomen

In Kamerun, Malawi und Ghana bauen Schätzungen zufolge zwischen 25 und 50 Prozent der urbanen Haushalte Gemüse an. In Malawi verfügen 700.000 Stadtbewohner über Mini-Gärten. In Accra (Ghana) und Freetown (Sierra Leone) ist die städtische Landwirtschaft inzwischen fester Bestandteil der jeweiligen Stadtentwicklungspläne. In vielen afrikanischen Ländern wie Burundi und der Demokratischen Republik Kongo gibt es Schulen, die die Kinder mit selbst angebauten Agrarerzeugnissen versorgen.

Wie aus einer Untersuchung des Internationalen Wassermanagement-Instituts (IWMI) hervorgeht, gehen mindestens 20 Millionen der 100 Millionen Städter Westafrikas irgendeiner Form von Landwirtschaft nach. Weltweit produzieren 800 Millionen Stadtfarmer ein Fünftel der globalen Nahrungsmittel, heißt es in einer weiteren IWMI-Studie aus dem letzten Jahr. (Ende/IPS/kb/20.05.2015)


Links:
http://www.iwmi.cgiar.org/2014/01/harvesting-cities-tapping-the-potential-of-urban-agriculture/
http://www.ipsnews.net/2015/05/kenyans-attack-food-insecurity-with-urban-farms-and-sack-gardens/
http://www.ipsnews.net/2013/08/slum-farmers-rise-above-the-sewers/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 20. Mai 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2015

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