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INTERNATIONAL/173: Brasilien würgt am Skandal um Gammelfleisch (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Brasilien würgt am Skandal um Gammelfleisch

Von Andreas Behn, Rio de Janeiro


(Rio de Janeiro, 28. März 2017, npl) - In Brasilien wird ähnlich viel Fleisch verzehrt wie in westlichen Industrieländern: 80 Kilogramm pro Kopf jährlich. Besonders beliebt ist Rindfleisch. Das gemeinsame Grillen mit der Familie am Wochenende ebenso wie riesige Viehherden auf saftigen Wiesen sind für viele Menschen in Brasilien Teil der Kultur ihres Landes.


Mit Wasser oder Pappmaschee gestreckt

Doch aktuell dreht sich ihnen sprichwörtlich der Magen um. Über Jahre hinweg soll zum Teil verdorbenes Fleisch "gepanscht" und weiterverkauft worden sein. Einige Schlachtbetriebe sollen Fleischprodukte mit Wasser oder sogar Pappmaschee gestreckt und mit Chemikalien weit jenseits der erlaubten Grenzen behandelt haben. Über 30 Unternehmer*innen sowie Funktionär*innen des Agrarministeriums wurden bei Razzien Mitte März festgenommen. Der Vorwurf: Bestochene Lebensmittel-Kontrolleur*innen winkten Gammelfleisch durch, auch für den Export.

Die Ermittlungen brachte Daniel Teixeira bereits vor zwei Jahren ins Rollen. Der damalige Fleischkontrolleur packte aus, weil er nicht weggucken wollte: "Es wurde ganz bewusst verdorbenes Fleisch verarbeitet. Fleisch, dessen Verfallsdatum abgelaufen war oder das nicht gekühlt war", erinnert sich Teixeira. Teilweise hätten Abfallprodukte 94 Prozent bei Aufschnittwaren wie Wurst und Schinken ausgemacht, obwohl je nach Produkt nur ein Anteil von 40 oder 60 Prozent erlaubt sei. "Das drückte natürlich die Produktionskosten. Es handelt sich also um Dumping und Betrug."


DNA-Test: Keine Pute im Putenfleisch

Als besonders haarsträubend hat Teixeira die Herstellung von Wurstwaren in einem Betrieb in Südbrasilien in Erinnerung: "Durch eine DNA-Analyse haben wir festgestellt, dass die Puten-Wurst überhaupt kein Putenfleisch enthielt. Sie enthielt zu wenig Proteine, dafür mehr Zucker und 80 Mal mehr Sojaanteil als erlaubt."

Der Veterinär-Mediziner Teixeira ging davon aus, dass es sich um Einzelfälle handelte, als er damals Alarm schlagen wollte. Doch seine Vorgesetzten versetzten ihn, um den Gang der Dinge nicht weiter zu stören. Daraufhin ging er zur Polizei.

Seitdem der Skandal nun bekannt wurde, wiegelt die Regierung ab. Für sie gibt es keinen Grund zur Sorge. Dass sogar zwei Weltmarktführer unter den verdächtigten Unternehmen sind, wird fast übergangen. Landwirtschaftsminister Blairo Maggi, selbst Sojabaron und Vertreter der Agrarindustrie-Lobby, hält die Vorwürfe für übertrieben. Zusatzprodukte wie Konservierungsstoffe zu benutzen sei völlig normal und bedeute keinerlei Gefahr für die Gesundheit der Konsumenten, so Maggi. "Verfaultes Fleisch? Das halte ich für völlig ausgeschlossen!"


Exporte rückläufig

Dennoch zeigte der Skandal schnell seine Wirkung. Innerhalb von Tagen ging der Fleischkonsum im Inland zurück. Und mehrere wichtige Exportländer, allen voran China, aber auch die Europäische Union, ergriffen Maßnahmen gegen Fleischimporte aus Brasilien. Der sehr lukrativen Fleischindustrie drohen nun empfindliche Einbußen.

Im vergangenen Jahr exportierte Brasilien über eine Million Tonnen Rindfleisch und fast vier Million Tonnen Hühnerfleisch in die ganze Welt. Beim Export setzt die Fleischbranche jährlich 14 Milliarden US-Dollar um. Was für Regierung und Agrarindustrie eine Erfolgsgeschichte ist, halten andere für einen Irrweg: Die ungebremste Ausweitung der Fleischproduktion habe auch jenseits des Haltbarkeitsdatums dramatische Auswirkungen für die Umwelt. Sie führe - erst recht in einem Land wie Brasilien - zur Rodung von Wäldern und leiste nicht zuletzt einen Beitrag zum Klimawandel.


Nachfrage nach Tierfutter führt zu Abholzung von Wald

Nicht nur die Fleischqualität, sondern auch die Herstellung des Tierfutters müsse hinterfragt werden, sagt Maureen Santos von der Heinrich Böll Stiftung. "Der zunehmende Anbau von Soja- und Maismonokulturen führt zur zunehmenden Abholzung der Wälder. Das hat auch negative Auswirkungen auf den Wasserverbrauch und führt zu einem Verlust an biologischer Vielfalt", erklärt Santos.

Das Beispiel Fleisch zeigt, wie ein Problem ins andere greift. Auch wenn alle Vorschriften eingehalten werden, sind die Verbraucher*innen den gewinnsteigernden Methoden der industriellen Landwirtschaft ausgesetzt. Rückstände von Pestiziden sind - zumindest in Südamerika - in jedem saftigen Steak enthalten. Maureen Santos erinnert daran, dass Brasilien Weltmarktführer im Einsatz von Agrargiften ist. "Und da die Nutztiere genau mit diesem verseuchtem Soja gefüttert werden, konsumieren die Fleischesser auch jede Menge gesundheitsschädlicher Substanzen mit."

Bei derartigen Produktionsmethoden droht das Menschenrecht auf Gesundheit und angemessene Ernährung auf der Strecke zu bleiben. In der Bevölkerung wächst die Unsicherheit. Viele Menschen in Brasilien überlegen jetzt zweimal, bevor sie zu Fleisch oder Wurst greifen. Der Skandal um Gammelfleisch könnte ein Anlass sein, sich in Zukunft gesünder zu ernähren.


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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. März 2017

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