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INTERNATIONAL/193: Mexiko - Welches ist das beste Modell für Landwirtschaft? (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Mexiko
Welches ist das beste Modell für Landwirtschaft in Mexiko?

Von Ana de Ita


(Mexiko-Stadt, 27. Mai 2018, la jornada) - US-Präsident Donald Trump lässt die Neuverhandlungen des Freihandelsvertrages Nafta in der Luft hängen. Der mexikanische Präsident Peña Nieto, die Präsidentschaftskandidaten Meade (PRI) und Anaya (PAN-PRD), Regierungsfunktionär*innen und Mitglieder der Agroindustrie und Landwirtschaftsvereinigungen dagegen halten am Freihandel als einziger Idee für die Landwirtschaft fest. Sie kritisieren die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln als Politik der Vergangenheit.

Zwischen 1980 und 1982 stellte sich das Mexikanische Nahrungsmittelsystem (SAM) eben diese Selbstversorgung als Ziel. Ausgangspunkt sollte eine wiederbelebte Produktion von Grundnahrungsmitteln und eine verringerte Importabhängigkeit sein. Im Rahmen dieser Politik nahmen die saisonbedingt als Kleinbäuer*innen arbeitenden Personen eine Schlüsselstellung ein, um die landwirtschaftliche Produktion wieder anzukurbeln. Das SAM gilt als einzige Erfahrung einer erfolgreichen strategischen Planung in der Landwirtschafts- und Nahrungsmittelproduktion in Mexiko.


Heute ist Mexiko abhängig von Nahrungsmittelimporten

Die aktuellen Modernisierer*innen haben ebenso wenig wie diejenigen, die zuvor den Freihandel in der Landwirtschaft als einzigen Weg für Fortschritt, Armutsbewältigung und Eintritt in die Erste Welt anpriesen, eine ereignisorientierte Auswertung des Modells durchgeführt. In den 1980er Jahren importierte Mexiko nur zehn Prozent der im Inland konsumierten Nahrungsmittel. Davon kamen etwa 75 Prozent aus den USA. Doch die Strukturpolitiken und die durch Nafta garantierte Handelsöffnung haben das Land in die Nahrungsmittelabhängigkeit geführt. Heute importiert Mexiko 45 Prozent seines Nahrungsmittelbedarfs. Mehr als 70 Prozent dieser Importe kommen aus den USA. Die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) geht davon aus, dass ein Land mehr als 75 Prozent der von ihm verbrauchten Nahrungsmittel produzieren muss, um nicht anfällig für Preisschwankungen, Wirtschaftskrisen, politischen Druck und Knappheit zu sein.

Die Landwirtschaftspolitik, die Nafta begleitete, ist von der kurz greifenden Theorie der komparativen Vorteile geleitet gewesen. Demnach war es billiger, im Ausland die Nahrungsmittel zu kaufen, die auch im eigenen Land angebaut werden konnten. In diesem Sinne beschleunigte die mexikanische Regierung die Handelsöffnung. Schutzbarrieren für die interne Produktion, beispielsweise von Mais, fielen weg. Subventionen gingen vor allem an die Großproduzenten im Agrarsektor, die Agroindustrie und die Handelsmultis. Die staatlich unterstützte landwirtschaftliche Produktionsstruktur wurde demontiert, die eigenen Regulierungs- und Förderungsfunktionen abgeschafft.


Kleinbäuer*innen wanderten in die Städte und in die USA ab

Die realen Preise, die den Produzent*innen von Grundnahrungsmitteln gezahlt wurden, halbierten sich in der Nafta-Übergangszeit auf fast die Hälfte. 2007 waren in der Landwirtschaft bereits zwei Millionen direkte Arbeitsplätze verloren gegangen. Die kleinbäuerliche Landwirtschaft, die sich ohne Schutzregeln und Unterstützung wiederfand und sich auf einem Binnenmarkt sah, der von Importen mit Dumpingpreisen überschwemmt war, konnte die Familie, die zuvor einer Produktionseinheit arbeitete, nicht mehr ernähren. Die Familienmitglieder ließen die Reihen der Tagelöhner*innen anwachsen oder wanderten in die Städte und die USA ab. Die kleinen Landwirt*innen waren geschwächt. Da sie keine Familie mehr ernähren konnten, flüchteten sie sich intelligenterweise in den Eigenverbrauch und hielten sich zu weiten Teilen mit den Überweisungen der in die USA migrierten Familienangehörigen über Wasser.

Die mittelständischen Bäuer*innen, die Organisationsprozesse in die Wege geleitet hatten, um die verschiedenen Produktionsetappen zu kontrollieren, konnten der multinationalen Konkurrenz und der gegen die eigenen Landwirt*innen gerichteten Regierungspolitik nicht standhalten. Den Handelsriesen, der Agroindustrie und den Banken ausgeliefert, gingen sie bankrott. Ihre Organisationen verschwanden, verloren ihre Infrastruktur. In mehreren Fällen wandelten sich ihre Regionen, die sie belebt und geschützt hatten, in Bastionen des organisierten Verbrechens.


Binnenproduktion von Grundnahrungsmitteln sollte gefördert werden

Während die Bevölkerung wuchs, eliminierte die Politik Anreize für die Grundnahrungsmittelproduktion. Die Folge waren Stillstand oder Produktionsrückgänge. Die Einfuhren nahmen zu und die Nahrungsmittelabhängigkeit des Landes steigerte sich. Einzig die inländische Maisproduktion ist in der Nafta-Zeit gewachsen - weil er anders als früher nun auch vermehrt im Bewässerungsfeldbau von Großproduzenten angebaut wird. Im vergangenen Jahr wurden 27,4 Millionen Tonnen geerntet. Aber die Nachfrage nach dem sogenannten gelben Mais als Futter für Rindvieh, Schweine und Geflügel wuchs noch schneller an. Zusammen mit der industriellen Nachfrage nach Speisestärke wird dieser Bedarf durch Importe befriedigt. 2017 hatte die Maiseinfuhr ein Volumen von 15,3 Millionen Tonnen. Eine Rekordziffer, die 36 Prozent des Binnenkonsums entsprach.

Die Anhänger*innen der komparativen (Kosten-)Vorteile in der Landwirtschaft übersehen, dass die Obst- und Gemüseproduktion, die für den Handelsüberschuss mit den USA verantwortlich ist und bei der Mexiko komparative Vorteile hat, bis auf wenige Ausnahmen nicht mit der Fläche für Grundnahrungsmittel konkurriert. Die angebauten Obst- und Gemüsesorten gelten als Luxusprodukte, weil sie verzichtbar sind. Es bestehen Klima- und Marktbarrieren, die es ihnen verbieten, sich auf den immer noch 13 Millionen Hektar auszubreiten, auf denen von fast vier Millionen Landwirt*innen Grundnahrungsmittel angebaut werden. Die Produktion von Avocados, Tomaten, Pfeffer, Broccoli, Melonen und allen möglichen Beeren beansprucht gerade einmal eine Million Hektar. Sie wird von etwa 500, oft ausländischen, Unternehmen kontrolliert und schafft weniger als eine Million oft miserabler Arbeitsplätze. Damit nicht genug: Der Export von Obst und Gemüse ist kein Argument gegen die Förderung der Binnenproduktion von Grundnahrungsmitteln und eine Politik, für die die Bäuer*innen im Mittelpunkt stehen.

Ana de Ita ist Leiterin des Studienzentrums für den Wandel im Mexikanischen Landbau (Ceccam)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2018

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