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LANDWIRTSCHAFT/1415: Agrarfabriken oder Bauernhöfe (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 330 - Februar 2010
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Agrarfabriken oder Bauernhöfe
Expansion der Agrarkonzerne trifft auf gesellschaftlichen Widerstand

Von Eckehard Niemann


"Bauernhöfe statt Agrarfabriken" - dies ist seit Jahrzehnten ein zentrales Motto der AbL. "Bauernhöfe statt Agrarfabriken" - dieser Kampf ist jetzt in eine neue Etappe getreten, in der es für Bauern, Umwelt, Tiere, Verbraucher und Regionen viel zu gewinnen, aber auch viel zu verlieren gibt. Dem Vordringen der Agrarindustrie - vor allem in den Bereichen der Geflügel- und Schweinehaltung - stellen sich inzwischen an fast jedem geplanten Standort starke und entschlossene Bürgerinitiativen entgegen. Der Widerstand gegen Agrarfabriken und für eine artgerechte Tierhaltung auf Bauernhöfen ist zu einer gesellschaftlichen Bewegung geworden. Es kommt jetzt darauf an, dass sich verstärkt auch Bauern aktiv und nicht nur sympathisierend in diese Auseinandersetzung einklinken und einmischen!


Schockemöhle, Wesjohann, Meerpohl

Bereits in den 60er Jahren ordneten sich Agrarkonzerne die Wachstumsbereiche der Geflügelhaltung unter und entrissen diesen Bereich fast vollständig der Landwirtschaft. Mittels der neu entwickelten Käfig- und Stallhaltungssysteme bauten Agrarindustrielle wie Pohlmann, Schockemöhle, Wesjohann oder Meerpohl durchrationalisierte und flächenunabhängige Imperien auf - zunächst in der Region Südoldenburg, nahe den Importhäfen für billige Soja-Futtermittel aus Übersee. "Und ewig stinken die Felder" - so schon damals der Slogan des örtlichen Widerstands gegen die immer mächtigere Agrobusiness-Lobby, die durch örtliche Politiker ebenso unterstützt wurde wie durch die nationale und internationale Agrarpolitik. Am ehemaligen Vorbild Holland wurden die Folgen dieser Entwicklung bald deutlich: Die Acker konnten die aus Übersee importierten Futter-Nährstoff-Überschüsse bald nicht mehr fassen. Auch Projekte wie die Verteilung über Güllebörsen, Verbrennung oder Trockenkotexporte (bis nach Arabien) lösten das Problem nicht. Die Akzeptanz, die die Gesellschaft für Bauernhöfe gehabt hatte, galt für die Agrarfabriken nicht mehr.

Die holländische Gesellschaft distanzierte sich von der immer isolierteren Landwirtschaft. Mittlerweile sind die Stickstoff- und Phosphorüberschüsse so erdrückend, dass man für eine Betriebserweiterung teure Nährstoff-Zertifikate kaufen muss. Der Staat kauft Agrarfabriken aus der Landwirtschaft heraus (und gibt den Agrarindustriellen so das Startkapital für den Bau noch größerer Agrarfabriken in Ostdeutschland). Andererseits gehen jetzt gerade vom agrarindustriegeplagten Holland viele positive Anregungen und Entwicklungen für eine artgerechte Tierhaltung aus - vom "Scharrelschwein" bis hin zur Vermarktung artgerecht erzeugten Fleisches.


Vom Käfig zurück auf die Höfe

Mit der Legehennenhaltung im Käfig hatte die Agrarindustrialisierung begonnen - hier erlitten Eierkonzerne wie die "Deutsche Frühstücksei" auch ihre erste entscheidende Niederlage. Aufgerüttelt durch immer neue Skandale und Medienberichte erzwangen Tierschützer und Konsumenten die Angabe der Haltungsbedingungen auf den Eiern, kauften die Verbraucher immer weniger Käfigeier, reagierten die Handelskonzerne mit der Auslistung von Käfigeiern aus den Regalen. Das EU-weite Verbot der Käfighaltung überraschte die Geflügellobby, selbst ihr von Bauernverband und loyalen Wissenschaftlern gepushter "ausgestalteter Käfig" musste wahrheitsgemäß als Käfig deklariert werden und scheiterte.

Die Umstellung auf Boden-, Freiland- oder Ökohaltung schafft neue lukrative Märkte für Bauern und bringt jetzt erstmals einen Teil der Geflügelhaltung wieder zurück auf die Höfe. Allerdings geschieht auch diese Entwicklung noch weitgehend unter Regie der alten Eierkonzerne: ein neues "Agrarindustrie-Bio" mit Tierzahlen weit oberhalb einer artgerechten Haltung. Ein ehrliches Siegel "bäuerlich" hätte große Chancen, muss aber erst noch von den Verballhornungen und Missbräuchen durch die Agrarindustrie befreit und zurückerobert werden.


Hässliche Geflügelmast

Als hässlichste Variante der agrarindustriellen Haltung verbleibt nun noch die Haltung von Hähnchen und Hühnchen, Puten und anderen Geflügelarten. In diesem Bereich betreiben Konzerne wie Wesjohann ("Wiesenhof"), Stolle, Rothkötter oder Sprehe die Produktion - anders als die Eierkonzerne - nur zum Teil in eigenen Anlagen: Die Investitions- und Produktionsrisiken werden Vertragsmästern aufgedrückt, deren Gewinne bzw. deren Selbstausbeutung man durch die Preise bei Futter und Küken und bei der Abnahme der Tiere beliebig so steuern kann, dass eine Minderheit halbwegs ausreichend verdient und als Vorbild hingestellt wird und die Mehrheit der Mäster kaum Lohnanspruch und Eigenkapitalverzinsung erreicht. Dieses System funktionierte halbwegs, solange die obigen Konzerne ungestört und halbwegs koordiniert nebeneinander her wachsen konnten. Nun stößt die Expansion auf Grenzen: inländische und europäische Märkte sind gesättigt, auch der Export in Drittländer funktioniert nicht mehr. Rothkötter ("Emsland-Frischgeflügel") will seinen Konkurrenten Marktanteile abnehmen und wirbt massiv neue Mäster für neue Schlachtanlagen an. Wesjohann, Stolle und Sprehe reagieren ihrerseits mit der Anwerbung "eigener" neuer Mäster. Die Folge: massive Produktionsausweitung bei nur schwach wachsendem Verzehr.

Trotz unübersehbarer Anzeichen für einen baldigen Zusammenbruch des Marktes unterstützen Bauernverband und Landwirtschaftskammern die Anwerbungsveranstaltungen für neue Vertragsmäster und veröffentlichen Jubelmeldungen über den "Wachstumsmarkt Geflügelfleisch". Der Widerstand gegen neu geplante Mastställe kann deshalb nicht nur mit der nicht artgerechten Haltung, den Gräben in den Dörfern, der Schädigung der Umwelt und des Klimas und der Regionen, der Zerstörung der Märkte von Bauern in den armen Ländern und der Verantwortung des einzelnen Landwirts argumentieren, sondern auch mit betriebswirtschaftlichen Zahlen. Klar ist: Die Geflügelmast ist nicht der gesuchte rettende Strohhalm für nach Alternativen suchende Milch-, Schweine- und Ackerbauern.


Schweinehaltung rückbaubar halten

Auch in der Schweinehaltung gibt es eine gesellschaftliche Kritik an den Haltungsbedingungen, an fehlendem Auslauf, Platz, am Kupieren der Schwänze und am Spaltenboden ohne Stroh. Die meisten Schweinehalter sind noch nicht direkt abhängig - aber offensichtlich stehen verstärkt die Konzerne aus Futtermittel-, Genetik- und Schlachtindustrie hinter den sich bildenden Konzernen Straathof, van Gennip und Co. - mit mehreren Hunderttausenden von Schweinen. Immer mehr Sauen- und Mastbetriebe wachsen zudem in agrarindustrielle Dimensionen, oberhalb der Grenzen, die der Gesetzgeber im Bundesimmissionsschutzgesetz für industrielle Ställe definiert (z.B. 1.500 Mastplätze). Sie forcieren nicht nur auf Kosten der meisten Schweinehalter den Strukturwandel und die Überschussproduktion für den sogenannten "Weltmarkt", sie schaffen auch agrarindustrielle Dimensionen, die nicht mehr rückbaubar sind auf eine artgerechte Schweinehaltung in bäuerlicher Flächengebundenheit und Kreislaufwirtschaft. Ohne einen erfolgreichen Kampf gegen Agrarfabriken gibt es keine Zukunft der Höfe und der bäuerlichen Landwirtschaft. Das hält die Zukunft offen für den gleichzeitigen Einsatz für veränderte Rahmenbedingungen in Produktion, Vermarktung, Einkaufs- und Ernährungsverhalten.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 330 - Februar 2010, S. 12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. März 2010