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LANDWIRTSCHAFT/1493: Folgen von EHEC für die Landwirtschaft (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 346 - Juli/August 2011
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Folgen von EHEC für die Landwirtschaft

Direktvermarkter überstehen die Krise besser als Produzenten für den Großhandel


Zuerst sind es Gurken aus Spanien, dann Tomaten, Gurken und Salat aus Norddeutschland. Russland stoppt seine Gemüseexporte aus der EU. Spanien zeigt sich empört über die Verdächtigungen. Zuletzt sollen es dann Sprossen sein, die den gefürchteten EHEC-Erreger verbreitet haben. Nach Aussagen vieler Fachleute ist es jedoch wahrscheinlich, dass die endgültige Herkunft der Keime nie geklärt werden kann. Lange hat das Robert-Koch-Institut (RKI) und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) dazu geraten, keine rohen Tomaten, Salatgurken und Blattsalate sowie Sprossen zu verzehren. Verantwortliche Behörden sind zu solchen Warnmeldungen verpflichtet, wenn ein Risiko für die menschliche Gesundheit besteht, so das Bundesministerium für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Der Warnhinweis von RKI und BfR beruhte dabei jedoch nicht auf Laborbefunden, sondern auf der Befragung erkrankter Menschen, die Angaben zu konsumierten Produkten gemacht haben. Die folgende Entwarnung kam für viele Gemüsebetriebe zu spät. Nach Schätzung der Bundesvereinigung der Erzeugerorganisationen Obst und Gemüse (BVEO) von Anfang Juni hatten die deutschen Gemüsebauern täglich Umsatzeinbußen von rund vier bis fünf Millionen Euro. Viele Gemüsebauern stellen sich die Frage, ob nicht doch zu schnell vor einzelnen Gemüsesorten gewarnt wurde.


Dramatischer Zustand

Als dramatisch beschreibt Theo Däxl vom Landesverband bayerischer Feldgemüsebauern e.V. die Situation auf den Gemüsebetrieben. Der Absatz sei eingebrochen und auch die Verbraucher seien sehr verunsichert. "Der Schaden ist nicht nur wirtschaftlich. Wir erleiden auch einen enormen Imageverlust", erzählt Däxl. Die Schuld daran sieht der Geschäftsführer in der Vorgehensweise der Politik und der Behörden. "Da wurden die Meldungen rausgehauen, bevor die betroffenen Betriebe überhaupt begutachtet wurden." Nach seiner Meinung wäre es sinnvoller gewesen, die Verbraucher über Hygienemaßnahmen wie Lagerung, Waschen des Gemüses und Küchenhygiene aufzuklären, anstatt undifferenziert die Ursache der Rohkost zuzuschieben. Zudem müsse die Zusammenarbeit bei der Suche nach dem Ursprung des Erregers besser koordiniert werden. Für Däxl ist ganz klar - "Verbraucherschutz steht vor wirtschaftlichen Interessen. Doch die stetig neuen Falschmeldungen tragen nicht zum Verbraucherschutz bei, sondern erzeugen Panik."


Große Verluste

Welche Auswirkungen die EHEC-Krise auf das Kaufverhalten der Verbraucher hatte spürte Andreas Backfisch ganz unmittelbar. Er betreibt einen Bio-Gemüsebetrieb in Niedersachsen und verkauft sein Gemüse auf dem Markt, in Abokisten und zum Teil an den Großhandel. Nach dem Auftreten des Erregers brach der Salatverkauf an den Großhandel total zusammen. "Von 120 Kisten Salat pro Woche will der Großhandel momentan nur noch drei!", erzählt der Gemüsebauer. Kindergärten, die Abokisten beziehen, haben zum Teil neben Tomaten, Salat und Gurken auch anderes Rohkostgemüse wie Kohlrabi und Fenchel, manche sogar Obst, gänzlich abbestellt. "Zur Zeit fehlen uns etwa 1.000 Euro pro Woche", berichtet Backfisch. Nur über die Direktvermarktung lief der Verkauf noch recht gut. "Der Vorteil der Direktvermarktung ist, dass wir mit unseren Kunden kommunizieren können und ihnen so eine Sicherheit geben, die sie beim Kauf von Gemüse im Supermarkt nicht haben." Trotzdem kam es bei vielen Menschen zu regelrechter Hysterie, nach den vielen Falschmeldungen der Behörden. Andreas Backfisch ist ratlos. "Ich habe mir schon oft überlegt, was ich tun würde, wenn ich in der Haut der Verbraucherministerin stecken würde." Er selbst hat eine Bekannte, die an dem EHEC-Erreger erkrankt ist und im Krankenhaus behandelt wird. Die Schwierigkeit sieht er darin, dass bisher im Grunde immer nur Vermutungen der Behörden geäußert wurden, die sich alle als falsch erwiesen haben. "Das Vertrauen der Bauern in die Politik und die Wissenschaftler geht verloren", weiß Backfisch.


Bekanntheit schützt

Doch die Politik steht in der Verantwortung, wenn sie den Verbraucher nicht über jedes Detail frühzeitig aufklärt. Das sieht auch der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) so. "Die Politik kann und darf einen Verdacht nicht verschweigen", sagt Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf. Er sieht die Verantwortung auch bei den Gemüseerzeugern, die ihre Produkte an Großhändler verkaufen. "Die Leute, die an anonyme Märkte liefern, sollen sich nicht beklagen. Sie gehen ein höheres Risiko ein." Ein Betrieb, der unter seinem Namen verkauft, trägt eine größere Verantwortung für seine Produkte, hat aber auch bei seinen Kunden, die seinen Betrieb und ihn kennen, ein größeres Vertrauen. Der Gemüsebauer aus Nordrhein-Westfalen spricht aus eigener Erfahrung in der Direktvermarktung. "Ein eigener Name schützt dich vor dem allgemeinen Strudel", weiß Baringdorf. Trotzdem spürt auch er die Kaufzurückhaltung der Kunden. Anders als auf einem anonymen Markt kann er jedoch durch die Direktvermarktung viele seiner Kunden direkt erreichen und aufklären. (mh)


Der Erreger

EHEC (Enterohämorrhagische Escherichia coli) Erreger sind Stämme der Escherichia coli Bakterien, die vor allem im Darm von Wiederkäuern vorkommen. Auch andere Tiere wie Hühner oder Schweine können sich infizieren, ohne selbst zu erkranken.

Bei dem Ausbruchsstamm handelt es sich um eine Kreuzung aus bereits bekannten Stämmen, der die Eigenschaften unterschiedlicher Erreger vereint. Er hat eine höhere Resistenz gegen Antibiotika und eine stärkere zellschädigende Wirkung auf Nierenzellen. Nach Ansicht von Fachleuten kann der erhöhte Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung dazu führen, dass Erreger resistent werden. Zudem haben Wissenschaftler aus den USA festgestellt, dass bei einer Fütterung mit viel Kraftfutter mehr EHEC-Keime im Rinderdarm entstehen als bei einer Fütterung mit Heu und Gras.

Der Erreger kann durch Rohkost vom Tier auf den Mensch übertragen werden, wenn bei Anbau, Transport oder Verarbeitung das Obst oder Gemüse mit Gülle in Berührung kommt. Auch Rohmilch und rohes Fleisch gelten als Überträger. Wissenschaftler schließen auch eine Übertragung des Erregers durch Wasser oder Saatgut nicht aus. Laut dem Bundesministerium für Gesundheit hat es in Europa bisher keine Erkrankungsfälle mit diesem EHEC-Typ gegeben. Auch auf Lebensmitteln wurde er davor nicht nachgewiesen.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 346 - Juli/August 2011, S. 7
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2011