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LANDWIRTSCHAFT/1650: Tierwohlinitiative überzeichnet (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 389 - Juni 2015
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Tierwohlinitiative überzeichnet
Neben mehr Geld fehlen auch Visionen für eine zukünftige Tierhaltung

Von Marcus Nürnberger


Die Branchenlösung "Initiative Tierwohl", bei der die teilnehmenden Einzelhandelsketten seit dem 1. Januar 2015 für jedes verkaufte Kilo Fleisch und Wurst vier Cent in einen Fonds einzahlen, erlebt große Nachfrage. 4.653 Tierhalter mit rund 25,5 Millionen Tieren haben sich registrieren lassen. Zu viele! Zu wenig Geld ist im Fonds. Zunächst werden nur 2.142 schweinehaltende Betriebe zur Auditierung für die Initiative Tierwohl zugelassen, so dass insgesamt 12.030.514 Tiere von den Tierwohl-Maßnahmen profitieren könnten. Die restlichen Betriebe, also über die Hälfte, stehen auf Wartelisten. Dass so viele Landwirte bereit sind, an der Initiative teilzunehmen, war überraschend. Immerhin müssen die Betriebe, damit sie im Auditierungsverfahren bestehen, zur Finanzierung der Stallumbauten in Vorleistung gehen. Besonders nachteilig ist dies für die 2.511 Betriebe auf der Warteliste.

Langer Vorlauf

Schon 2010 hat der damalige niedersächsische Landwirtschaftsminister Gert Lindemann (CDU) das Arbeitsprogramm "Tierschutzplan Niedersachsen" auf den Weg gebracht. Selbst aktiv werden und nicht Vorgaben der Politik hinterherlaufen, das war eine der Motivationen bei der Entwicklung der Initiative Tierwohl. Aus dem Fonds werden die Tierwohlverbesserungen in den Ställen der teilnehmenden Bauern bezahlt. Eine getrennte Erfassung, Verarbeitung und Auslobung im Laden ist nicht angestrebt. "Der Kunde würde, wenn er die Wahl hat, doch wieder zum günstigeren Produkt greifen", ist sich Dr. Karl Heinz Tölle, Leiter des Geschäftsbereichs Projektmanagement Agrarpolitik und Marktstruktur bei der Interessenvertretung der Schweinehalter in Deutschland e.V., (ISN) sicher. Die ISN fordert, den Fonds aufzustocken: "Wanted - mehr Geld für Tierwohl". Gezielt spricht sie einzelne Unternehmen, Ikea und Volkswagen, McDonalds und Burger King an, sich ebenfalls am Tierwohlfonds zu beteiligen. "Hi McDonalds, gibt's euren Bacon auch mit extra Tierwohl ... und warum macht ihr noch nicht mit?"

Kleine Schritte

Betrachtet man sich allerdings die Maßnahmen, die neben den Pflichtkriterien ausgewählt wurden, so wird deutlich, dass die Landwirte durchaus vorsichtig vorgegangen sind. Besonders häufig gewählte Wahlpflicht- und Wahlkriterien in der Schweinemast sind "zusätzliches organisches Beschäftigungsmaterial", also ein Eimer mit Stroh oder Heu, "zehn Prozent mehr Platz" und "Saufen aus offener Fläche". Ganz ähnlich ist es bei der Ferkelhaltung: "zusätzliches organisches Beschäftigungsmaterial", "ständigen Zugang zu Raufutter in der Gruppenhaltung", "Bereitstellung von organischem Nestbaumaterial" und "zehn Prozent mehr Platz" sind hier die am häufigsten gewählten Kriterien. Ob diese Schritte ausreichen, um der Tierhaltung in einem immer engeren Markt und bei wachsender Kritik aus der Öffentlichkeit eine Zukunft zu sichern, bleibt offen und wird auch von den Interessenverbänden nicht beantwortet. "Wir brauchen belastbare Antworten für eine Vielzahl von Fragestellungen", sagt Dr. Torsten Staack, Geschäftsführer der ISN auf deren Homepage und nennt von Tierwohl und Nachhaltigkeit bis hin zu bedenklichen Konzentrationserscheinungen auf der Abnehmerseite einige besonders brisante Themen.

Weiterentwicklung

Die Tierwohlinitiative hatte einen guten Start. Die Anzahl der teilnehmenden Landwirte ist überzeugend. Wohin aber wird sich das Projekt entwickeln? Wird es langfristig Betriebe mit und ohne höhere Tierwohlstandards geben? Wird es einem mündigen Verbraucher langfristig zu vermitteln sein, dass er zwar mehr Tierwohl bezahlt, aber das Fleisch als solches in der Theke nicht kenntlich ist? Ist es zu vermitteln, dass Tierwohl zum Wahlkriterium wird, oder müsste es nicht zum Standard der guten fachlichen Praxis werden? Wenn die Tierwohlinitiative nicht nur eine Beruhigungspille für Handel und Verbraucher sein soll, die sich in wenigen Monaten oder Jahren langsam wieder aus den Kühltheken schleicht, dann gilt es, sie jetzt auszugestalten und weiter zu entwickeln. Wie sollen die Ställe der Zukunft aussehen, wie viel Platz pro Tier, wie viel Auslauf? Im Gespräch mit Vertretern der Branche bekommt man schnell den Eindruck, dass die bestehende Praxis noch immer als optimal betrachtet wird. Das spiegeln auch die Zahlen und die Art der aktuell beantragten neuen Ställe wider. Sie alle folgen dem bisherigen Modell mit hoher Intensität, geregelter Belüftung, Vollspalten, ohne Auslauf und Möglichkeit zum Einstreuen. Aber auch die Strukturen, immer stärkere Abhängigkeiten und zunehmende Vorgaben der Abnehmer setzen die Landwirte unter Druck und müssten geändert werden. Ein pauschaler Verweis auf die Macht der Märkte ist Zeugnis der Resignation oder von Verbandsfunktionären bewusst genutztes Argument, um Konzentrationsprozesse weiter voranzutreiben.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 389 - Juni 2015, S. 5
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2015

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