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LANDWIRTSCHAFT/1738: Der Umbau der Tierhaltung muss bezahlt werden (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 414 - Oktober 2017
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Der Umbau der Tierhaltung muss bezahlt werden
Zur Finanzierung der erheblichen Mehrkosten gibt es verschiedene Möglichkeiten

Von Ulrich Jasper, AbL-Bundesgeschäftsführer


Der Umbau weiter Teile der Tierhaltung kann für die bevorstehende "Kleeblatt"-Koalition zu ihrem zentralen gemeinsamen Projekt im Bereich Agrarpolitik werden. Der Handlungsbedarf ist von allen beteiligten Parteien anerkannt, auch wenn es Unterschiede bezüglich Geschwindigkeit und Reichweite des Umbaus gibt. Für die tierhaltenden Betriebe kann ein solches gemeinsames Projekt eine große Chance sein, damit sie nicht länger allein gelassen werden mit den geänderten Anforderungen der Gesellschaft an die Tierhaltung. Ob "Jamaika" aber tatsächlich eine Chance für die Tierhalter und die Tiere wird, ist nicht sicher. Das hängt vor allem davon ab, ob die Koalitionäre dafür sorgen können, dass die Bauern auf den erheblichen Mehrkosten für tiergerechte Haltungssysteme (Ställe) und Verfahren (Arbeitsaufwand) nicht sitzenbleiben. Politik und Verwaltung haben die heutigen Ställe und Verfahren genehmigt, staatlich gefördert und auch Ausbildung und Beratung darauf ausgerichtet. Davon nun Abschied zu nehmen und neue, tiergerechte Ställe und Verfahren in der breiten Praxis umzusetzen, ist deshalb eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, auch finanziell.

Ausmaß der Mehrkosten

Die Wissenschaft gibt die Mehrkosten auf drei bis fünf Milliarden Euro pro Jahr allein für Deutschland an (WBA-Gutachten 2015). Das entspricht bis zu 20 % der Verkaufserlöse mit tierischen Erzeugnissen, wobei der Umbau in der Schweinehaltung am teuersten ist (ca. 2 Mrd.). Diese Kosten entstehen nicht vom ersten Tag an, aber diese Zahlen machen die Herausforderung deutlich. Diese Kosten können die landwirtschaftlichen Betriebe niemals tragen. Zum Vergleich: Für die einzelbetriebliche Stallbauförderung in Deutschland haben EU, Bund und Länder im Jahr 2016 laut Bundesministerium BMEL insgesamt 80 Mio. Euro ausgegeben. Für die Förderung besonders tiergerechter Haltungsverfahren waren es 2,5 Mio. Euro. Die Lücke ist riesig.

Anteil aus dem Markt

Ein gewisser Teil der Lücke wird über die notwendige Marktdifferenzierung mit Kennzeichnung besonders tiergerecht erzeugter tierischer Lebensmittel (Milch, Fleisch, Ei-Waren) getragen werden müssen. Beim Fleisch hat Bio allerdings mit viel Arbeit gerade mal einen Marktanteil von knapp 2 Prozent erreicht. Der Weg über den Markt muss unbedingt weitergegangen werden, aber er ist noch lang.

Es braucht also politische Finanzierungsinstrumente, wenn der Umbau gelingen soll. Ein Griff in den konjunkturell prall gefüllten Bundeshaushalt wäre möglich, indem z.B. die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz (GAK) schrittweise erhöht wird. Der erste Schritt wäre, die im Haushaltsplan für 2018 vorgesehene Kürzung um 55 Mio. Euro gegenüber 2017 abzuwenden und für die Folgejahre einen Anstieg einzuplanen. Mit einem großen Plus tut sich der Bund aber auch deshalb schwer, weil bei der GAK letztlich die Bundesländer entscheiden, wofür sie die Gelder einsetzen.

Mehrwertsteuer auf Fleisch

Um eine höhere staatliche Förderung finanzieren zu können, hat der ehemalige CDU-Staatssekretär im Bundesministerium BMEL, Gert Lindemann, eine höhere Mehrwertsteuer auf Fleisch vorgeschlagen. Er will den verminderten Umsatzsteuersatz auf Schlachttiere und Fleisch von heute in der Regel 7 Prozent auf 19 Prozent anheben. Diese Steuer würde auch auf Importe erhoben. Die größten Probleme liegen darin, dass die Einnahmen aus einer Steuer offiziell nicht an einen bestimmten Zweck gebunden werden dürfen - dazu bräuchte es informelle Absprachen. Und nur gut die Hälfte der Mehrwertsteuer landet beim Bund, der Rest bei Ländern und Kommunen.

Abgabe für Tierwohl-Fonds

Für besondere Aufgaben - wie den Umbau der Tierhaltung - kann der Bund per Gesetz eine Sonderabgabe einführen. Es ließe sich eine Sonderabgabe auf Fleisch, Fleischwaren und weitere tierische Erzeugnisse erheben, die in einen Fonds geht, um daraus besonders tiergerechte Haltungsverfahren zu fördern. Dieser Fonds wäre bundesweit einheitlich tätig. Die Abgabe könnte auch importierte Waren einschließen. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Instrument Sonderabgabe im "CMA-Urteil" jedoch enge Grenzen gesetzt.

Branchenorganisation aus ITW

Der frühere agrarpolitische Sprecher der CDU im Bundestag und heutige Raiffeisen-Präsident Franz-Josef Holzenkamp bevorzugte einen anderen Weg: Nach der EU-Marktordnung können Mitgliedstaaten stufenübergreifende Branchenorganisationen anerkennen, die z.B. das Ziel "Verbesserung der Tiergesundheit und des Tierschutzes" und/oder Förderung "umweltfreundlicher Erzeugungsmethoden" verfolgen. Eine solche Branchenorganisation muss mindestens zwei Stufen von Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung umfassen. Der Mitgliedstaat kann Beschlüsse einer Branchenorganisation befristet für allgemeinverbindlich erklären, wenn die Mitglieder der Branchenorganisation zusammen einen Marktanteil von mindestens zwei Drittel haben. Auch Finanzierungsbeiträge an die Branchenorganisation können allgemeinverbindlich festgesetzt werden. Das EU-Recht gibt somit die Möglichkeit, die Initiative Tierwohl in eine anerkannte Branchenorganisation zu überführen und z.B. alle Handelsketten und alle anderen Fleischwaren-Verkäufer (McDonalds ...) für eine befristete Dauer zur Zahlung eines Tierschutz-Beitrages verpflichten. Dieser Weg erfordert die Gründung einer Branchenorganisation über mindestens zwei Stufen mit entsprechenden Marktanteilen hinweg, entsprechende Beschlüsse, einen Antrag an das BMEL sowie dann seitens des BMEL den Erlass einer entsprechenden Verordnung. Es kommt jetzt darauf an, die bestehenden Möglichkeiten in Berlin zu prüfen und zu nutzen.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 414 - Oktober 2017, S. 6
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Dezember 2017

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