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LANDWIRTSCHAFT/1745: Digitalisierung in der Landwirtschaft (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 416 - Dezember 2017
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Digitalisierung in der Landwirtschaft
Schon lange da und doch ganz neu in seiner Reichweite, entstehenden Abhängigkeiten und Fragen der Datensicherheit

von Marcus Nürnberger


Digitalisierung, Precision Farming, Smart Farming, Cloud-Speicher, Landwirtschaft 4.0 oder auch Big Data. Es ist eine ganze Woge von Begriffen, die einem entgegengespült wird, wenn es um den - sofern man den Herstellern auf der Agritechnica folgt - neuesten Trend in der Landwirtschaft geht. Digitalisierung: ursprünglich nur die Umwandlung eines analogen Signals in ein vom Computer zu verarbeitendes Format. Digitalisierung ist aber auch ein Prozess, der einen Wandel beschreibt. Der digitale Wandel umfasst die durch die Digitalisierung ausgelösten Veränderungen in der Gesellschaft inklusive Wirtschaft, Kultur, Bildung und Politik. Und diesen Wandel haben viele Bäuerinnen und Bauern auch immer wieder für sich genutzt, indem sie neue auf Digitalisierung aufbauende Techniken angenommen und in ihren Arbeitsalltag haben einfließen lassen. Da wären Melkstände mit automatischer Abnahme, Mengenmessung usw., Transponder für Fütterungsautomaten, Kühlprogramme im Lagerhaus, die EHR beim Pflügen und vieles mehr. Neu ist, was unter dem Begriff des Smart Farming zusammengefasst wird: die Vernetzung einzelner Maschinen zu einem System, aktuell vor allem im Ackerbau. Damit zum Beispiel der Düngerstreuer je nach Bestandsdichte und Nährstoffbedarf auf dem Feld unterschiedlich viel streuen kann, müssen dem digitalen System Hintergrundinformationen zur Verfügung gestellt werden. Dies können neben direkt am Traktor angebrachten Stickstoffsensoren auch Ertrags-, Boden- und Feuchtigkeitskarten sein. Messungen mit Drohnen aus der Luft oder die Auswertung von Satellitenbildern aus den vergangenen Jahrzehnten stellen weitere mögliche Daten zur Verfügung. Auch Wetterprognosen sollen zukünftig mit einfließen können und automatisch bestimmen, wie viel Körner an welcher Stelle gesät werden, wie viel Dünger wann wo appliziert wird. Natürlich könnte auch die Pflanzenschutzspritze automatisch, abhängig vom Beikrautbesatz, die Ausbringmenge steuern.


Technikverliebt

Das alles scheint dann doch eher Wunschkonzert, oder? Nicht bei den Landtechnikherstellern, sie entwickeln und konstruieren teilflächenspezifische Düngerstreuer, Sämaschinen und Pflanzenschutzspritzen. Natürlich sind die um ein Vielfaches teurer als ihre nicht Smart-Farming-fähigen Geschwister. Das Drei- bis Vierfache kostet beispielsweise ein Teilflächen-Düngerstreuer. Damit das System sich im Gelände verorten kann, muss es, in der Regel der Schlepper, mit einem GPS-Sensor ausgestattet sein. Anhand von detaillierten Karten, gesteuert durch eine notwendige Verarbeitungssoftware wird dann die auf plus/minus zwei Zentimeter genaue Dosierung möglich. Zumindest die neueren Mähdrescher sind, was die Sensorik angeht, schon weit. Von Feuchtigkeit, über Ertrag bis zum Proteingehalt kann online, während des Dreschens, erfasst werden. Natürlich geht alles per Knopfdruck. Aber eben nicht mit einem einzigen. Die Geräte müssen bedient, Karten gepflegt und Daten aktualisiert werden.


Und der Nutzen?

Die hohen Kosten für die Technik lassen daran zweifeln, dass die potentiellen Mehrerträge bzw. mögliche Einsparungen bei Pflanzenschutz und Düngung diese auffangen könnten und sogar einen zusätzlichen Verdienst sichern. Das sieht derzeit sogar die für ihr innovationsfreundliches Auftreten bekannte Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft (DLG) so. "In zehn Jahren rechnen wir das alles anders", ist sich Hubertus Paetow, selbst Landwirt und im Vorstand der DLG, dennoch sicher. Dabei hat er nicht vordergründig weitere Ertragssteigerungen im Blick, sondern eine sich verschärfende Regulierung im Dünger- und Pflanzenschutzrecht. Wenn die Technik hilft, Sanktionen zu verhindern, spart auch das Geld. Begibt man sich gedanklich auf den Weg des Smart Farming und verfolgt die aktuellen Diskussionen, wird schnell deutlich, dass hier von einem großen Entwicklungsschritt geträumt wird. Neben der einzelbetrieblichen Nutzung von Ackerschlagkarteien, Wetterprognosen oder sonstigen Fernerkundungsdaten als Grundlage könnte die überbetriebliche Datenvernetzung für ein perfektes Zusammenspiel über die gesamte Zulieferkette, vom Saatgut-, Düngemittel- und Pflanzenschutzproduzenten bis hin zum Lohnunternehmer, erfolgen. Auf der anderen Seite könnten die Erntemaschinen die Mengen und Qualitäten direkt an Händler weiterleiten. Weil jedoch niemand, auch der Landwirt selbst nicht, die einzelnen Messdaten direkt nutzen kann, müssen sie aufbereitet werden. Und hier beginnt dann Landwirtschaft 4.0. Durch die Speicherung der Daten auf zentralen Servern können die am Verfahren beteiligten Zulieferer, Abnehmer oder Wartungsunternehmen die aktuellen Daten jederzeit abrufen. In einem weiteren Schritt könnten die erfassten Daten in sogenannten Big-Data-Analysen ausgewertet werden. Die Ergebnisse würden dann als Grundlage für das weitere Handeln, für die Anbauplanung im kommenden Jahr inklusive der Anbaudaten dienen. Gleichzeitig wären die Produktionsdaten aber auch für jede Partie verfügbar.


Neue Märkte

Die Landmaschinen-, Saatgut- und Chemieunternehmen haben längst erkannt, welche Bedeutung dieses Wissen über die Produktion für sie hat. 3,2 Milliarden US-Dollar wurden 2016 in den Markt der digitalen Agrartechnologie investiert. Nach der Übernahme des kanadischen Geodienstleisters Zoner (mit dessen Software können Satellitenbilder landwirtschaftlicher Flächen aus den letzten 30 Jahren analysiert werden) und der Firma Proplant bietet Bayer Digital Farming ein umfangreiches Programm zur Datenauswertung und Pflanzenschutzberatung an. Die technische Umsetzung erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Landmaschinenhersteller Claas, der wiederum mit Google im Gespräch ist. Dies ist nur ein Beispiel der derzeit stattfindenden Vernetzung. Auch Monsanto, AGCO, John Deere und viele weitere arbeiten an Modellen der Datenvernetzung. Alles zum Wohle der Bauern und der Ernährungssicherung, will die unternehmenseigene Werbung vermitteln. Unbestritten ist, dass Digitalisierung die Arbeit auf dem eigenen Betrieb erleichtern kann. Die erfassten Daten jedoch sind Eigentum des Landwirts. Sie sind Teil seines Kapitals. Das gilt sowohl für sein persönliches Wissen und seine Erfahrung als auch für maschinell erfasste Kenngrößen bei Boden, Aussaat und Ernte.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 416 - Dezember 2017, S. 13
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
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(verbilligt auf Antrag 30,- Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2018

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