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MARKT/1653: "Die Marktmacht über die eigene Milch zurückholen" (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 317 - Dezember 2008,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

"Die Marktmacht über die eigene Milch zurückholen"

Von Claudia Schievelbein und Ulrich Jasper


Mit den Beschlüssen in Brüssel und im Bundesrat haben sich die Minister und Ministerinnen gegen die Milchbauern und Bäuerinnen gestellt. Die Antwort kann nur sein, dass die Milchviehhalter ihre Milch nun marktwirksam bündeln, sagt der AbL-Vorsitzende Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf im Interview.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: In Brüssel sind gerade noch mehr Milchquoten beschlossen worden. Der Widerstand Deutschlands hat nichts genutzt. Ist das nicht eine nachträgliche Bestätigung derer, die vor einseitigen deutschen Maßnahmen zur Mengenanpassung an den niedrigeren Bedarf gewarnt haben?

FRIEDRICH WILHELM GRAEFE ZU BARINGDORF: Nein, denn das würde ja unterstellen, dass sie in Brüssel alles versucht hätten, um mehr Menge zu verhindern und so die Wirkung nationaler Maßnahmen zu erhöhen. Die Bundesregierung, unterstützt von den Bundesländern, hat aber in Brüssel nicht gegen mehr Menge gekämpft, sondern sie hat sich vor allem um den Milchfonds gekümmert und ist gegen die Staffelung angerannt. Herausgekommen ist nun dann sogar noch mehr Menge, als von der EU-Kommission vorgeschlagen, denn die Änderung bei der Fettkorrektur muss man mitrechnen. Dem hat die Bundesregierung zugestimmt - ohne deutsche Zustimmung hätte es diesen Abschluss nicht gegeben, ein Land wie Deutschland wird bei solchen Paketen nicht überstimmt.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Hat sich die Ministerin über den Tisch ziehen lassen?

FRIEDRICH-WILHELM GRAEFE ZU BARINGDORF: Das will ich nicht sagen, mindestens haben an ihrem Tisch nicht nur die anderen EU-Staaten in Richtung noch mehr Menge gezogen, sondern auch ihre eigenen Reihen, zum Beispiel die Landesminister. Die stellen sich jetzt, vereint mit dem Bauernverband und der Milchindustrie, hin und beklagen lautstark die Brüsseler Milchbeschlüsse. Dabei haben sie genau diese Beschlüsse ja gezielt vorbereitet mit ihrem Wortbruch im Bundesrat. Hätte es den ersten Wortbruch im Bundesrat nicht gegeben, würde also das noch gelten, was beim Milchgipfel Ende Juli verabredet und angekündigt war, dann hätte es in Brüssel eine ganz andere Diskussion gegeben, vor allem hätte die Bundesministerin dem nicht zustimmen können, was nun das Ergebnis ist.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Welche Rolle hat der Deutsche Bauernverband dabei?

FRIEDRICH-WILHELM GRAEFE ZU BARINGDORF: Der Wortbruch im Bundesrat ist abgesprochen mit der Spitze des Deutschen Bauernverbands, das ist sicher. Wir kennen alle die Kampagne, die der DBV gleich nach dem Milchgipfel gestartet hat gegen die Abmachungen, die er beim Milchgipfel noch scheinbar mitgetragen hatte. Der Kampagne hat sich auch der Milchindustrieverband angeschlossen. Sie haben es ganz bewusst auf die volle Konfrontation angelegt, sonst hätte es im Bundesrat noch ein kleines Signal an den BDM gegeben. Selbst darauf haben sie verzichtet. Das Ziel war und ist die Zerstörung einer eigenständigen unabhängigen Milchbauernorganisation. Sie wollen dem 'Spuk' des BDM ein Ende setzen.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Aber diese verbandliche Auseinandersetzung wird teuer erkauft, mit einem für die Milcherzeuger katastrophalen Preisverfall. Wie kann ein Bauernverband das hinnehmen?

FRIEDRICH-WILHELM GRAEFE ZU BARINGDORF: Die Spitze des Bauernverbandes nimmt das nicht hin, sondern sie setzt bewusst auf Preisdruck. Sie vertritt eben nicht die Interessen der Milchbäuerinnen und -bauern, sondern die der Milchindustrie. Die Molkereien und die Milchindustrie wollen die Konzentration in der Milcherfassung und -verarbeitung vorantreiben. Über niedrige Auszahlungspreise an die Erzeuger erzwingen sie die Rationalisierung und Konzentration auch in der Milcherzeugung. In der Logik des Bauernverbands kommt die Milch erst ins Spiel, wenn Molkereien und Handelsketten darüber verhandeln, nicht als Marktprodukt der Bäuerinnen und Bauern. Aus dieser Haltung heraus ist die Position des Bauernverbands zu sehen, der die Molkereien gegenüber dem Handel stärken will, durch Wachstum und Konzentration. In der Rückwärtskalkulation bleibt für die Bäuerinnen und Bauern immer nur das übrig, was der Deal zwischen Molkereien und Handelsketten zulässt. Die Konkurrenz unter den Molkereien bei ständiger Überproduktion wurde auf dem Rücken derer ausgetragen, die melken.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Ein Bauernverband, der näher bei der Milchindustrie als bei der Mehrheit der Bauern sitzt, eine Politik, die sich diesem Bündnis fügt - und das alles nach einem Milchstreik und einer Solidarität, die es in Deutschland unter Bauern bisher nie gegeben hat. War das alles umsonst?

FRIEDRICH-WILHELM GRAEFE ZU BARINGDORF: Vorsicht. Die halbe Wegstrecke ist ja schon geschafft! Was bisher schon erreicht worden ist, hat vorher niemand für möglich gehalten. Vor dem Milchstreik hat der Bauernverband die Bauern schon einmal unterschätzt und sich massiv als Streikbrecher betätigt. Ein wesentlicher Unterschied zu früheren Bauern-Revolten gegen das Geflecht von Bauernverband und Industrie ist, dass die Bauern und Bäuerinnen sich diesmal mit dem BDM, dem Europäischen Milk Board EMB und auch in der AbL starke Strukturen aufgebaut haben.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Aber die politischen Würfel bei der Quote sind erst mal gefallen?

FRIEDRICH-WILHELM GRAEFE ZU BARINGDORF: Nein. Politik ist nie zu Ende. Mit den jetzigen Beschlüssen in Brüssel und im Bundesrat sollen die Milchbauern und Bäuerinnen mürbe gemacht werden. Möglicherweise sollen sie über die katastrophalen Preise auch in einen erneuten Streik gezwungen werden, der ihnen das Kreuz brechen könnte, wenn er zum falschen Zeitpunkt geführt wird. Die Mittel der Auseinandersetzung müssen wir selbst bestimmen und uns weder die Art noch den Zeitpunkt aufzwingen lassen.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Was ist jetzt das Mittel der Wahl?

FRIEDRICH-WILHELM GRAEFE ZU BARINGDORF: Die Kraft muss da erhöht werden, wo Milchindustrie und dann auch der Bauernverband nicht mehr anders können, als auf den BDM zuzugehen. Das geht nur, indem die Marktmacht, die in der Milch selbst steckt, zurückgeholt wird. Die Bündelung im BDM als Verband muss flankiert werden durch die Bündelung der Milch.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Heißt das, neue Liefergemeinschaften zu gründen?

FRIEDRICH-WILHELM GRAEFE ZU BARINGDORF: Das reicht nicht, weil damit jeweils zu wenig Menge zusammen kommt. Auch wenn es Bäuerinnen und Bauern schwer fällt: Marktmacht verschaffen sie sich nur, wenn sie die Verfügungsgewalt über ihre Milch in einen von ihnen selbst bestimmten und verwalteten Pool geben, wie ihn der BDM mit dem Milchboard schon angelegt hat. Möglicherweise kann das zunächst auf eine bestimmte Zeit begrenzt sein, damit die Milchviehbetriebe die Verfügungsgewalt nicht völlig aus der Hand geben. Entscheidend ist aber, dass eine wirksame Masse erreicht wird. Wenn von den 28 Mrd. kg Milch, die in Deutschland erzeugt werden, ich sage mal 20 Mrd. kg in dieser Weise im Milchboard gebündelt sind, dann können die Molkereien sich nicht länger unterbieten, weil sie dann Milch anbieten, über die sie zum großen Teil gar nicht mehr bestimmen. Wir müssen die verbandliche und gesellschaftliche Kraft, die schon aufgebaut worden ist, verbinden mit dieser Marktmacht, um in den Marktund Preisverhandlungen als dritte Kraft auftreten und eine Vorwärtskalkulation mit ausreichenden Erzeugerpreisen durchsetzen zu können.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Damit ist noch keine andere Quotenregelung durchgesetzt.

FRIEDRICH-WILHELM GRAEFE ZU BARINGDORF: Nicht automatisch. Aber es muss Allen klar sein, dass selbst bei der durch die Milchindustrie angestrebten Aufhebung der Quote kein unkontrollierter, freier Markt entstehen wird. Es ist doch nicht die Frage: Mengenregelung - ja oder nein, sondern: Wer hat die Macht über Menge und Preis bei der Milch! Wenn die Bäuerinnen und Bauern den langen Atem zur Macht über die Milchmenge nicht aufbringen, dann reißen sich die Molkereien die Verfügung über Preis und Menge noch weiter unter den Nagel. Daran arbeiten sie längst. Dann greift über die Macht der Milchindustrie Rationalisierung und Konzentration und drängt noch einmal zwei Drittel der Betriebe aus der Produktion. Die Auseinandersetzung ist noch längst nicht entschieden, nicht mit dem Bundesratsbeschluss und nicht mit den Brüsseler Entscheidungen. Die deutschen Milchbauern und -bäuerinnen stehen nicht allein - die Widersprüche zu den Interessen der Milchindustrie brechen auch in den anderen EU-Ländern mehr und mehr auf. Die eigenen Interessen wirksam zu organisieren und durchzusetzen, das ist notwendig. Das kann und wird uns niemand abnehmen. Jeder und jede Einzelne muss willens sein, sich zur eigenen Marktmacht zu entscheiden.

BAUERNSTIMME: Vielen Dank für das Gespräch!


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 317 - Dezember 2008, S. 12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2009