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MARKT/2179: Milch - Rohstoffmenge muss reduziert werden (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 399 - Mai 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Rohstoffmenge muss reduziert werden
Nach über einem Jahr fallender Milchpreise soll jetzt gegengesteuert werden

Von Marcus Nürnberger


Die Marktlage speziell für tierische Produkte ist verheerend, vor allem für im Überfluss erzeugte Milch und Schweinefleisch. Die Stimmung auf den Höfen reicht von düster abwartend über neue Ideen und Wege suchend bis zu Initiative ergreifend durch diversifizierende betriebliche Veränderungen. Politische Unterstützung schien kaum noch zu erwarten, doch die Länderagrarminister überraschten mit einer deutlichen Forderung nach Mengenregulierung im Milchmarkt. Molkereien klagen vielerorten über zu viel Milch, aktive Mengensteuerung ist bisher selten. Qualitätsprogramme eröffnen Marktalternativen und einen Mengeneffekt durch flächengebundene Tierhaltung. Für ausreichend Druck zu Veränderungen sind neue Mehrheiten unter den Bäuerinnen und Bauern gefordert. Deren Kraft zur Selbstorganisation ist krisenbedingt finanziell und gefühlsmäßig eingeschränkt, aber Wut, Solidarität, aussichtsreiche Ideen und gemeinsames Vorgehen mit der Gesellschaft können für belebenden Schwung sorgen.


So vieles ist angesprochen worden im vergangenen Jahr. Seit die Milchquote auslief und der Preis sich kontinuierlich nach unten bewegte, da waren sie alle, die zuvor von freien Märkten und einer Liberalisierung schwärmten, nicht zögerlich, für die desaströse Preisentwicklung Russland und China als wegbrechende Abnehmer heranzuziehen. Der Deutsche Bauernverband (DBV) argumentierte mit den übermächtigen Strukturen des Handels. Den Molkereien bliebe bei einer derartigen Übermacht auf der Nachfrageseite keine Möglichkeit, faire Preise an ihre Lieferanten zu zahlen. Keine Erwähnung fand die Tatsache, dass auch die vom DBV immer wieder geforderte und geförderte Konzentration im Molkereisektor genau diese Übermacht der Molkereien gegenüber den Milchbauern erzeugt hat. Nur wenigen Molkereien gelang es auskömmliche Preise zu zahlen. Und selbst diese kamen, wie das Beispiel der Berchtesgadener Molkerei zeigt, an ihre Grenzen. Nicht weil ihnen Absatzmärkte wegbrachen, sondern weil ihre Lieferanten, ihre Milchbauern, kein Maß bei der Milchmenge fanden. Wenn die Nachfrage für die hochpreisige Eigenmarke aber bedient ist, geht die Übermilch in ungünstigere Vermarktungsschienen, im Zweifelsfall wird sie auf dem Spotmarkt entsorgt. Was hart klingt, ist aktuell Realität. Wer Milch auf dem Spotmarkt anbietet, bekommt weniger, als er seinen Lieferanten auszahlt.

Menge runter

"Das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage am Milchmarkt besteht fort. Nachfrageseitig sind kurzfristig keine Impulse zu erwarten. Es muss jetzt die Rohstoffmenge reduziert werden." So trocken klingt die Formulierung im Protokoll der Agrarminister. Gemeint sind diesmal nicht die in vielen Statements von Politikern und Vertretern der Milchindustrie und des DBV immer wieder beschworenen wachsenden Exportmärkte, die die Übermengen aufnehmen sollen. Diesmal meinen die Agrarminister die Produktionsmenge. Einen "großen Fortschritt" sieht die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) in dem Beschluss der Agrarministerkonferenz (AMK) der Bundesländer. Und auch der Bundesverband der Milchviehhalter (BDM) zeigt sich positiv überrascht: "Die Agrarministerkonferenz in Mecklenburg-Vorpommern ging heute mit einem unerwartet deutlichen Schritt in Richtung Krisenlösung zu Ende."

Schon während der Konferenz gab sich der Gastgeber, Till Backhaus (SPD), Landwirtschaftsminister in Mecklenburg-Vorpommern, zuversichtlich: "Es wird zu richtungsweisenden Beschlüssen der 16 Länder mit der Bundesregierung kommen", erklärte er. In einem ersten Schritt sollen sich die Marktpartner verständigen und eine "freiwillige Mengenplanung" vornehmen. Hier wäre ein Modell ähnlich dem der Molkerei FrieslandCampina, die einen Bonus für die Beibehaltung bzw. die Reduktion der Milchmenge zahlte, denkbar. Flankiert werden die Beschlüsse der Agrarminister durch Vorarbeiten in Brüssel. Eine Woche zuvor hatte die Kommission eine Verordnung erlassen, die eine freiwillige Mengenplanung der Marktbeteiligten überhaupt erst ermöglicht. Fast gleichzeitig schwenkte dann auch Agrarkommissar Hogan, zumindest teilweise, ein. Im Januar 2016 sei die Milchmenge in der EU gegenüber der des Vorjahresmonats um 5,6 Prozent gestiegen. Produziert werden diese Übermengen vor allem in den Niederlanden, in Deutschland sowie in Irland. Bemerkenswert ist die Forderung Hogans, der ein großer Verfechter liberaler Märkte ist, nach einem Einfrieren der betrieblichen Produktionsmenge. In diesem Fall könnten die Länder ihren Milchviehbetrieben einen jährlichen Zuschuss von maximal 15.000 Euro zahlen. Offen ließ der Agrarkommissar jedoch, aus wessen Haushalt die Fördermittel kommen sollen. Dass die Agrarminister der Länder handeln wollen, machten sie auch in einem weiteren Beschluss deutlich: Sollten bis zur AMK im Herbst "keine spürbaren Fortschritte erreicht werden", soll das Bundesministerium gebeten werden, auf "EU-Ebene die faktischen und rechtlichen Möglichkeiten einer zeitlich befristeten entschädigungslosen Mengenbegrenzung" prüfen und umsetzen zu lassen.

Eile geboten

Auch wenn die Beschlüsse der Agrarminister durchaus Entschlossenheit erkennen lassen, dürften die aktuelle Situation und die Aussicht auf eine mögliche Entscheidung im Herbst für viele Milchviehbetriebe wenig tröstlich sein. Schon jetzt hören immer wieder Betriebe auf. Und es sind nicht nur die kleinen, alten Höfe, bei denen sich die Investitionen nicht mehr lohnen - es sind auch große Betriebe, die ihre Bilanzen kennen und die Verluste durch die Milch nicht mehr tragen wollen oder können. In Göhren-Lebbin, dem Tagungsort der Agrarminister, auf der Bühne des BDM berichtet einer von seinen leeren Ställen. 200 Kühe wurden auf seinem Betrieb gemolken. Jetzt gingen die letzten vom Hof. Zukünftig will er auf seinen 300 ha Ackerbau betreiben. Zwei Kollegen aus Schleswig-Holstein können nicht einfach aus der Milchviehhaltung aussteigen. Da sind Kredite zu bedienen und außerdem haben sie in der Hauptsache Grünland. Ihre Lösung ist: "Die Höhe des Milchgelds muss gleich bleiben." Die fatale Konsequenz daraus: Trotz fallender Preise melken sie immer mehr Milch. Wie passt das mit der Forderung des BDM "Menge runter!" zusammen? Gar nicht, will man meinen. Doch es geht um die Suche nach einer einheitlichen, für alle verbindlichen Regelung. Diese könnte kurzfristig von den Molkereien ausgehen. Die funktionieren faktisch als Bündler: Sie erfassen die Liefermengen und haben direkt Kontakt zu den Milchbauern. Eine Reduzierung der Menge um zwei bis drei Prozent, so Romuald Schaber, Präsident des European Milkboard, würde die Märkte deutlich entlasten und die Preise steigen lassen.

Offen ist derzeit, wie es zu einem gemeinsamen, freiwilligen Vorgehen kommen könnte. Die Molkereien als untereinander konkurrierende Unternehmen scheinen nicht die erste Wahl zu sein. Mindestens bräuchte es aber einen Vermittler, einen Moderator, der die Branche zusammenführen und Gespräche leiten könnte. Die Agrarminister wollen bis zum Herbst warten und dann die Bundesregierung beauftragen. Eigentlich eine Aufgabe für den Bundeslandwirtschaftsminister. Harte Entscheidungen treffen möchte Schmidt, so die Erfahrungen der vergangenen Monate, eher nicht. Er versucht in zahllosen Diskussionsrunden die Protagonisten an einen Tisch zu bringen, Tierschützer und Massentierhalter, Industrievertreter und solche bäuerlicher Landwirtschaft. Der Bundesminister versteht sich als Moderator, will einen Raum für Begegnung und Austausch schaffen. Auch der Prozess hin zu einer von der Milchbranche freiwillig organisierten Mengenbegrenzung braucht dringend eine Führung. Allerdings eine mit einem klaren Auftrag: Die Menge muss runter!

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Molkereistimmen zur Milchmengenentwicklung

Molkereien beklagen zu viel Menge und geben unterschiedliche Antworten

Aus der Geschäftsführung der Molkerei Ammerland eG heißt es aktuell: "wir haben zu viel Milch. Damit müssen wir erstmal fertig werden. Aber wir müssen bisher zumindest nichts am Spotmarkt verkaufen."

Schon Mitte März hatte die Molkerei Berchtesgadener Land eG in einem Rundschreiben ihre Milchlieferanten eindrücklich gewarnt: "Für diese Milch gibt es keine Absatzmärkte! Milch, für die es keinen Markt gibt, können auch wir nur billig am Spotmarkt "loswerden". Was "von einer Minderheit rücksichtslos angeliefert" werde, so ein Vorstandmitglied, belaste die ganze Molkerei und damit alle an der Genossenschaft beteiligten Landwirte.

Das Deutsche Milchkontor GmbH (DMK) ließ im April verlauten, sie hätten keine Schwierigkeiten mit den gestiegenen Milchanlieferungsmengen. Dr. Klaus Wagner, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der DMK, äußerte in der Mitgliederzeitschrift 'Meine Milchwelt': "Die Lage am Milchmarkt ist unverändert düster. Die Menge wächst auch 2016 schneller als die Nachfrage. Nicht nur DMK-Milcherzeugern fehlen mindestens 10 Cent zum wirtschaftlichen Auskommen." Aufsichtsrat Heinz Karte an gleicher Stelle zur Mengensteuerung: "Für eine verpflichtende Mengenreduzierung gibt es bei den Mitgliedern und Vertretern keine Mehrheit, das zeigen auch die bisherigen Versammlungen."

Ein privatwirtschaftliches Molkereiunternehmen antwortete auf Anfrage der AbL: "Wir steuern die verarbeitete Rohmilchmenge gezielt über die Anzahl der Landwirte, die wir unter Vertrag nehmen, und decken evtl. saisonal auftretende Mengenbedarfe über Zukäufe. (...) Bisher haben wir die vorgesehene Bandbreite hinsichtlich der benötigten Milchanlieferung sehr gut getroffen. (...) Wir lehnen es ab, Modelle zu diskutieren, bei welchen Marktteilnehmer für nicht erbrachte Leistungen Zahlungen erhalten sollen."

Die frischli Milchwerke GmbH betont in ihrem Infobrief zur Milchpreisentwicklung 2016: "Bei unveränderter Milchanlieferung auf dem hohen Niveau der letzten Zeit erwarten wir in den kommenden Monaten einen Absturz des Milchpreise auf etwa 20 Cent pro Kilogramm. Auch ein weiterer Verfall auf 19 Cent und weniger ist nicht auszuschließen. Bisher mag es für den einzelnen Betrieb sinnvoll gewesen sein, den Rückgang des Milchpreises durch eine Steigerung der Milchmenge aufzufangen. Angesichts der dramatischen Marktsituation weisen wir jedoch darauf hin, dass der Milchpreis durch immer weitere Mengensteigerungen immer weiter unter Druck geraten wird."

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Aus dem Beschluss der Agrarministerkonferenz

2. Das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage am Milchmarkt besteht fort. Nachfrageseitig sind kurzfristig keine Impulse zu erwarten. Es muss jetzt die Rohstoffmenge reduziert werden. Dazu sind die neuen Möglichkeiten aus den am 12.04.2016 veröffentlichten Verordnungen der EU-Kommission zur freiwilligen Mengenplanung von den Marktpartnern umgehend aufzunehmen und Schritte zu deren Umsetzung einzuleiten. Die Ministerinnen, Minister und Senatoren der Agrarressorts der Länder begrüßen in diesem Zusammenhang die Äußerungen der EU-Kommission zu befristeten Beihilferegelungen für das Einfrieren oder die Reduzierung der Produktion. Der Bund wird aufgefordert, die damit verbundenen Möglichkeiten aufzugreifen.

3. Sofern mit freiwilligen Maßnahmen zur Mengensteuerung bis zur nächsten Agrarministerkonferenz keine spürbaren Fortschritte erreicht werden, bitten sie das BMEL, auf EU-Ebene die faktischen und rechtlichen Möglichkeiten einer zeitlich befristeten entschädigungslosen Mengenbegrenzung (nach Art. 221 GMO) und die sich daraus ergebenden Sanktionsmöglichkeiten prüfen zu lassen und dann umzusetzen.

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Agrarministerbeschlüsse:

• Es ist zu viel Milch am Markt!

• In einem ersten Schritt werden die Marktbeteiligten zur freiwilligen Mengensteuerung aufgefordert, die durch eine neue EU-Verordnung möglich geworden ist. Flankiert durch EU-Aussagen zu Beihilferegelungen bei Beibehaltung bzw. Reduzierung der betrieblichen Milchmenge.

• Sofern diese Maßnahmen bis zum Herbst keine Erleichterung gebracht haben, wollen die Agrarminister eine entschädigungslose Mengenreduzierung prüfen und umsetzen lassen.

• In den Lieferbeziehungen soll die Position der Milcherzeuger gestärkt werden. Hierfür soll die Vertragsbeziehung zukünftig auch konkrete Aussagen zu Menge, Preis und Laufzeiten beinhalten.

• Wirtschaftsbeteiligte werden aufgefordert Branchenorganisationen zu gründen. Diese sollen Rechte und Pflichten bekommen. um zukünftigen Krisen vorbeugend begegnen zu können.

• Liquiditätshilfen sollen mit dem Ziel einer Reduzierung der Milchmenge verbunden werden.


Der Bund ...

- soll sich für weiteres EU-Hilfspaket einsetzten und ebenfalls eigene zusätzliche Haushaltsmittel für diesen Zweck zur Verfügung zu stellen.

- soll sich auf EU-Ebene für spontane Herauskaufaktionen zur Marktentlastung einsetzten.

- soll die Einführung eines Bonusprogramms Milch begleiten, um Molkereien und Erzeuger finanziell zu unterstützen, die sich an milchmengenreduzierenden Maßnahmen beteiligen.

- wird aufgefordert finanzielle Erleichterungen bei den Berufsgenossenschaftsbeiträgen und dem Arbeitgeberanteil der Sozialversicherung zu schaffen sowie eine Restschuldenerlass für Darlehen aus der 90er Jahren einzuleiten.

Protokollerklärung: Die Länder Sachsen-Anhalt und Sachsen lehnen eine Verknüpfung der Gewährung von Liquiditätshilfen mit Mengenreduzierungen ab.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 399 - Mai 2016, S. 11 - 12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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(verbilligt auf Antrag 30,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2016

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