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MARKT/2186: Milch - Mengenreduzierung durch Hofaufgaben (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 401 - Juli/August 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Mengenreduzierung durch Hofaufgaben
Bundeslandwirtschaftsminister, Wissenschaft und Bauernverband stellen sich wie die Industrie gegen eine organisierte Mengenreduzierung

Von Marcus Nürnberger


Schon wieder Milch? Ja, leider. Weil es um Höfe und bäuerliche Existenzen geht. Milchbäuerinnen und -bauern müssen sich Gehör verschaffen und eine eigene Position am Markt bekommen, damit sie nicht nur Rohstofflieferanten in einem erbitterten Tiefpreiskonkurrenzkampf der Molkereien sind - sondern mit Blick auf ihre Vermarktungsaussichten vernünftige Mengen Milch erzeugen und aktiv verkaufen können. Dafür brauchen sie alle erdenkliche Unterstützung. Zum Beispiel von der Politik, die im Interesse der Gesellschaft für Bauernhöfe und Vielfalt auf dem Land handeln könnte, wenn sie denn wollte. Doch dafür braucht es anscheinend mehr Druck und noch mehr gesellschaftliche, Mut machende Unterstützung - für eine bäuerliche Landwirtschaft!


Inzwischen kommt niemand mehr umhin, in seinem Statement zu erwähnen, dass der niedrige Milchpreis ein Folge der Überproduktion ist. Mehr noch: Sogar dass diese Übermenge reduziert werden muss, erwähnen alle Akteure und auch, dass Liquiditätshilfen an eine Mengenreduzierung gekoppelt werden müssen, greifen sie auf. Eigentlich sollte die Milchkrise unter diesen Vorzeichen und mit vermeintlich geeinten Kräften relativ schnell beendet sein. Sie könnte es, wären die Bekundungen nicht sofort als reine Lippenbekenntnisse zu entlarven. Auch deshalb, weil ihnen keine Taten folgen.

Schon Anfang Juni trafen sich die Landwirtschaftsminister Deutschlands, Frankreichs und Polens, Christian Schmidt, Stéphane Le Foll und Krzysztof Jurgiel, um nach Lösungen aus der Landwirtschaftskrise zu suchen. In dem gemeinsamen Papier stellen die Minister fest: Die finanzielle Stabilität vieler landwirtschaftlicher Betriebe ist gefährdet. Sie fordern die EU auf, einen "Ausgleich zu schaffen für Verluste, die infolge des Preisrückgangs aufgrund der niedriger als erwartet ausgefallenen internationalen Nachfrage, des russischen Embargos, der Überproduktion auf den EU-Märkten, ..." entstanden sind. Dazu fordern sie von der EU, "freiwillige Maßnahmen auf individueller oder kollektiver Ebene zu unterstützen, die dazu beitragen, das Produktionsniveau in der EU zu stabilisieren / zu senken, um die Produktion besser an die Marktnachfrage anzupassen". Sollten diese Schritte nicht erfolgreich sein, sollen andere Maßnahmen - gemeint sein könnte eine befristete obligatorische Mengenbegrenzung - vorgeschlagen werden. Damit haben sich die drei Agrarminister auf den Stand der deutschen Länderagrarministerkonferenz von Mitte April dieses Jahres gebracht. Dass die besprochenen Ergebnisse ganz offenbar aber kein Kurswechsel in der bisher ausschließlich auf die Selbstregulierung des Marktes, sprich die Aufgabe von Betrieben, ausgerichteten Politik des deutschen Agrarministers Schmidt sind, lässt dessen Kommentierung vermuten: "Wir dürfen und werden dabei nicht zulassen, dass nationale Maßnahmen zu einer Renationalisierung der Agrarpolitik und zur Störung des Wettbewerbs führen."

Seehofer rettet Milchbauern

Schmidts Milchgipfel in Berlin ergebnislos - Seehofers Milchgipfel in München ein Erfolg? Zumindest schafft es der bayerische Ministerpräsident zu erkennen, wer die am Prozess Beteiligten sind und lädt diese auch alle ein. Neben dem Bauernverband sind, anders als in Berlin, auch der Bundesverband der Milchviehhalter und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft eingeladen. Seehofer versteht es, den Anschein von integrativen Lösungen zu erzeugen. Tatsächlich allerdings wird schnell klar, dass die Ergebnisse auch dieses Milchgipfels vor allem in einem Forderungskatalog bestehen. Immerhin 88 Mio. Euro will die Landesregierung in eine Erhöhung des KULAP-Programms, in den Vertragsnaturschutz und weitere Unterstützung der Umstellung von Anbindehaltung auf Laufstall- und Weidehaltung investieren. Vom Bund wird neben den von Minister Schmidt schon angekündigten 500 Mio. Euro eine Anpassung des Agrarmarktstrukturgesetzes an die Möglichkeiten des EU-Rechts zur Angebotssteuerung durch Erzeuger- und Branchenorganisationen gefordert.

Von Brüssel fordert das bayerische Kabinett unter anderem ein Hilfspaket von 1 Mrd. Gekoppelt sein sollen diese Gelder an eine Reduktion der Milchproduktion sowie eine Erhöhung der Intervention mit der Prüfung, ob diese an eine Mengenrückführung gekoppelt werden kann.

Eindeutig auch die auf dem Milchgipfel vorgebrachten Forderungen der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft: Ihr Vorsitzender, Josef Schmid, AbL Bayern, zog vor allem eine rote Linie: "Die notwendige Anpassung an die aktuelle Marktsituation muss nicht durch die Reduzierung der Bauernhöfe, sondern durch die Reduzierung der Milchmenge erreicht werden." Als mögliche Maßnahmen benannte er zum einen die einzelbetriebliche Mengenreduzierung durch einen reduzierten Kraftfuttereinsatz, der umzusetzen ist, ohne die Gesundheit der Tiere zu gefährden, sowie die Einführung eines Bonus-Malus-Systems, wie es zu Jahresbeginn vom Unternehmen Friesland-Campina erfolgreich umgesetzt wurde.

Marktliberale aller Länder ...

Und spätestens wenn sich die ersten Lösungen abzeichnen, aktivieren die "Gegner" wieder alle ihre Kräfte. Im Fußball wäre jetzt ein erster Joker von der Bank gekommen, in der Milchkrise sind es die Agrarökonomen der Universitäten Rostock, Berlin und Göttingen. Sie sprechen von Milchkartell statt von Erzeugerbündelung und von Milchquote statt von kurzfristiger Mengenreduktion. Sie warnen vor einem deutschen Alleingang, obwohl es eine gemeinsame Position mit Polen und Frankreich gibt. Sie plädieren dafür, "Milch da zu erzeugen, wo es am kostengünstigsten ist" und wissen, "dass es Milcherzeuger gibt, die in der Lage sind, sehr kostengünstig zu produzieren und die kein Interesse daran haben, ihre Produktionsmengen zu begrenzen. Marktwirtschaftliche Anpassung impliziert, dass die am wenigsten wettbewerbsfähigen Betriebe ausscheiden." Ganz auf dieser Linie liegt auch der Präsident des Bauernverbandes Schleswig-Holstein, Werner Schwarz, wenn er - wie die Husumer Nachrichten berichten - auf einer Tagung behauptet, die klassische Landwirtschaft gäbe es nicht mehr. "Der Markt richtet alles, Krisen müssen durchgestanden werden." Und wer Schwierigkeiten habe, habe nicht genügend Rücklagen gebildet. Gewohnt subtil die Anspielung auf vermeintlich zu hohe Vorgaben: "Letztendlich konkurriere der Hungernde in Afrika mit dem unter Naturschutz stehenden Frosch", so Schwarz laut den Husumer Nachrichten.

Dass das Verhältnis zwischen Bauern und Molkereien noch nie das von zwei Marktbeteiligten war, macht der emeritierte Prof. Onno Poppinga in einer Erwiderung auf das Papier der Agrarökonomen deutlich: "Die Verwendung einer marktökonomischen Begrifflichkeit ist aber bei der Analyse der Beziehungen zwischen Milcherzeugern und Molkereien vom Grundsatz her falsch, weil es sich dabei nicht um Markt- sondern lediglich um Lieferbeziehungen handelt. Alle grundlegenden Bedingungen für Märkte sind bei der Beziehung zwischen Milcherzeugern und Molkereien nicht vorhanden: Es stehen sich nicht Anbieter und Nachfrager gegenüber, die über Mengen, Preise und Qualitäten verhandeln und zwischen denen Waren ge- und verkauft werden. Rein äußerlich ist das schon daran sichtbar, dass die Landwirte als 'Anbieter' keine Rechnung über die gelieferte Milch schreiben, sondern die Molkereien - nach Verwandlung der Milch in Molkereiprodukte und Verkauf dieser Produkte - die von den Landwirten gelieferte Milch abrechnen." (www.kassler-institut.org/31.0.html)

Sonderkonferenz in Brüssel

Nachdem Minister Schmidt bei seinem ersten Milchgipfel Ende Mai seine Länderkollegen düpierte, indem er sie explizit auslud, traf sich der Minister dann doch einen Tag nach dem Münchner Milchgipfel mit ihnen. Vor allem die Grünen-Agrarminister kritisieren die abwartende Haltung von Schmidt. Unterstützung sehen sie in den Forderungen Horst Seehofers nach einer klaren Bindung von Förderungen an eine Mengendisziplin. Thüringens Landwirtschaftsministerin Birgit Keller, Die Linke, fasst die notwendigen Schritte zusammen: "Nachdem die von der Agrarministerkonferenz im April vorgesehene freiwillige Phase der Mengenbegrenzung offensichtlich kein Ergebnis gebracht hat, brauchen wir nun einen temporären Deckel für die Milchproduktion, der eine zeitweilige und für alle verbindliche Begrenzung der Milchmenge bewirkt. Ich freue mich, dass heute eine Mehrheit der Länderagrarministerkonferenz der Forderung nach einer verpflichtenden Begrenzung der Milchproduktion zugestimmt hat." Da von Schmidt jedoch offenbar keine Unterstützung zu erwarten ist, kündigte der Vorsitzende der Länder-Agrarminister Till Backhaus eine Sondersitzung in Brüssel am 15. Juli an, zu der auch EU-Agrarkommissar Phil Hogan und Frankreichs Landwirtschaftsminister Stéphane Le Foll eingeladen seien.

Aussitzen, abwarten und vom Markt reden scheint die Linie der Bundesregierung zu sein, während immer mehr Betriebe immer tiefer in die Verschuldung rutschen. Auf Kosten der Bauern wird die Molkereiindustrie mit viel zu billigem Rohstoff für ihre Weltmarktträume versorgt.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 401 - Juli/August 2016, S. 11 - 12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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(verbilligt auf Antrag 30,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. August 2016

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