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MARKT/2218: Ist regional das neue Bio? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2016

Gutes Essen - schlechtes Essen
Strukturwandel wohin?

Ist regional das neue Bio?
Auf der Suche der VerbraucherInnen nach besonderen Qualitäten bekommt regionale Ware einen besonderen Wert. Wenn sie auch noch ökologisch produziert wird, umso besser.

von Christine Weißenberg und Marcus Nürnberger


Regional und bio: 2 von vielen möglichen Kriterien, mit denen den VerbraucherInnen besondere Qualitäten vermittelt werden sollen. Dabei ist bio und regional keine Erfindung des Lebensmitteleinzelhandels oder von findigen VerarbeiterInnen, die damit ihren Absatz steigern wollen. Beide sind die Kennzeichen einer, zumindest ursprünglich, bäuerlichen Bewegung mit dem Ziel, eine direkte Beziehung und Wertschätzung zwischen ProduzentIn und VerbraucherIn zu ermöglichen.

Als KundIn im Laden werde ich bei meiner Kaufentscheidung ganz erheblich von meinem persönlichen, subjektiven Bild von Landwirtschaft beeinflusst. In der Regel dürfte dieses Bild aber vage bleiben. Muss es sogar, denn die Wirklichkeit ist vielfältig. Kein Hof ist wie der andere, die Spanne ist groß: Vom kleinen Betrieb mit Kühen oder Schweinen im zweistelligen Bereich bis zum industriellen Massenbetrieb mit 40.000 und mehr Mastplätzen. Fortsetzung findet dies in der Verarbeitung. Den Bezug zur Realität, den tatsächlichen Produktionsbedingungen, habe ich an der Kühltheke schon verloren. Weil spätestens bei näherer Betrachtung die selbstgebastelte Herkunftsgeschichte zu einem anonymen Produkt nicht trägt, bleibt ein schales Gefühl von Ausgeliefert-Sein, betrogen zu werden, das Falsche gekauft zu haben. Schon lange wird vom Fachmarkt bis zum Discounter versucht, die besondere Qualität einzelner Produkte besonders zu betonen. Dies geht einher mit einer immer weiter voranschreitenden Aufklärung der VerbraucherInnen, die sich, sensibilisiert durch Skandalbilder und Dokumentationssendungen, ihr ganz eigenes Bild von Produktion, Verarbeitung und Handelsbeziehungen gemacht haben. Nicht immer stimmen diese Vorstellungen mit der Realität überein.

Was ist eigentlich regional?

Wer seine Milch in der eigenen Kanne direkt vom Bauernhof holt, kauft ohne Zweifel regional. Auch die von eben jener Bäuerin oder jenem Bauern als Frischmilch direkt zu den KundInnen gebrachten Milchtüten sind regional. Regional ist auch, wenn bei einer Molkerei mit über 100 LieferantInnen das Liefergebiet mit dem der Erfassung übereinstimmt. Doch wo sind die Grenzen? Vor allem wenn die Produkte verarbeitet werden und Zutaten aus verschiedenen Regionen zum Einsatz kommen?

Eine klare und transparente Lösung hierfür haben die Bäuerinnen und Bauern vom Verein der Hessischen Direktvermarkter gefunden. Bei ihnen darf das Zeichen nur von landwirtschaftlichen Betrieben, Gärtnereien, Weinbaubetrieben, ImkerInnen, BetreiberInnen von Fischzucht oder BinnenfischerInnen sowie Wanderschäfereien genutzt werden. Das zweite entscheidende Kriterium ist, dass der Betrieb die gesamte Produktion, Verarbeitung und Vermarktung verantwortet. "Er kann sich zwar von Landmarkt-Kollegen die Urprodukte im Lohn verarbeiten lassen, wie zum Beispiel von einem Metzger oder Bäcker, aber es muss sein Produkt bleiben. Er kann auch zur Ergänzung seiner Urproduktion von anderen, dem Zeichen angeschlossenen Direktvermarktern zukaufen, z. B. Mastschweine. Was nicht geht, ist dass die Urprodukte in einen Pool kommen, aus dem dann ein Mischprodukt hervorgeht. Das Produkt des Landmarkt-Bauern muss sein Produkt sein, weil es nach seiner Maßgabe vom Verarbeitungsbetrieb hergestellt wurde", erklärt Oswald Henkel, Vorsitzender der Vereinigung Hessischer Direktvermarkter und Mitbegründer von Landmarkt.

Regionale Ware ist nur begrenzt verfügbar

Die Landmarkt-Produkte werden in REWE-Märkten auf eigenen Verkaufsinseln in Kooperation mit REWE vertrieben. Gerne, so ist immer wieder von den Verantwortlichen bei REWE zu vernehmen, würde man noch deutlich mehr regionale Produkte anbieten. Genau hier aber ist der Knackpunkt. Immer mehr einer möglichst gleichen Qualität und Herkunft bedeutet immer größere Strukturen bei einem einzelbetrieblichen Ansatz, oder aber, dass viele ProduzentInnen an eineN VerarbeiterIn liefern, und damit die Entwicklung von Strukturen, wie wir sie heute in der Landwirtschaft und der Verarbeitung vorfinden und von denen sich Landmarkt klar absetzt, verschwinden.

Wenn man zulässt, dass die Produktionsbedingungen von bio und regional indirekt über immer größere Nachfrage von der Abnehmerseite bestimmt werden, kommt es zu einschneidenden Veränderungen des Ausgangskonzepts. Aus einem Programm zur Steigerung der Wertschöpfung auf den Höfen, dem Ansatz nicht nur Absatzzahlen zu vergleichen, sondern wie im Biolandbau der ökologischen Bedeutung der Wirtschaftsweise eine herausragende Stellung einzuräumen, würde ein einseitig auf Menge optimiertes Produktionssystem. Über kurz oder lang fällt dies auch den VerbraucherInnen auf, die sich anfänglich über niedrigere Preise freuen. Dann aber machen sich zumindest Teile der KundInnen auf die Suche nach neuen Qualitäten, die wieder näher bei ihren Vorstellungen zur Herkunft und Verarbeitung ihrer Lebensmittel liegen.

Regionaler Mehrwert?

Eine derartige Bewegung macht derzeit den Bioverbänden Sorge. Ihr Alleinstellungsmerkmal verliert an Attraktivität. Nahezu überall kann man inzwischen Bioprodukte, wenn auch in sehr unterschiedlicher Angebotsbreite, kaufen. Immer mehr Ware wird nachgefragt. Wo es zuvor aussichtslos schien, bei einem Discounter als Bioprodukt gelistet zu werden, ist jetzt die Problematik die nachgefragte Menge in konstanter Qualität kurzfristig verfügbar zu machen. Natürlich sind die Situationen von Produkt zu Produkt verschieden. Bei Haltbarem ist sie einfacher als bei rasch Verderblichem. Bei Eiern, auf denen durch die Kennzeichnung die Herkunft direkt ersichtlich ist und die sich zumindest bei nicht verarbeiteter Ware bei VerbraucherInnen nach wie vor einer großen Nachfrage erfreuen, hat dies zu einem enormen Größenwachstum und in der Folge zu großen Betrugsfällen geführt. Den Vorstellungen der entsprechend sensibilisierten VerbraucherInnen entspricht das nicht mehr - die der ökologischen Wirtschaftsweise zugeschriebene Übersichtlichkeit und Übereinstimmung mit eigenen Vorstellungen wird an dieser Stelle erschüttert. Genau hier gewinnt die Regionalität als neuer Maßstab für lokale Bezüge und gewünschte Wirtschaftsformen an Attraktivität.

Wissen, wo es herkommt

Bedient wird dann eine Nachfrage, aber nicht das Bedürfnis der VerbraucherInnen nach einem Bezug zu dem Produkt und ihren Vorstellungen von vielgestaltigen Höfen und Tierhaltung.

Was bleibt? KundInnen, die sich den direkten Draht zu Höfen suchen, deren Wirtschaftsweise ihnen zusagt. Eine Kombination von bio und regional. Das braucht verstärkte Anstrengungen, die Vorteile und den nötigen Aufwand zu kommunizieren.

Hier kommen Kennzeichnung und Label ins Spiel. Auch da kommt es auf die Definition an. Um Regionalität fassbar zu machen, entstand das Regionalfenster, ausgearbeitet vom Bundeslandwirtschaftsministerium. Regional ist, was aus einem Wirtschaftsraum kommt, der nicht das ganze Land, sondern einen geringfügig kleineres Gebiet umfasst. Etwa Deutschland ohne Rügen. Verständlicherweise greifen lokale Direktvermarktungsinitiativen, wie der Landmarkt, viel zu kurz, denn letztendlich werben sie um die gleichen KundInnen.

Für die Bäuerinnen und Bauern geht es darum, den VerbraucherInnen den eigenen Hof, die Wirtschaftsweise und den nötigen Aufwand für Leistungen, die auf dem großen anonymen Markt nicht entlohnt werden - lokale, eigene Vermarktung, artgerechte Tierhaltung, eigenen Futterbau, vielfältige Bewirtschaftungsweise und anderes - darzustellen und angemessene Preise zu erlösen.

Bäuerinnen und Bauern, die sich dementsprechend ausrichten, handeln mit ihrer Übersichtlichkeit. Und um diese sichtbar zu machen, ist ein Wettbewerb um interessierte KäuferInnen nötig, bei dem Kennzeichnungen hilfreiche Unterstützung geben können, jedoch zu weit gefasst für neue Verwirrung sorgen - und immer ein Definitionsversuch bleiben werden. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen um die Stärkung der ländlichen Räume kommt auch einer regionalen Lebensmittelproduktion, Verarbeitung und Vermarktung ein hoher Stellenwert zu. Durch dezentrale Wirtschaftskreisläufe kann die Wertschöpfung in der Region gehalten werden und kommt so den dort lebenden Menschen zugute. Notwendig ist hierfür neben der besonderen Förderung bäuerlicher Strukturen mit Direktvermarktung der Erhalt von Verarbeitungsstrukturen wie Metzgereien, Mühlen und Bäckereien. Regionalität wird somit zu einer tragenden Säule von aktiven, lebendigen ländlichen Strukturen. Arbeitsplätze und eine gesicherte Einkommenssituation sind die Folge. Auf der anderen Seite gewährleistet der Erhalt bäuerlicher Betriebe die kontinuierliche Bewirtschaftung und trägt damit zum Erhalt der Landschaftsräume bei. Vor allem aber muss auch den VerbraucherInnen ihr persönlicher Mehrwert durch regionale Wirtschaftskreisläufe nahegebracht werden und dass es sich lohnt, diese durch ihren bewussten Einkauf zu unterstützen.


Christine Weißenberg und Marcus Nürnberger arbeiten als Autoren in der Redaktion der Unabhängigen Bauernstimme.

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Quelle:
Rundbrief 4/2016, Seite 18 - 19
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2017

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