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RECHT/325: EU-Erhaltungssortenrichtlinie muß nun nationales Recht werden (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 316 - November 2008
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

"Phantasievoll umsetzen!"
Die EU-Erhaltungssortenrichtlinie muss nun in nationales Recht gegossen werden

Von Claudia Schievelbein


Nach langem Ringen hat die EU in diesem Sommer die sogenannte Erhaltungssortenrichtlinie beschlossen. Erhalt und Vermarktung alter Kultursorten bewegten sich bislang im rechtsfreien Raum, das soll nun anders werden. Bis Juni 2009 hat das Bundeslandwirtschaftsministerium Zeit, die Regelung in nationales Recht umzusetzen. Erste Gespräche mit den beteiligten Verbänden finden jetzt statt. Worum es aus Sicht der Initiativen von Erhaltungssorten geht, erläutert Rudi Vögel, Vorstandsmitglied des VERN e.V. und amtierender Sprecher des KERN-Verbunds, Zusammenschluss der tätigen Erhaltungsinitiativen, im Interview.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Was muss die Zielsetzung der nationalen Erhaltungssortenrichtlinie sein?

RUDI VÖGEL: Wie auch schon in der Präambel der EU-Verordnung dargestellt, ist die Intention, mit einer Ausnahmeregelung am harten Sortenrecht vorbei bestimmten Sorten eine Chance aufs Überleben zu geben. Dabei bezieht sich die Richtlinie ausdrücklich auf landwirtschaftliche Sorten, konzentriert sich also im Wesentlichen auf Getreide und Kartoffeln. Gemüse ist nicht betroffen, dafür ist eine Amateursortenrichtlinie in Vorbereitung. Auch für die ist entscheidend, wie die Erhaltungssortenrichtlinie national umgesetzt wird. Wie geht man damit um, phantasievoll oder technokratisch?

Die Zielvorgabe der EU ist, den Erhalt der Kulturpflanzenvielfalt zu verbessern, daran wird schließlich auch die nationale Umsetzung gemessen.

Viel Kritik kann an Formulierungen wie "Ausnahmeregelungen", "Sorte, Sortenbegriff und -definition" vorgebracht werden. Letztlich hilft es aber für eine brauchbare nationale Regelung nicht weiter.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Wie wird man das Bundesministerium da messen?

RUDI VÖGEL: Die Richtlinie und damit natürlich die Nutzung von Erhaltungssorten wird nur für einen kleinen speziellen Kreis von Bäuerinnen und Bauern interessant sein. Vielseitig strukturierte, weniger spezialisierte, Experimentierfreudige, jetzt schon mit einer hohen Diversität, auf Sonderstandorten, mit einer Sonderproduktion, einer besonderen Vermarktung, mit weniger hohen Ertragserwartungen, extensiv wirtschaftende, ggf. in Schutzgebieten angesiedelte Betriebe. Auch Kooperationen von Betrieben mit Verarbeitern wie Bäckern, Brauereien.

Wenn nun das Umsetzungsangebot des Ministeriums nicht attraktiv ist, im Sinne von Einfachheit, nicht praktikabel und schlüssig ist, sondern ein Popanz gemacht wird, dann kommt das dem Material nicht zugute und die Leute, die damit zu tun haben, sind überfordert. Dann werden wahrscheinlich kaum Sorten angemeldet.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Wo sind die entscheidenden Punkte?

RUDI VÖGEL: Das Ganze teilt sich in zwei Komplexe, die Zulassung und das Inverkehrbringen. Beim letzteren haben wir schon Standards und ein Zertifizierungssystem durch die amtliche Saatgutanerkennung, von denen in gewissem Umfang abgewichen werden kann. Aber auch bei den Erhaltungssorten muss ich einen Sack haben, in dem drin ist was drauf steht, die Keimfähigkeit angegeben ist, technische Hinweise zur Sorte eben, die verlässlich sein sollten. Die Frage stellt sich dabei, ob das die Bundesländer einfach mit prüfen sollen, ggf. müssen?

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Und wie ist das mit der Zulassung?

RUDI VÖGEL: Da wird es schon schwieriger. In der EU-Richtlinie steht drin, dass es bei den Landsorten ein spezifisches Interesse an ihrem genetischen Input gibt, wenn man an sie die üblichen Sortenkriterien wie Homogenität, Unterscheidbarkeit und Beständigkeit anlegen kann. Für viele Landsorten ist es aber geradezu typisch und häufig auch für ihre neuerliche Nutzung erwünscht, dass sie variieren. Auch wenn das Prüfkriterium "landeskultureller Wert" in seiner üblichen Auslegung Anwendung fände, würde ein Großteil des interessanten Materials rausfallen. Man muss weg vom klassischen Sortenbegriff hin zu einer Beschreibung, was genetisch wertvoll ist, eine andere Wuchshöhe, Farbe, Form, Halmoptik oder auch ein anderes Wuchsverhalten und ein anderer Geschmack. Die EU eröffnet die Möglichkeit, auf amtliche Prüfungen zu verzichten, wenn Aufzeichnungen in einer bestimmten Form vorliegen.

Grundsätzlich sollte keine Prüfung im amtlichen Sinne vorgegeben werden, es sollte, so auch die EU-VO, eine Registrierung der "Sorte" ausreichen und zur Beschreibung und Unterscheidung gelieferte Angaben kompetenter Dritter wie Erhaltungsorganisationen akzeptiert werden.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Und dann gab es da doch noch die Debatte um die Ursprungsregion und die Mengenbegrenzung?

RUDI VÖGEL: Ja, die EU möchte gerne regional fixieren. Die Frage ist aber, wie man damit umgeht, dass Getreide seit 300 Jahren transkontinental gehandelt wird. Und auch die frühe Kartoffelzucht hat an einem Ort gezüchtet und die Sorten dann im ganzen Deutschen Reich verbreitet. Für den heutigen Einsatz von Erhaltungssorten spielt eine ökologische Eignung z. B. für extreme Standorte eine große Rolle. Das Bundesministerium wäre also gut beraten, ganz Deutschland als Ursprungsregion zu definieren und ökologische Anbaueignung der Sortenbeschreibung zu überlassen.

Zu den Mengenbegrenzungen: Die Vorgaben der Kommission dazu (0,5 Prozent der Erzeugungsmenge, abweichend Menge ausreichend für 100 ha Kultur) stellt vor dem Hintergrund des jetzt praktizierten Umfangs von intern bewirtschafteten Erhaltungssorten meines Erachtens nach keine restriktiv wirksame Grenze dar. Es ist nicht zu erkennen, dass die Nachfrage an Erhaltungssorten eine wesentliche Größendimension im Vergleich zum modernen Sortenmarkt erreichen wird, vor diesem Hintergrund sollte auch der verwaltungsbürokratische Aufwand dafür möglichst gering gehalten werden.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Anerkennung, Zulassung, Erhaltungszucht - hier entstehen überall auch Kosten, wer zahlt?

RUDI VÖGEL: Die EU-Richtlinie sagt nichts dazu. Aber alles, was über einen symbolischen Beitrag von einem Euro für die Zulassung oder Registrierung einer Sorte hinausgeht, wird von den Erhaltungsinitiativen nicht akzeptiert werden. Im Gegenteil, jede Anmeldung einer Sorte sollte prämiert werden als Dienst an der Gesellschaft. Es gibt genug Fördermöglichkeiten, die dazu benutzt werden könnten - die ELERMaßnahmen der GAP, die erst kürzlich um den Fördergrundsatz genetische Ressourcen erweiterte Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz (GAK). Auch die Erhaltungszüchtung der Initiativen sollte finanziell unterstützt werden.

UNABHÄNGIGE BAUERNSTIMME: Hat der, der die Sorte zur Zulassung anmeldet, Exklusivrechte?

RUDI VÖGEL: Auch dazu sagt die EU-Vorlage nichts, im klassischen Sortenschutzrecht erhält der erfolgreiche Anmelder das alleinige Vertriebsrecht mit der Pflicht zur Erhaltungszucht. Hier wäre anzustreben, einen kollektiveren, weniger privatnützigen Gebrauch der Sorten zu ermöglichen.

Deutlich muss von Seiten des Bundesministeriums werden, dass es bei der Umsetzung etwas schaffen will, was praxistauglich und anwendbar ist. Nur wenn die von der EU angebotenen Spielräume phantasievoll genutzt werden, kann man sich damit politisch auf Seiten der Kulturpflanzenvielfalt positionieren, ohne unglaubwürdig zu werden.

BAUERNSTIMME: Vielen Dank für das Gespräch!


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 316 - November 2008, S. 11
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2008