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ASYL/1096: Bleiberechtsregelung soll leerlaufen (Pro Asyl)


Pro Asyl - Pressemitteilung vom 14. Oktober 2016

PRO ASYL veröffentlicht Gesetzentwurf des BMI

PRO ASYL zum "Entwurf eines Gesetzes zur besseren Durchführung der Ausreisepflicht"
Bleiberechtsregelung soll leerlaufen


Das Bundesinnenministerium (BMI) will Bleiberechtsregelung für Geduldete aushebeln. PRO ASYL appelliert an SPD und die rationalen Argumenten Zugänglichen: Dieser Gesetzentwurf aus dem Bundesinnenministerium muss gestoppt werden.

Bundesinnenminister de Maizière bringt aktuell eine erneute Verschärfung des Aufenthaltsrechts auf den Weg. PRO ASYL liegt der Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums vor, der sich zur Zeit in der Ressortabstimmung befindet. Er verfolgt unter anderem das Ziel, die jahrelang diskutierte gesetzliche Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete leerlaufen zu lassen. "Das ist ein Rollback im Umgang mit Geduldeten in Deutschland. Einigen in der Union passte die gesetzliche Bleiberechtsregelung nie. Das nun ist der Versuch, sie zu sabotieren. Die gesetzliche Bleiberechtsregelung für Geduldete bleibt auf dem Papier bestehen, sie soll aber in der Praxis nicht mehr wirksam sein", kommentierte PRO ASYL-Geschäftsführer Günter Burkhardt. PRO ASYL appelliert an die Regierungskoalition: "Die Bleiberechtsregelung wurde aus guten Gründen auf Basis des Koalitionsvertrages vom Deutschen Bundestag beschlossen. Dieser Versuch des BMI zur stillen Rückabwicklung muss gestoppt werden."

Der Gesetzentwurf des BMI ist überdies inhuman und mit dem rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht in Einklang zu bringen. Ohne Ankündigung sollen auch Menschen, die sich zum Teil jahrelang in Deutschland aufhalten abgeschoben werden können. (Folge der Streichung von § 60 Abs. 5 Satz 5 AufenthG).


Zur ersten Bewertung des "Entwurfs eines Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht"
Zu § 60 Abs. 4a AufenthG

Neu eingeführt werden soll eine "Bescheinigung über die vollziehbare Ausreisepflicht", die eine Duldung zweiter Klasse ist. Wer sie erhält, soll dauerhaft von Integrationsmaßnahmen ausgeschlossen werden. Ausländer sollen die neue Bescheinigung erhalten, wenn aus vom Ausländer selbst zu vertretenen Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, z.B. wenn er bei der Beschaffung eines Passes oder Passersatzes zur Einreise in den Herkunftsstaat nicht mitwirkt (Nr. 1) nun aber auch schon, wenn der Herkunftsstaat ihm keinen Pass oder Passersatz ausstellt (2.). Die Nummer 2 stellt einen Dammbruch dar: Geduldete sollen für das Verschulden der Behörden ihrer Herkunftsländer haftbar gemacht werden und schlechter gestellt werden. Vom persönlichen Verhalten des Betroffenen ist die Erteilung einer "Bescheinigung über die vollziehbare Ausreisepflicht" dann nicht mehr abhängig. Der Mensch wird zur Geisel seiner Herkunftsregierung, die z. T. aus politischen oder finanziellen Gründen die Rückkehr verzögert.

Die Regelung führt eine Duldung zweiter Klasse ein. Das Bundesinnenministerium beabsichtigt damit, die Betroffenen von allen Möglichkeiten auszuschließen, die langjährig Geduldeten bisher offen stehen, um in Deutschland ein Bleiberecht zu erhalten. Dies betrifft z.B. die Ausbildungsduldung, den Arbeitsmarktzugang, die Arbeitsfördermöglichkeiten und den Anspruch auf ein dauerhaftes Bleiberecht. Aber auch der Zugang zur Bildung soll versperrt werden, damit der Ausländer nicht über eine Bildungsmaßnahme die Aussicht auf eine Duldung erhält, argumentiert der Entwurf, er soll "auch nicht die Aussicht auf ein Aufenthaltsrecht durch eine fachtheoretische Berufsausbildung erhalten" (S.9). Gerade erst im Jahr 2015 hat der Gesetzgeber mit §§ 25a und b AufenthG eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung geschaffen, die für einen Großteil der Geduldeten nun ins Leere laufen wird, falls der Entwurf zum Gesetz wird. Der jetzt geplante § 60 Abs. 4a AufenthG war bereits Teil des Referentenentwurfs zum Asylpaket I und ist aus guten Gründen von der Bundesregierung damals nicht ins Gesetz aufgenommen worden (PRO ASYL hat hierzu am 17.09.2015 eine Pressemitteilung herausgegeben). Das Bundesinnenministerium versucht offenkundig, SPD und Parlamentarier zu überlisten und bereits verworfene Regelungen ins Gesetz zu schmuggeln.

Durch die geplante Neuregelung des § 60 Abs. 4a AufenthG sollen die Betroffenen auch gemäß § 1a Abs. 2 Asylbewerberleistungsgesetz vom sozialen Existenzminimum ausgeschlossen werden. § 1a AsylblG wird damit erneut aufgebläht, nachdem bereits die letzten Asylpakete und das Integrationsgesetz zu deutlichen Verschärfungen geführt haben. PRO ASYL weist erneut daraufhin, dass der Ausschluss vom sozialen Existenzminimum mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht vereinbar ist und zugleich gegen die Menschenwürde und das Sozialstaatsgebot verstößt.

Zu § 60 Abs. 5 S. 4 AufenthG

Bisher regelt diese Norm, dass Personen, bei denen die Abschiebung seit einem Jahr ausgesetzt ist, die geplante Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen ist. Diese Regelung soll ersatzlos gestrichen werden. Ohne Ankündigung sollen daher auch bisher Geduldete und die Opfer der künftigen "Duldung light" abgeschoben werden, die sich zum Teil über Jahre in Deutschland befinden, wenn man die Zeit zwischen Ankunft und Registrierung so wie die Dauer der Asylverfahren noch zur Zeit ihrer Duldung hinzurechnet. In dieser Zeit haben die Menschen bereits ein soziales Netzwerk aufgebaut. Sie ohne Warnung abzuschieben ist mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der für das Verwaltungsrecht essentiell ist, nicht vereinbar. Der Vollzug der Abschiebung ist einer der härtesten Verwaltungsakte, den ein Staat überhaupt anwenden kann, weshalb bei seiner Durchführung rechtsstaatliche Aspekte zu beachten sind. Hierzu gehört es, der Person bei einem langen Aufenthalt in Deutschland, die Möglichkeit zu geben, sich auf die Abschiebung einzustellen oder ggf. freiwillig auszureisen. Die Regelung bezweckt eine Überraschungsabschiebung mit all ihren inhumanen Folgen.

Zu § 62b Abs. 1 S. 1 AufenthG

Die Zeit des möglichen Ausreisegewahrsams wird von vier auf vierzehn Tage erhöht. PRO ASYL hat bereits die Einfügung des § 62b AufenthG im letzten Jahr scharf kritisiert. Mit dem Ausreisegewahrsam wird ohne die übliche rechtsstaatliche Prüfung einzelner Haftgründe eine Abschiebungshaft angeordnet. Nach der EU-Rückführungsrichtlinie ist Fluchtgefahr der wesentliche Grund aus dem ein Drittstaatsangehöriger zur Sicherung der Abschiebung inhaftiert werden darf (Art. 15 Abs. 1). Unter welchen Umständen von Fluchtgefahr ausgegangen werden kann, muss aber gesetzlich klar definiert sein. Wichtig ist aber, dass Auffangtatbestände nach der Rückführungsrichtlinie nicht erlaubt sind (Art. 3 Nr. 7). Der Ausreisegewahrsam stellt gerade einen solchen nicht definierten Haftgrund dar, der jetzt noch auf vierzehn Tage ausgeweitet wird. Auch ist eine derart lange Dauer vollkommen unverhältnismäßig und daher sowohl verfassungs- und europarechtlich unzulässig.

Zu § 62 Abs. 3 Satz 1a, Nr. 3 und 5 AufenthG

Die Gründe für die Abschiebungshaft werden ausgeweitet. Ausreichend soll bereits eine "erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit" oder die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe wegen einer einzigen vorsätzlichen Straftat sein. Dies stellt einen Systemwechsel dar. Die Abschiebungshaft dient bislang nur dem Vollzug der Abschiebung und setzt Fluchtgefahr voraus. Eine strafrechtliche Verurteilung - ggf. nur zu einer Bewährungsstrafe - bedeutet nicht, dass automatisch Fluchtgefahr besteht. Der Gesetzentwurf vermischt Abschiebungshaft und Strafhaft. Das ist rechtsstaatlich unzulässig und stellt eine unzulässige Doppelbestrafung dar.

In Nummer 3 ist zudem vorgesehen, dass Ausländer inhaftiert werden können, wenn sie irgendeinen Termin versäumen, der von den Behörden angekündigt wird. Dies können nach der Gesetzesbegründung (siehe S. 18) selbst angekündigte Besuche der Ausländerbehörde in der Unterkunft sein. Auch diese Regelung ist vollkommen unverhältnismäßig und rechtsstaatlich nicht haltbar. Die Abschiebungshaft kann nicht nur deswegen verhängt werden, weil ein Ausländer bei einem angekündigten Behördentermin nicht anwesend ist, der nicht zwangsläufig mit der Abschiebung in Zusammenhang stehen muss. Die Abschiebungshaft ist lediglich ein Instrument zur Durchsetzung der Abschiebung. Wenn der Ausländer aufgrund der fehlenden Terminankündigung nicht weiß, wann die Abschiebung stattfinden soll, kann ihm dies nicht bei etwaigen anderen Terminen der Behörden zur Last gelegt werden.

Zu §§ 46 Abs. 2 und 48 Abs.1 AufenthG

Einen Tabubruch stellt die vorgesehene Änderung von §§ 46 Abs. 2 und 48 Abs.1 AufenthG vor. Die Regelung erlaubt es, Mehrstaatern als Personen, "die neben der deutschen Staatsangehörigkeit mindestens eine weitere Staatsangehörigkeit" besitzen, die Ausreise zu untersagen und den Pass zu entziehen. Fragwürdig ist dabei nicht der Inhalt, weil dieses das AufenthG schon jetzt gegenüber Ausländern und das PassG gegenüber Deutschen erlaubt, sondern dass die zusammenfassende Regelung für Mehrstaater (womit derzeit erforderliche zwei Bescheide auf einen reduziert werden) im AufenthG und nicht im Passgesetz steht. Erstmals werden damit Deutsche ausländerrechtlichen Bestimmungen unterstellt - der "Deutsche zweiter Ordnung" ist damit legislativ im Ausländerrecht verortet. Es ist nur noch ein kleiner Schritt, die von manchen unerwünschten Doppelstaater, etwa gem § 4 Abs. 3 StAg, auch im Übrigen den ausländerrechtlichen Bestimmungen zu unterwerfen.

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Quelle:
Pro Asyl - Pressemitteilung vom 14. Oktober 2016
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Oktober 2016

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