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ASYL/566: Fluchtursachen im Nahen Osten (Der Schlepper)


Der Schlepper Nr. 45 - Herbst 2008
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein

"Berichte über Folter und Misshandlungen nahmen zu"

Fluchtursachen im Nahen Osten


37 % der 28.572 Flüchtlinge, über deren Asylgesuch das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Jahr 2007 entschieden hat, kamen allein aus den Ländern Irak, Iran, Syrien und Libanon. Gleichzeitig gehören diese schon seit vielen Jahren zu den Top Ten der Herkunftsländer von in Deutschland Schutz und eine friedliche Zukunft Suchenden.


Wie wenig Optimismus angezeigt ist, dass die Fluchtursachen im Nahen Osten weniger werden, belegt ein Blick in die Länderberichte des Jahres 2007 der Menschenrechtsorganisation amnesty international, die wir im Folgenden länderspezifisch zusammengefasst haben.


Ägypten

2007 wurden die Notstandsgesetze als reguläres Recht festgeschrieben. Unter anderem legalisierten sie längere Inhaftierungszeiten ohne Anklageerhebung, Folterungen und andere Misshandlungen, Einschränkungen der Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit sowie unfaire Prozesse vor Militärgerichten und (Notstands-) Staatssicherheitsgerichten. Annähernd 18 000 "Verwaltungshäftlinge" - Personen, die auf Anordnung des Innenministeriums festgehalten werden - verblieben unter erniedrigenden und unmenschlichen Bedingungen im Gefängnis, obwohl Gerichte bei einigen wiederholt Freilassung angeordnet hatten. Neben Streiks gegen steigende Lebenshaltungskosten, zunehmende Armut und andere Missstände kam es zu politischen Protesten der Muslimbruderschaft und der sich für demokratische Reformen einsetzenden nichtreligiösen Gruppen. Berichten zufolge nahm das Ausmaß der Gewalt gegen Frauen zu.


Libanon

Im Jahr 2007 wurden mehr als 40 Menschen bei Bombenanschlägen und anderen Angriffen getötet. Hunderte verloren während der monatelangen Kampfhandlungen zwischen der libanesischen Armee und der bewaffneten Gruppierung Fatah al-Islam im palästinensischen Flüchtlingslager Nahr al-Bared ihr Leben. Die Spannungen und Spaltungen im Land, das sich noch immer von dem verheerenden Krieg zwischen Israel und der Hisbollah im Jahr 2006 erholen musste, machten das Parlament praktisch handlungsunfähig. Frauen sahen sich rechtlichen und alltäglichen Diskriminierungen ausgesetzt. Palästinensische Flüchtlinge litten weiterhin unter Diskriminierung und der Verletzung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Rechte. Berichte über Folter und Misshandlungen in Haft nahmen zu. Gerichte erließen nach wie vor Todesurteile.


Jordanien

Personen, die wegen Terrorismusverdachts festgenommen worden waren, mussten sich auch 2007 in unfairen Gerichtsverfahren vor dem Staatssicherheitsgericht (State Security Court - SSC) verantworten. Angeklagte erhielten Gefängnisstrafen oder Todesurteile, obwohl sie angaben, gefoltert worden zu sein. Frauen waren weiterhin Diskriminierungen und familiärer Gewalt ausgesetzt, viele wurden im Namen der "Familienehre" getötet.


Syrien

Der Ausnahmezustand, der seit 1963 in Kraft ist, gab den Sicherheitskräften auch 2007 umfassende Befugnisse für Festnahmen und Inhaftierungen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie auf Versammlungsfreiheit war stark eingeschränkt. Hunderte Menschen wurden festgenommen, Hunderte politische Gefangene blieben weiterhin in Haft, darunter gewaltlose politische Gefangene und Personen, die nach unfairen Gerichtsverfahren verurteilt worden waren. Menschenrechtsverteidiger wurden schikaniert und verfolgt. Frauen und Mitglieder der kurdischen Minderheit litten weiterhin unter rechtlicher sowie alltäglicher Diskriminierung. Folterungen und Misshandlungen blieben straflos. Öffentliche Hinrichtungen wurden wieder aufgenommen.


Irak

Im Zuge anhaltender religiös und anderweitig motivierter Gewalt wurden 2007 Tausende von Zivilpersonen, darunter Kinder, getötet oder verletzt. Viele Zivilisten verloren ihr Leben bei Bombenanschlägen von Gruppen, die der irakischen Regierung und den von den USA angeführten multinationalen Truppen (Multinational Force - MNF) feindlich gegenüberstanden. Andere fielen religiös motivierten Morden zum Opfer, die von schiitischen und sunnitischen bewaffneten Gruppen begangen wurden. Hunderte von Menschen wurden entführt, gefoltert und getötet. Die Zahl der Flüchtlinge, die in Syrien, Jordanien und anderen Staaten seit Kriegsbeginn 2003 Zuflucht suchten, erhöhte sich auf zwei Millionen. Zwei Millionen Binnenvertriebene verschärften die humanitäre Krise weiter. Die irakischen Sicherheitskräfte waren für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, darunter widerrechtliche Tötungen, Vergewaltigungen und andere Formen der Folter sowie willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen. Die MNF tötete Zivilisten und hielt mehr als 25 000 Häftlinge ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren in ihrem Gewahrsam, darunter einige bereits seit mehreren Jahren. Auch Angestellte privater (z.B. US-amerikanischer) Sicherheitsfirmen töteten Zivilpersonen und genossen Immunität. Die Todesstrafe kam häufig zur Anwendung.


Iran

Journalisten, Schriftsteller, Akademiker, Frauenrechtlerinnen und andere engagierte Bürger waren auch 2007 von willkürlichen Festnahmen, Reiseverboten, Schikanen sowie der Schließung ihrer Nichtregierungsorganisationen betroffen. Minderheiten wurden vom Staat nach wie vor unterdrückt. Die Diskriminierung von Frauen war weiterhin fest im iranischen Recht und in der Praxis verankert. In Gefängnissen und Haftzentren wurde in großem Umfang gefoltert. Eine im April angekündigte Offensive zur Verbesserung der Sicherheitslage führte zu einem massiven Anstieg von Hinrichtungen. Mindestens 335 Menschen wurden im Berichtsjahr hingerichtet, unter ihnen auch zur Tatzeit minderjährige Straftäter. Nach wie vor wurden Steinigungen, Amputations- und Prügelstrafen verhängt und vollstreckt.


Israel

Israelische Streitkräfte töteten im Jahr 2007 in den besetzten Gebieten über 370 PalästinenserInnen, zerstörten über 100 Häuser und schränkten die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung noch weiter ein. Im Juni 2007 verhängte die israelische Regierung eine Blockade über den Gazastreifen, so dass die 1,5 Millionen Menschen zählende Bevölkerung praktisch interniert wurde. Dies kam der Verhängung einer Kollektivstrafe gleich und führte im Gazastreifen zur bislang schwersten humanitären Krise. Die meisten Bewohner waren auf internationale Hilfe angewiesen, um zu überleben. Straffreiheit blieb in der Westbank die Norm für israelische Soldaten sowie für Siedler, die schwerwiegende Vergehen begingen, darunter auch Tötungen, tätliche Angriffe und Sachbeschädigung. Tausende von Palästinensern wurden festgenommen. Diejenigen, die sicherheitsrelevanter Vergehen beschuldigt wurden, erhielten oft unfaire Verfahren vor Militärgerichten. Etwa 9.000 palästinensische Erwachsene und Kinder saßen in israelischen Gefängnissen, einige von ihnen hielt man jahrelang ohne Anklage oder Verfahren fest. Bei Angriffen palästinensischer Gruppierungen wurden 13 Israelis getötet.


Palästinensische Autonomiegebiete

Die Gewalt zwischen den verschiedenen palästinensischen Gruppierungen erfuhr in der ersten Hälfte des Jahres 2007 eine dramatische Eskalation und führte dazu, dass Westbank und Gazastreifen von verschiedenen politischen Kräften regiert wurden. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppen, die zum Teil der Fatah-Partei der Palästinensischen Autonomiegebiete (PA) unter Präsident Mahmoud Abbas und zum Teil der Islamischen Widerstandsbewegung (Hamas) unter Ministerpräsident Isma'il Haniyeh angehörten, hatten Hunderte von Toten zur Folge. Beide Seiten begingen schwere Menschenrechtsverstöße, darunter auch willkürliche Festnahmen und Folter.


amnesty international
www.amnesty.de/laenderberichte


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Quelle:
Der Schlepper Nr. 45 - Herbst 2008, Seite
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in
Schleswig-Holstein
Herausgeber: Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
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Tel.: 0431/73 50 00; Fax: 0431/73 60 77
E-Mail: office@frsh.de
Internet: www.frsh.de
Der Schlepper online im Internet: www.frsh.de/schlepp.htm

Der Schlepper erscheint vierteljährlich als Rundbrief
des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein e.V.
Für Vereinsmitglieder ist Der Schlepper kostenlos.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Januar 2009