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AKTUELL/025: NRW-Wahlkampf - Internet ist noch nicht wahlentscheidend (idw)


Universität Hohenheim - 07.04.2010

NRW-Wahlkampf: Internet ist noch nicht wahlentscheidend


Studie der Universität Hohenheim belegt: Bedeutung des Internets für politische Meinungsbildung im Wahlkampf ist überraschend gering. Trotz aller Web 2.0-Aktivitäten der Wahlkämpfer: Das Internet wird den geringsten Beitrag leisten, um NRWs künftigen Regierungschef zu küren. Zu dieser Prognose kommt Prof. Dr. Thorsten Quandt vom Lehrstuhl für interaktive Medien- und Onlinekommunikation der Universität Hohenheim nach sorgfältiger Analyse des Online-Wahlkampfes der vergangenen Bundestagswahl. Demnach bleiben Fernsehen und Zeitung bislang die wichtigste Informationsquelle der Wähler.

Ohne Blogs, YouTube-Kanäle und Facebook-Profile scheinen Politiker und Parteien gar nicht mehr auszukommen - so der aktuelle Eindruck, den Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Quandt im Landtagswahlkampf von Nordrhein-Westfalen erneut bestätigt sieht. "Vor diesem Hintergrund wollten wir analysieren, was vom Internetwahlkampf wirklich übrig bleibt, wenn sich der Hype einmal gelegt hat", so seine Motivation, den Online-Wahlkampf der jüngsten Bundestagswahl einmal mit den Ergebnissen zu vergleichen.


Für Wahlkampfstrategen fallen die Ergebnisse eher ernüchternd aus:

1. Trotz hoher Internetabdeckung informiert sich nur ein Drittel der Bevölkerung online über den Wahlkampf.

2. Als Hauptinformationsquelle nennen die Wähler das Fernsehen (52%) und die Zeitung (22%). Das Internet folgt erst an dritter Stelle mit 13 %, jedoch vor dem Radio (11%).

3. Wichtigste Informationsquelle im Netz sind Nachrichten auf Portalseiten, gefolgt vom Internet-Angebot der Massenmedien. Foren, Blogs und Soziale Netzwerke folgen erst an letzter Stelle.

4. Anders als in den USA: Dort nutzen 2/3 das Netz, um sich im Wahlkampf auf dem Laufenden zu halten. Soziale Netzwerke werden dreimal so intensiv zur Meinungsbildung vor der Wahl genutzt, wie hierzulande.

5. Foren, Blogs und Sozialen Netzwerken sind zwar Schlusslicht, wahlkampfstrategisch jedoch noch der beste Weg, politisch desinteressierte Online-User zu erreichen.

6. Aber: da sich die meisten User in Foren, Blogs und Sozialen Netzwerken passiv verhalten, kann eine vergleichsweise kleine Gruppe hier sehr leicht die Meinungsführerschaft an sich ziehen.

7. Die vergleichsweise hohe Zahl junger Online-User lässt jedoch vermuten, dass die Bedeutungssteigerung des Internets noch bevorsteht.

Grundlage der jetzt veröffentlichten Analyse ist eine repräsentative Befragung von 1.000 Wahlberechtigten durch das Meinungsforschungsinstitut Forsa von Dezember 2009 durchgeführt. Der Termin einige Wochen - nach der Bundestagswahl erlaubt, im Nachhinein eine Bilanz zu ziehen, und ermöglicht gleichzeitig den Vergleich mit einer von der Universität Princeton im Dezember 2008, nach der amerikanischen Präsidentenwahl, durchgeführten Repräsentativbefragung (Pew Internet and American Life Project 2008).



Zu 1.

Hohe Internetabdeckung - aber wenig Nutzung zur wahlentscheidenden Information

Auch vor der Bundestagswahl im Herbst 2009 waren die Erwartungen an Blogs und soziale Netzwerke als Wahlkampfmittel extrem hoch: "Das Internet wird wahlentscheidend", hatte der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (BitKom) noch im August verkündet.

Als Modell galt der stark über das Netz ausgetragene US-Präsidentschaftswahlkampf 2008, der als Start in ein neues Zeitalter des "Wahlkampf 2.0" gewertet wurde. So richteten sich die deutschen Parteien und Kandidaten Blogs und Social Networking Sites ein und übten sich im Twittern.

Nach der aktuellen Analyse hat sich allerdings nur ein Drittel der in Deutschland lebenden Bevölkerung (36%) überhaupt im Netz über den Wahlkampf informiert. Diese Zahl liegt deutlich unter dem Vergleichswert aus den USA (58 %). Ein Blick in vergangene Befragungen zeigt, dass in den USA schon im Jahr 2000 mehr als 40 Prozent der Bevölkerung bekundeten, Informationen zum Wahlkampf im Netz gesammelt zu haben (Pew 2000).

"Die geringe Bedeutung von Online-Medien im deutschen Wahlkampf lässt sich allerdings nicht dadurch erklären, dass hierzulande weniger Menschen das Internet nutzen", meint Prof. Dr. Quandt. Im Gegenteil: mit fast drei Vierteln (74%) der Befragten sei der Anteil jener Personen, die zumindest gelegentlich das Internet nutze, genau gleich hoch wie bei der Vergleichsbefragung 2008 aus den USA (74%).

Zu 2.

Insgesamt Fernsehen und Zeitung bleiben Leitmedien im Wahlkampf

"Anders als die US-Bürger nutzen die deutschen Onliner das Internet auch in Wahlkampfzeiten kaum als politisches Medium", erläutert Prof. Dr. Quandt. "Fernsehen und Zeitung bleiben für sie die wichtigsten Informationsmedien zum Wahlkampf."

Nur für 13 Prozent der Onliner stelle das Internet die wichtigste Informationsquelle im Wahlkampf dar. Die Vergleichsstudie aus den USA zeige das Internet ebenfalls an dritter Stelle, allerdings fast gleichauf mit der Tageszeitung, und mit deutlichem Abstand vor dem Radio.

Aber auch bei der 30%-Gruppe, die das Internet zumindest zur Zusatzinformation nutzt, stünden die begehrten sozialen Netzwerke und Blogs gar nicht im Fordergrund, so eine Detailanalyse der Projektgruppe um Prof. Dr. Quandt unter den 355 betroffenen Befragten.

Zu 3.

Unter Online-Nutzern haben Portale den größten Einfluss

Tatsächlich stehen solche Nachrichten an erster Stelle, die in die großen Portale und Suchmaschinen eingebettet sind, wie etwa in die Einstiegsseiten von Yahoo und GMX oder in das Nachrichtenangebot bei Google News. 50 % der Befragten informieren sich über diese Angebote - und verleihen den Betreibern der Portale und Suchmaschinen damit einige Macht. "Ihr großer Einfluss zeigt sich darin, in welcher Reihenfolge sie den Nutzern die Nachrichten unterschiedlicher Herkunft präsentieren", so Prof. Dr. Quandt.

Erst nach den Portalen folgen die eigentlichen Quellen der Nachrichten: die Webangebote der klassischen Massenmedien. An erster Stelle stehen die Hompages von Tageszeitungen (genutzt von 41%) gefolgt von Zeitschriften (genutzt von 37%), die Homepages von Parteien und Kandidaten (genutzt von 33%) und die Seiten der TV-Sender (genutzt von 31%).

Die neuen sozialen Medien des web 2.0 platzieren sich am unteren Ende der Rangfolge. Vorne liegen Foren (genutzt von 17%), gefolgt von Blogs (genutzt von 15%) und Social Networks (genutzt von 9%). Unter den Angeboten zum persönlichen Austausch hat noch die klassische E-Mail die größte Bedeutung (genutzt von 19,4%), Instant Messengers wie Twitter landen auf dem letzten Platz (genutzt von 7,6% der Online-Nutzer).

Zu 4.

Starke Unterschiede zum Informationsverhalten der US-Wählern

"Damit zeigen Deutschlands Online-Nutzer ein völlig anderes Leseverhalten als die US-Surfer", vergleicht Projektmitarbeiter Dr. Thilo von Pape. Zwar seien in beiden Ländern die Ableger klassischer Massenmedien noch sehr stark vertreten. Während aber hierzulande die Online-Ableger von Zeitungen dominieren, seien es jenseits des Atlantiks 2008 die Webseiten von TV-Sendern (64%). Die Angebote von Tageszeitungen würden nur von 34 Prozent als Informationsquelle zur US-Wahl 2008 konsultiert.

Insgesamt spiele in den USA die Medien interpersonaler Kommunikation eine bedeutendere Rolle. Dies gilt besonders für das Medium "E-Mail" (65% im Vergleich zu 19% in Deutschland), aber auch für soziale Netzwerke (23% zu 8%) und für Instant Messaging (11,4 % zu 7,1%).

Zu 5.

Desinteressierte Wähler sind kaum, am ehesten jedoch über 2.0-Angebote erreichbar

Gleichzeitig zeige sich, dass Wahlkämpfer über Blogs und Soziale Netzwerke noch am ehesten Chancen haben, politisch desinteressierte Wähler zu erreichen.

"Die Studie zeigt, dass politisch hoch interessierte Nutzer bestimmte Medien gezielt ansteuern", erklärt Prof. Dr. Quandt. So nutzen stark am Wahlkampf interessierte Personen signifikant häufiger die Homepages von Zeitungen (47% vs. 32%) und Zeitschriften (43% vs. 28%), während die Homepages von Fernsehsendern nicht signifikant häufiger von Interessierten als von nicht interessierten als Quelle zur Information über die Wahl genutzt werden (34% vs. 28%). Unter den digitalen Medien interpersonaler Kommunikation nutzen an der Wahl Interessierte deutlich häufiger E-Mails (24% vs. 13%), Foren (22% vs. 10%) sowie Homepages von Parteien und Kandidaten (38% vs. 27%).

Blogs und Social Networking-Angebote würden dagegen zwar weniger, dafür jedoch von Interessierten wie auch von Desinteressierten Online-Nutzern gleichermaßen genutzt. "Wahlkampfstrategisch lässt sich daraus immerhin positiv ableiten, dass man über Blogs und Soziale Netzwerke gleichermaßen die weniger Interessierten erreichen kann."

Zu 6.

Kaum Vielfalt: Wenige User bestimmen Meinungsführerschaft im Web 2.0

Gleichzeitig verhalten sich die wenigen Wähler, die sich in Foren und Social Networks informieren, erstaunlich passiv: "23 von 31 Social Networking-Interessierten und 46 von 61 Foren-Nutzern geben an, vornehmlich die Beiträge anderer gelesen zu haben, anstatt selbst aktiv zu kommunizieren", so Projektleiter Prof. Dr. Quandt.

Wenn überhaupt eine aktive Nutzung festzustellen sei, so im Fall der E-Mail. Hier gäben 34 von 69 Personen an, auch selbst aktiv über die Wahl kommuniziert zu haben.

"Die Folge ist, dass es einer verschwindend geringen Minderheit im Promillebereich gelingt, die Meinungsführerschaft im web 2.0 zu übernehmen", bestätigt der Kommunkationswissenschaftler.

Jüngere User zeigen: Bedeutung des Internets wird zunehmen

Eine Unterscheidung nach Altersklassen lässt zumindest erwarten, dass das Wahlkampfmedium "Internet" an Bedeutung gewinnt: Innerhalb der jüngsten Alterskohorte der 18- bis 29jährigen Onliner (155 Befragte) stellt das Internet für 29 Prozent das wichtigste Medium zum Wahlkampf dar - geschlagen allein vom Fernsehen (49%), aber deutlich vor der Zeitung (19%).

Für alle anderen Altersgruppen liegen zumindest Fernsehen und Zeitung vor dem Netz. Unter den über 60jährigen (139 Befragte) ist das Internet schließlich das Wahlkampfmedium mit der geringsten Bedeutung.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution234


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Hohenheim, Florian Klebs, 07.04.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2010