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AKTUELL/054: Wer wählt wen warum? - Bamberger Politikwissenschaftler erforscht Wahlverhalten (idw)


Otto-Friedrich-Universität Bamberg - 05.09.2013

Wer wählt wen warum? - Bamberger Politikwissenschaftler erforscht Wahlverhalten



Politiker und Umfrageinstitute richten ihr Augenmerk auf den Wähler, sobald der Wahlkampf in die heiße Phase geht. Er ist das unbekannte Wesen, das seine Gunst willkürlich einem Kandidaten oder einer Partei schenkt. Welche Persönlichkeit hinter dieser - nur scheinbaren - Willkürlichkeit steckt, erforscht der Bamberger Politikwissenschaftler Harald Schoen.

Prof. Dr. Harald Schoen leitet den Lehrstuhl für Politische Soziologie und wirkt bei der deutschen Wahlstudie 2013 mit. Hierbei handelt es sich um eine Reihe von Befragungen, mit denen die Ansichten der Bürger, ihre Meinung zu den Kandidaten, zu aktuellen politischen Themen und zum Wahlkampf untersucht werden (http://deutschewahlstudie.de). Das Projekt fügt sich in Schoens Forschungsschwerpunkt der international vergleichenden politischen Einstellungs- und Verhaltensforschung. In verschiedenen Forschungsprojekten analysiert er den Wahlkampf sowie weitere Einflussfaktoren auf das Wahlverhalten und beantwortet, kurz gesagt, wer wen warum wählt - oder eben nicht.


Kandidaten, Sachfragen und Parteien

Bürger können ihre Wahlentscheidung aus ganz verschiedenen Gründen treffen. Treue zu einer Partei, Attraktivität eines Kandidaten, überzeugende Sachpositionen oder Einflüsse aus dem Freundeskreis sind nur einige wenige Beispiele. Manche treffen ihre Entscheidung bereits lange vor dem Wahlkampf, manche erst am Wahltag selbst. Je nachdem, aus welchen Gründen und wann sie sich entscheiden, lassen sich aus einem Wahlergebnis unterschiedliche Folgerungen ableiten. Daher untersuchen Bamberger Politikwissenschaftler das Wahlverhalten. Welche Rolle spielen Kandidaten und Sachfragen bei der Wahlentscheidung? Kann der Wahlkampf viele Wahlberechtigte mobilisieren oder umstimmen? Welchen Einfluss haben persönliche Kontakte zu Freunden und Bekannten auf das Wahlverhalten? Es zeigt sich unter anderem, dass der Anteil der langfristigen Parteianhänger zurückgeht, ebenso der Anteil derjenigen, die sich schon weit vor dem Wahltag festlegen, so Harald Schoen. Allerdings lässt sich kein langfristiger Trend zu einem stärkeren Einfluss von Kandidatenbewertungen oder Sachfragen auf das Wahlverhalten feststellen. Vielmehr kommt es zu wahlspezifischen Veränderungen, die mit den Bedingungen der einzelnen Wahlen zusammenhängen. Ein wachsender Anteil der Stimmberechtigten entscheidet sich erst kurz vor oder am Wahltag. Einige dieser Spätentscheider schwanken zwischen ihnen ähnlich sympathischen Parteien, andere sind politisch relativ unbedarft und können daher auch von momentanen Einflüssen stark beeinflusst werden.


Einfluss der Persönlichkeit auf das Wahlverhalten

Neben diesen externen Einflüssen auf das Wahlverhalten konnten die Bamberger Politikwissenschaftler aber auch einen Einfluss der Persönlichkeit auf das Wahlverhalten nachweisen. Welche Persönlichkeitstypen beteiligen sich besonders gerne politisch? Wer wählt welche Partei? Diesen Fragen geht ein international vergleichendes Projekt mit Bamberger Beteiligung nach. In dem Projekt wird genauer untersucht, inwieweit Persönlichkeitszüge und fundamentale Wertorientierungen Grundhaltungen zu politischen Themen und zu tagespolitischen Streitfragen bzw. das konkrete politische (Wahl-)Verhalten beeinflussen. "Auf den ersten Blick unpolitische Eigenschaften wie etwa Offenheit für Erfahrung, Schüchternheit und Gewissenhaftigkeit prägen Wahlverhalten vor", so Harald Schoen. Dabei stützt Schoen sich auf die sogenannten Big Five der Persönlichkeitspsychologie: Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Emotionale Stabilität und Offenheit. Verträgliche Personen sind beispielsweise besonders vertrauensvoll und warmherzig. Menschen mit stark ausgeprägter Gewissenhaftigkeit sind fleißig und gut organisiert, während Extrovertierte aktiv, redselig und euphorisch sind. Emotional stabile Personen können negative Gefühle wie Sorgen, Enttäuschung, Wut und Depressionen besser kontrollieren. Schließlich sind sehr offene Personen tolerant, vielfältig interessiert und aufgeschlossen für Neues.

"Ob Menschen sich für politisches Geschehen interessieren und wie stark sie sich politisch engagieren, hängt auch von diesen Persönlichkeitsdimensionen ab", so Harald Schoen. Solche Zusammenhänge entstehen, sofern politisches Engagement den mit der Persönlichkeit eines Menschen zusammenhängenden Neigungen und Bedürfnissen entspricht oder diesen widerspricht. "Beispielsweise sind sehr offene und sehr extrovertierte Menschen überdurchschnittlich politisch aktiv." Extraversion beeinflusst jedoch vor allem die Bereitschaft zu politischer Aktivität, kaum aber die politischen Vorlieben. Bei Gewissenhaftigkeit ist es tendenziell umgekehrt: "Sehr gewissenhafte Menschen sehen im Wahlrecht eine Verpflichtung, tatsächlich ihre Stimme abzugeben." Gewissenhaftigkeit beeinflusst aber insbesondere die politischen Vorlieben zugunsten der konservativen Parteien. Außerdem befürworten Gewissenhafte militärische Einsätze und eine marktfreundliche Wirtschafts- und Sozialpolitik mit höherer Wahrscheinlichkeit. Sehr offene Menschen tendieren dagegen eher zu politisch linken Grundorientierungen und befürworten überdurchschnittlich oft liberale Positionen etwa in der Zuwanderungspolitik, in der Abtreibungsfrage und bei der Regelung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften. Für die übrigen Persönlichkeitseigenschaften liegen weniger eindeutige Ergebnisse für ihren Einfluss auf die politischen Präferenzen vor. "Unsere Befunde zeigen aber immer nur Tendenzen auf, keinesfalls festgelegte Beziehungen", erklärt Schoen.

Weitere Informationen unter:
www.uni-bamberg.de/polsoz/forschung/

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution93

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Freyja Ebner, 05.09.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. September 2013