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AUSSEN/517: Die deutsch-namibische Vergangenheit - Eine leidige Geschichte (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 2, März/April/Mai 2013

Eine leidige Geschichte
Die deutsch-namibische Vergangenheit verleitet deutsche Diplomaten und Politiker immer noch zu merkwürdigen Reaktionen.

von Henning Melber



Fast scheint es so, als ob die vielfachen Fettnäpfe, in die bundesdeutsche Politiker und Diplomaten seit der Unabhängigkeit Namibias getreten sind, noch immer nicht reichen. Es stellt sich die Frage, ob dies nur zufällige Schusselei oder Absicht ist.

Im Gefolge des Eklats bei Übergabe der ersten 20 Schädel von Nama und Herero, die vor über hundert Jahren als Studienobjekte arischer Rassenkunde in deutsche Universitäten verbracht wurden, entstand eine deutliche Verstimmung selbst auf namibischer Regierungsebene. Dazu trug nicht nur die Düpierung des damaligen Delegationsleiters bei. Als Minister selbst Nachkomme der nach Botswana vertriebenen Gruppe der Herero war er persönlich betroffen. Eigentlich hätte erwartet werden können, dass eine sorgfältige protokollarische Vorbereitung dieser symbolischen Zeremonie dem Umstand Rechnung tragen würde. Die Nachkommen der vom deutschen Kolonialkrieg am meisten geschädigten Bevölkerungsgruppen hätten eine entsprechend respektvolle Behandlung erwarten dürfen. Doch es reichte noch nicht einmal zu einer Begegnung auf Ministerebene. Die Vorgänge, die das Ansehen Deutschlands in Namibia seither nachhaltig weiter trübten, lassen sich in afrika süd nachlesen (5/2011 und 2/2012).

Erinnern wir uns: Der damalige Botschafter Egon Kochanke schaffte es, einen Höflichkeitsbesuch bei Präsident Pohamba im Januar 2012 zu verpatzen. Sein belehrender Hinweis, die namibische Delegation hätte es mit den falschen politischen Kräften in Deutschland gehalten und damit die kalte Schulter selbst verschuldet, sorgte für deutliche Verstimmung. Berichten zufolge wies Pohamba dem deutschen Botschafter die Tür. Auch darauf folgende Besuche des deutschen Afrikabeauftragten Walter Lindner im Februar und Mai vermochten keine Entspannung zu schaffen. So ganz en passant wurde im Mai angekündigt, dass Botschafter Kochanke zum Nachfolger Lindners in Berlin ernannt wurde. Eine bemerkenswerte Beförderung.

Kochankes Nachfolger Onno Hückmann, obwohl altersmäßig jenseits des Zenits seiner diplomatischen Karriere, wollte offensichtlich seinem Vorgänger in nichts nachstehen. Im Januar 2013 sorgte er seinerseits für den nächsten Affront, indem er Premierminister Hage Geingob (designierter Nachfolger Pohambas als Staatsoberhaupt) darüber belehrte, dass die Forderung nach Reparationen dem deutsch-namibischen Verhältnis abträglich sei. Geingob sah sich veranlasst, den Ratschlag als deplatzierte Bevormundung zurückzuweisen. Die namibischen Medien - mit Ausnahme der anachronistischen deutschsprachigen "Allgemeine Zeitung" - empörten sich in ungekannter Schärfe. Artikel in der staatlichen "New Era", der (Premierminister Geingob nahe stehenden) Wochenzeitung "Windhoek Observer" sowie der kostenlos weit verbreiteten wöchentlichen Anzeigenzeitung "Informante", aber auch des "Namibian" kritisierten die Einlassungen Hückmanns als Herrenmenschentum.

Der parallele Besuch der altgedienten SPD-Bundestagsabgeordneten Heidemarie Wieczorek-Zeul vermochte die Wogen kaum zu glätten. Sie wollte die Sonderinitiative wieder beleben, die von ihr anlässlich der hundertjährigen Gedenkfeier des Genozids 2004 als damaliger Ministerin angekündigt, aber nur schleppend und halbherzig verwirklicht wurde. Zugleich wollte sie einer namibisch-deutschen parlamentarischen Freundschaftsgruppe auf die Sprünge verhelfen. Das ist zumindest gelungen. Im März dieses Jahres wurde der mehrtägige Gegenbesuch fünf namibischer Parlamentarier in Hamburg und Berlin als neue Form freundschaftlicher Beziehungen zelebriert.

Bleibt abzuwarten, inwieweit die neue Initiative eine Widerspiegelung dessen ist, was die um adäquate Anerkennung historischer Schuld ringenden Nachfahren der damals betroffenen Bevölkerungsgruppen erwarten. Von einer Aussöhnung, geschweige denn Freundschaft mit den Vertretern des deutschen Volkes scheinen diese weiterhin weit entfernt. Arnold Tjihuiko, Mitglied der namibischen Parlamentariergruppe und an den Wiedergutmachungsforderungen der Herero beteiligt, gab sich in einem in der "junge Welt" veröffentlichten Interview eher verhalten optimistisch. Auf das Thema befragt antwortete er: "Für mich war es eine Bewegung in die richtige Richtung, doch ich würde nicht sagen, dass wir sehr erfolgreich waren. Ich habe aber den Eindruck, dass die deutschen Politiker begonnen haben, die Realitäten besser zu verstehen." Hoffentlich gibt es diese Lernbereitschaft und -fähigkeit tatsächlich.

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
42. Jahrgang, Nr. 2, März/April/Mai 2013, S. 28
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2013