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AUSSEN/627: Abhören ohne Grenzen (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 4. Juni 2021
german-foreign-policy.com

Abhören ohne Grenzen

Dänische Abhörattacken auf Berlin sind Teil eines US-geführten globalen Spionagesystems, von dem auch der BND profitiert.


KOPENHAGEN/WASHINGTON/BERLIN - Die kürzlich publik gewordene Ausspionierung der Bundesregierung durch Dänemarks Geheimdienst fügt den bislang bekannten Umrissen der weltumspannenden westlichen Spionage ein weiteres Mosaikteil hinzu. Schon vor Jahren haben Unterlagen des Whistleblowers Edward Snowden gezeigt, dass der US-Dienst NSA mit Partnerdiensten in aller Welt kooperiert, um direkten Zugriff auf Internetknotenpunkte zu erhalten und den dort durchgeleiteten Datenverkehr umfassend zu durchsuchen. Zudem hat sich gezeigt, dass der BND von der Kooperation profitiert und seinerseits Regierungsmitglieder selbst verbündeter Staaten ausspioniert. Dass der dänische Militär- und Auslandsgeheimdienst unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel und den damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier abgehört hat, bestätigt, dass gegenseitiges Ausforschen im Westen gang und gäbe ist - auch wenn Russland als Hauptziel der Abhörmaßnahmen in Dänemark gelten kann. Das von der NSA geführte Spionagenetz, von dem auch der BND profitiert, umfasst sämtliche Kontinente. Inzwischen besitzt auch der BND selbst erheblich ausgeweitete Spionagekompetenzen.

Spionage auf Gegenseitigkeit

Hintergrund der aktuellen Berichte über die Zuarbeit Dänemarks beim Ausspionieren deutscher Stellen inklusive der Bundesregierung ist ein weltweit in Gang gesetztes Abhörprogramm des US-Militärgeheimdiensts NSA, das durch Angaben des Whistleblowers Edward Snowden im Jahr 2013 bekannt wurde. Das Programm, das in internen NSA-Unterlagen "RAMPART-A" genannt wird, sieht eine Kooperation mit einzelnen Partnerstaaten vor. Dabei gewährt der Partnerstaat Zugriff auf wichtige Internetknotenpunkte, über die besonders große Mengen an Datenverkehr abgewickelt werden; dort werden umfassend Daten abgezapft. Diese werden anschließend mit einer eigens von der NSA entwickelten Analysesoftware ("XKeyscore") auf spezielle Inhalte durchforstet. Dabei macht die NSA den Geheimdiensten der Partnerstaaten die Gewährung des Zugriffs auf die Internetknotenpunkte mit dem Argument schmackhaft, sie dürften im Gegenzug die NSA-Software für ihren eigenen Spionagebedarf nutzen. Zudem wird ihnen zugestanden, Personen aus dem je eigenen Land nicht ausspionieren zu müssen; dies ist Auslandsgeheimdiensten gesetzlich oft nicht erlaubt. Interne NSA-Dokumente vermerken allerdings explizit, zu dieser Bestimmung gebe es nicht näher spezifizierte Ausnahmen.[1]

Weltumspannendes Ausforschen

Die 2013 von Snowden zugänglich gemachten NSA-Unterlagen belegen zum einen, dass im Rahmen von "RAMPART-A" praktisch jegliche Kommunikation abgehört werden kann - neben Telefongesprächen auch der Fax-, E-Mail- und Chatverkehr sowie weitere digitale Formen der Kommunikation. Das Zugriffsvolumen wurde damals auf 3 Terabit pro Sekunde beziffert - eine Datenmenge, die, wenn man sie dauerhaft speichern wollte, jeden Tag rund 362 Millionen handelsübliche CD-Roms füllen würde.[2] Zum anderen geht aus den Unterlagen hervor, dass mindestens 13 Internetknotenpunkte in "RAMPART-A" einbezogen waren; davon wurden mindestens neun im Jahr 2013 aktiv angezapft. Mit welchen Staaten die NSA im Rahmen ihres Programms kooperierte, war damals nicht klar; für Deutschland wie für Dänemark lagen aber aussagekräftige Indizien vor. Bekannt ist eine Liste, die "Partnerländer" nennt - neben den US-Verbündeten im Rahmen des Spionageverbundes "Five Eyes" [3] 33 weitere Staaten, zu denen diverse Länder Afrikas (Äthiopien), der arabischen Welt (Algerien, Saudi-Arabien), Südasiens (Indien, Pakistan) sowie Ost- und Südostasiens (Japan, Südkorea, Taiwan, Singapur) zählen.[4] Welche von ihnen mit der NSA beim Anzapfen des globalen Internetverkehrs kooperieren, ist weiterhin unbekannt.

Abhören unter Freunden (I)

Bekannt ist allerdings seit Jahren die einschlägige Kooperation des Bundesnachrichtendiensts (BND) mit der NSA. Grundlage war eine Vereinbarung vom 28. April 2002, die - basierend auf einer Grundsatzentscheidung des damaligen Kanzleramtschefs Frank-Walter Steinmeier - die Zusammenarbeit der beiden Spionagebehörden regelte.[5] In der Praxis zapfte der BND vor allem den Internetknotenpunkt De-Cix in Frankfurt am Main an, den größten Internetknoten weltweit; dort abgegriffene Kommunikationsdaten wurden durchsucht und an die NSA weitergeleitet. Dabei hat der deutsche Auslandsgeheimdienst, entsprechend den Prinzipien von "RAMPART-A", auch selbst spioniert und, wie 2015 bekannt wurde, nicht zuletzt Regierungsstellen seiner engsten Verbündeten abgehört. Betroffen waren unter anderem hochrangige Beamte des Élysée-Palasts und der französische Außenminister, Regierungsstellen etwa Österreichs sowie in Wien ansässige internationale Organisationen, unter ihnen die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO).[6] Ausgeforscht wurde Berichten zufolge nicht zuletzt Österreichs Inlandsgeheimdienst BVT.[7] Klaus-Dieter Fritsche, der damals erst als Geheimdienstkoordinator, dann als Beauftragter für die Nachrichtendienste im Kanzleramt zuständig war, hat das BVT später, 2019, "beraten".[8]

Abhören unter Freunden (II)

Nicht anders als der BND ist offenkundig auch der dänische Militär- und Auslandsgeheimdienst Forsvarets Efterretningstjeneste (FE) in seiner Kooperation mit der NSA vorgegangen, für die laut Berichten eigens ein Rechenzentrum in der Abhörstation Sandagergård südlich von Kopenhagen eingerichtet wurde. Das geht aus einem Bericht hervor, der in Kopenhagen schon 2015 erstellt wurde, aber strikter Geheimhaltung unterlag. Im vergangenen Sommer kam dank Whistleblowern heraus, dass dabei auch dänische Bürger und die Regierung des Landes ausspioniert wurden, vor allem die Ministerien für Finanzen und für Äußeres.[9] Jetzt wurde zusätzlich bekannt, dass die Abhörmaßnahmen auch einflussreichen Politikern und sogar Regierungsmitgliedern außerhalb Dänemarks galten. Genannt werden etwa hochrangige Politiker aus Schweden, Norwegen sowie Frankreich - sämtlich enge EU- und/oder NATO-Verbündete. Systematisch ausspioniert haben FE und NSA demnach auch den SPD-Politiker Peer Steinbrück, Kanzlerkandidat im Jahr 2013, außerdem die Bundesregierung, speziell Außenminister Frank-Walter Steinmeier sowie Bundeskanzlerin Angela Merkel.[10] Die hauptsächliche Aufmerksamkeit dürfte in Kopenhagen freilich anderen Zielen gegolten haben: Über die dänische Hauptstadt laufen Internetkabel aus Russland.

Einer den anderen

Die Bundesregierung gibt sich in öffentlichen Reaktionen pflichtschuldig empört, lässt allerdings keine Konsequenzen folgen. In der Tat beruht das von der NSA betriebene und vom BND wie vom FE mitgetragene Spionagesystem darauf, dass unter den Verbündeten der Vereinigten Staaten einer den anderen ausforscht: Es sei so konstruiert, dass "die Kommunikation deutscher Bürger abgefangen wird, wenn sie über Dänemark läuft, und diejenige dänischer Bürger, wenn sie durch Deutschland führt" - so hatte es bereits vor Jahren Edward Snowden beschrieben.[11] Dabei beziehen alle Beteiligten sogar die Regierungsspitzen ihrer Verbündeten in die Ausforschung ein. Offen ist allenfalls die Frage, welche Staaten sonst noch aktiv in das System eingebunden wurden.

Mehr Spionagebefugnisse denn je

Mittlerweile hat auch der BND selbst erheblich ausgeweitete Spionagekompetenzen erhalten. So darf er laut dem im März verabschiedeten neuen BND-Gesetz, wie Kritiker konstatieren, "riesige Datenmassen abhören" [12] - dem Wortlaut des Gesetzes zufolge bis zu "30 Prozent der Übertragungskapazität aller global bestehenden Telekommunikationsnetze". Dabei darf er künftig auch auf Kommunikationsdaten deutscher Bürger zugreifen, sofern es sich nicht um "individuelle Kommunikationen von natürlichen Personen" handelt. Schließlich besitzt er jetzt die Befugnis, Kommunikationsanbieter zu hacken, "auch ohne deren Wissen"; das betrifft auch große Konzerne "inklusive Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft", die riesige Massen persönlicher Daten gespeichert haben.[13] Damit steht das globale Internet dem BND endgültig offen.


Anmerkungen:

[1] Ryan Gallagher: How secret partners expand NSA's surveillance dragnet. theintercept.com 19.06.2014.

[2] Anton Geist, Sebastian Gjerding, Henrik Moltke, Laura Poitras: NSA 'third party' partners tap the Internet backbone in global surveillance program. information.dk 19.06.2014.

[3] Den "Five Eyes" gehören neben den USA Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland an.
S. auch Five Eyes.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7835/

[4] Ryan Gallagher: How secret partners expand NSA's surveillance dragnet. theintercept.com 19.06.2014.

[5] Friedhelm Greis: NSA-Debatte bleibt im Wahlkampfmodus stecken. golem.de 08.08.2013.

[6] S. dazu Die neue deutsche Arroganz.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/6623/

[7] S. dazu Die neue deutsche Arroganz (II).
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/6635/

[8] S. dazu Der Fall Wirecard (IV).
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8576/

[9] Kai Biermann: Dänemark hilft NSA beim Ausspähen von Dänen. zeit.de 15.11.2020.

[10] Antonius Kempmann, Georg Mascolo, Frederik Obermaier, Bastian Obermayer, Reiko Pinkert: NSA hört über Dänemark mit. sueddeutsche.de 30.05.2021.

[11] Ryan Gallagher: How secret partners expand NSA's surveillance dragnet. theintercept.com 19.06.2014.

[12], [13] Andre Meister: Bundesnachrichtendienst erhält so viele Überwachungsbefugnisse wie noch nie. netzpolitik.org 26.03.2021.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 22. Juni 2021

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