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AUSSEN/629: Außenministerin Baerbock in Rabat - Flüchtlingsabwehr und grüner Wasserstoff (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 26. August 2022
german-foreign-policy.com

Flüchtlingsabwehr und grüner Wasserstoff

Außenministerin Baerbock stärkt bei Besuch in Rabat die Kooperation mit Marokko. Berlin wünscht "grünen" Wasserstoff aus der Wüste und loyale Flüchtlingsabwehr in Nordafrika.


RABAT/BERLIN - Deutschland baut seine zuletzt kriselnde Kooperation mit Marokko aus und hat dabei neben der Flüchtlingsabwehr vor allem den Erwerb "grünen" Wasserstoffs im Visier. Dies ist das Ergebnis der Gespräche, die Außenministerin Annalena Baerbock gestern in der marokkanischen Hauptstadt Rabat führte. Demnach unterstützt Berlin in Marokko die Herstellung grünen Wasserstoffs aus Sonnen- und Windenergie, der anschließend exportiert werden soll - unter anderem nach Deutschland. Voraussetzung dafür, dass die bereits 2020 gestartete Kooperation wieder aufgenommen werden kann, waren Zugeständnisse Berlins bezüglich der Westsahara, einer ehemaligen spanischen Kolonie, auf die Marokko - gegen die Befreiungsbewegung Polisario - Anspruch erhebt. Um für seinen Anspruch stärkere Unterstützung zu erhalten, hatte Rabat im vergangenen Jahr die diplomatischen Beziehungen zu Berlin auf Eis gelegt. Berlin lässt nun Bereitschaft erkennen, seine bisherige, an der UNO orientierte Position zu ändern. Der deutschen Kooperation mit Rabat steht der Tod von mindestens 37 Flüchtlingen an der marokkanisch-spanischen Grenze am 24. Juni nicht im Weg.

Beziehungen auf Eis gelegt

Die Beziehungen zwischen Deutschland und Marokko waren im vergangenen Jahr auf diplomatischer Ebene mehr oder weniger auf Eis gelegt worden. Rabat hatte im März 2021 seine Beziehungen zur deutschen Botschaft in Marokko sowie zur Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) eingefroren und im Mai 2021 die marokkanische Botschafterin aus Berlin abgezogen. Auch Wirtschaftsprojekte, in die staatliche Stellen involviert waren, kamen nicht mehr von der Stelle. Auslöser dafür war der Konflikt um die Westsahara, eine spanische Ex-Kolonie, auf die sowohl die Befreiungsbewegung Polisario als auch Marokko Anspruch erheben. Marokko hält rund zwei Drittel des Territoriums besetzt. Im Dezember 2020 hatten die USA unter Präsident Donald Trump als erster Staat überhaupt Marokkos Ansprüche anerkannt. Rabat nahm dies prompt zum Anlass, seinen diplomatischen Druck zu erhöhen und bei weiteren Staaten hart auf einen Kurswechsel in seinem Sinne zu dringen. In diesem Zusammenhang ging es ganz besonders gegen Spanien vor - daneben aber auch gegen die Bundesrepublik (german-foreign-policy.com berichtete [1]).

Marokkos Autonomieplan

Die Maßnahmen haben in Europa in der Tat zu Positionswechseln geführt. Im März teilte der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez mit, der marokkanische Autonomieplan für die Westsahara sei die "ernsthafteste, realistischste und glaubwürdigste Grundlage für eine Lösung des Konflikts".[2] Der Plan sieht Autonomie für die Westsahara, allerdings auch ihre staatliche Zugehörigkeit zu Marokko vor. Sánchez bezog mit der Stellungnahme zumindest implizit für Rabat und gegen die Polisario Position - aus marokkanischer Sicht ein klarer Durchbruch. Schon zuvor hatte die Bundesregierung einen ähnlichen Kurswechsel vollzogen. Am 13. Dezember 2021 hatte das Auswärtige Amt zwar behauptet, weiter die Bemühungen der Vereinten Nationen und des UN-Sondergesandten für die Westsahara zu unterstützen, die im Kern darauf hinauslaufen, den Status der ehemaligen Kolonie auf der Grundlage eines Referendums zu klären. Anschließend hatte das Ministerium allerdings den marokkanischen Autonomieplan "einen wichtigen Beitrag" zur Lösung des Konflikts genannt und dadurch die Position Rabats gestärkt - ebenfalls ein klarer Erfolg für die marokkanische Regierung.[3] Baerbock nannte den Autonomieplan gestern eine "ernsthafte und glaubwürdige Bemühung Marokkos und eine gute Grundlage, um zu einer Einigung beider Seiten zu kommen".[4]

"Beziehungen wieder vertiefen"

Auf der Grundlage des Berliner Zugeständnisses, das - wie Beobachter notieren - nur wenige Tage nach dem Amtsantritt von Außenministerin Annalena Baerbock erfolgte, hat Rabat eingewilligt, die diplomatischen Beziehungen wieder in vollem Umfang aufzunehmen. Schon im Januar begannen die Vorbereitungen für die Wiederentsendung von Botschaftern. Im Februar vereinbarten Baerbock und ihr marokkanischer Amtskollege Nasser Bourita, wie das Auswärtige Amt mitteilt, "in einer Videokonferenz ..., die traditionell tiefen und breiten Beziehungen wieder aufzunehmen und zu vertiefen".[5] Wenig später trat ein neuer deutscher Botschafter in Marokko sein Amt an. Mit Baerbocks gestrigem Besuch in Rabat gelten die deutsch-marokkanischen Beziehungen nun als rehabilitiert, freilich auf der Basis des Berliner Nachgebens bezüglich der Optionen für die Westsahara, wenngleich das Auswärtige Amt offiziell unverändert behauptet, man stehe voll und ganz hinter den Bemühungen der Vereinten Nationen. Das Votum für den Autonomieplan widerspricht dem klar.

"Eine bedeutende Rolle"

Die Motivation Berlins für das Zugeständnis an Marokko lässt sich einer Stellungnahme der CDU-Bundestagsabgeordneten Katja Leikert entnehmen, die Baerbock nach Rabat begleitet. Leikert teilte kurz vor der Abreise mit: "Sowohl in Fragen der Migration vom afrikanischen Kontinent als auch in der Erzeugung regenerativer Energien wird Marokko künftig eine bedeutende Rolle spielen".[6]

Tod im Stacheldraht

In der Tat besitzt Marokko einen wichtigen Stellenwert bei den Bemühungen Berlins und der EU, Flüchtlinge nicht vom afrikanischen Kontinent nach Europa gelangen zu lassen. Rabat sorgt nicht nur dafür, dass kaum Flüchtlingsboote von den marokkanischen Küsten nach Spanien ablegen - etwa an der Straße von Gibraltar -, sondern auch dafür, dass eine Einreise in die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla kaum möglich ist. Dabei gehen nicht nur die spanischen, sondern auch die marokkanischen Repressionskräfte immer wieder höchst brutal gegen Flüchtlinge vor. Zuletzt kamen am 24. Juni mindestens 23, mutmaßlich mehr als 37 Menschen zu Tode, als bis zu 2.000 Flüchtlinge die hochgerüsteten Grenzanlagen bei Melilla zu überwinden suchten; manche stürzten - von spanischer Seite mit Tränengas attackiert - von den riesigen Stacheldrahtverschlägen ab, andere starben, weil sie - von marokkanischen Beamten zu Boden geprügelt - zu Tode getrampelt wurden. Ihre Leichen wurden von den marokkanischen Behörden in anonymen Gräbern verscharrt. Rechtliche Folgen hatten lediglich überlebende Flüchtlinge zu gewärtigen, von denen mittlerweile mehrere Dutzend zu Haftstrafen verurteilt wurden - wegen versuchten illegalen Grenzübertritts.[7]

Energie für Deutschland

Liegt Marokkos Flüchtlingsabwehr im Interesse Berlins, so gilt dies auch für die künftige Nutzung des Landes als Lieferant "grüner" Energien. Marokko ist seit 2019 Nettoexporteur von Strom und plant seine Ausfuhren auszuweiten; bereits heute ist es durch Stromleitungen mit Spanien verbunden, weitere Verbindungen nach Portugal und womöglich sogar nach Großbritannien sind geplant.[8] Die Bundesrepublik allerdings hat es speziell auf "grünen" Wasserstoff abgesehen. Dabei soll die Wind- und Sonnenenergie der Sahara genutzt werden, um Wasserstoff zu produzieren, ihn gegebenenfalls in Ammoniak umzuwandeln - der Transport von Ammoniak ist erheblich einfacher zu bewerkstelligen - und diesen dann nach Deutschland zu liefern, wo er als Energieträger genutzt werden kann. Berlin hat dazu bereits im Sommer 2020 eine Grundsatzvereinbarung mit Marokko geschlossen.[9] Zwar gehört die Wasserstoffkooperation zu denjenigen Bereichen, die von dem diplomatischen Streit des vergangenen Jahres unmittelbar betroffen waren. Doch soll sie nun in hohem Tempo wieder aufgenommen werden. Berlin geht es nicht zuletzt darum, schneller auf russisches Erdgas verzichten zu können.


Anmerkungen:

[1] S. dazu Nicht mehr alternativlos.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8697

[2] Hans-Christian Rößler: Spaniens explosive Wende. faz.net 20.03.2022.

[3] Marokko - Auswärtiges Amt aktualisiert Basisinformation zu Marokko und spricht Autonomieplan in der Westsahara an. maghreb-post.de 13.12.2021.

[4] Deutsch-Marokkanische Gemeinsame Erklärung. 25.08.2022.

[5] Außenministerin Baerbock reist nach Marokko und Dänemark. auswaertiges-amt.de 25.08.2022.

[6] Hanauer Bundestagsabgeordnete Leikert bricht mit Außenministerin Baerbock nach Marokko auf. katja-leikert.com 23.08.2022.

[7] Marion MacGregor: Morocco: 13 migrants sentenced for Melilla border crossing attempt. infomigrants.net 18.08.2022.
S. auch Flüchtlinge als Spielball.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8605

[8] Michael Sauermost: Marokko auf dem Weg vom Stromimporteur zum Großexporteur. gtai.de 15.08.2022.

[9] Michael Sauermost: Pläne für Produktion von Wasserstoff konkretisieren sich. gtai.de 11.10.2021.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 26. August 2022

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