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DISKURS/088: Auf der Suche nach dem guten Leben (planet)


planet - ZEITUNG DER GRÜNEN BILDUNGSWERKSTATT # 62
JUNI-JULI-AUGUST 2010

Auf der Suche nach dem guten Leben

Von Marion Kremla und Herbert Langthaler


Welche Bilder ruft der Begriff "Gutes Leben für alle" bei Ihnen hervor? Idyllische Abende im eigenen Garten? Bobos im Schanigarten? Oder nachhaltiges Wirtschaften und gerechte Umverteilung?


Ganz von selbst erklärt sich das Motto des GBW-Jahresschwerpunktes nicht, das konnten wir auch im Gespräch im privaten Umfeld feststellen. Zumal den Grünen hartnäckig ein Hang zu neo-biedermeierlicher Genusskultur nachgesagt wird.

Lässt man Vorurteile beiseite, ist die Forderung nach einem Guten Leben und zwar für alle durchaus massentauglich. Geklärt werden muss allerdings, was unter Gutem Leben verstanden wird und wie es für alle möglich wird.


Aktive Form der Freude

Jeder Vorstellung vom Guten Leben liegt letztendlich ein Weltbild, eine Vorstellung wie der Mensch tatsächlich ist, zu Grunde. Dies zu ergründen, war seit den Zeiten der alten Griechen Job der Philosophen. Für Epikur gehörte zum Guten Leben ein Höchstmaß an Lust, während der Schmerz zu meiden ist. Lust war für den Philosophen keineswegs nur die Erfüllung leiblicher Begierden. Der Zustand der Lust ist für Epikur erreicht, wenn ein Mensch frei, ohne körperlichen Schmerz und ohne "Verwirrung des Geistes" leben kann. Um diesen Zustand zu erreichen, bedarf es aber auch der Vernunft, dem Abwägen, ob es sich auszahlt, auf etwas zu verzichten, um dadurch zu einem höheren Zustand der Erfüllung zu gelangen. Aristoteles sah im Guten Leben ein tugendhaftes Leben, das die eigenen Fähigkeiten in den Dienst einer höheren Sache stellt.

Die Positive Psychologie hat den beiden Wegen der Griechen zum Glück einen dritten hinzugefügt - das engagierte Leben. Die PsychologInnen unterscheiden zwischen drei Lebensstilen: Genuss und Vergnügen maximieren und Unlust minimieren; nach dem Sinn des Lebens suchen; das engagierte Leben. Das engagierte Leben wird erreicht, indem die eigenen Stärken bzw. das eigene Potential erkannt und verwirklicht werden. Untersuchungen zeigen, dass alle drei Lebensstile mit mehr Lebenszufriedenheit einhergehen. Das heißt, dass Personen, die angeben diese Lebensstile auszuleben, auch über mehr Lebenszufriedenheit berichten.

Extrem einflussreich für die Vorstellung vom Guten Leben ist das Frühwerk von Karl Marx, in dem er sein Bild vom "wirklichen" menschlichen Wesen entwirft, das letztendlich Grundlage für seine Vorstellungen für ein "nicht entfremdetes" Leben nach Überwindung des Kapitalismus wurde. Selbstbestimmung, "freie, bewusste Lebenstätigkeit", unterscheide den Menschen von allen anderen Lebewesen. Der wahre Mensch ist nicht das Produkt der Verhältnisse, sondern er kann sein Leben gemäß seinem eigenen Willen führen. Anstelle des Habens, des Besitzens unter Ausschluss anderer, ist das Leben gemäß des Prinzips des Seins mit Lebendigkeit und selbstbestimmter, produktiver, kreativer Anwendung der menschlichen Kräfte verbunden. Was zu einer aktiven Form der Freude führt - zum Guten Leben. Entscheidend für die menschliche Zufriedenheit sind weniger die Aspekte des materiellen Konsums und der Freizeit - verstanden als Gegensatz zur Arbeitszeit - sondern Qualität und Inhalt der individuellen Tätigkeiten.


Eine andere Zivilisation

Wege zum Guten Leben gibt es also viele, man muss sich nur den richtigen aussuchen - oder? Auf diesem Planeten haben aber nur wenige diese Wahlmöglichkeit und die auch nicht in jeder Lebensphase. Der GBW-Schwerpunkt unterscheidet sich allerdings grundlegend von der Proklamierung des gelungenen Lebens nach dem Motto "Jede ist ihres Glückes Schmied". Der Zusatz "für alle" unterstreicht, dass es nicht - wie den Grünen immer wieder unterstellt - reicht, die richtige Entspannungstechnik zu finden und Bio-Futter zu konsumieren. Letztendlich geht es um nicht mehr und nicht weniger als um selbstbestimmtes Leben. Ob und unter welchen Umständen und mit welchen Auswirkungen dies möglich ist, hängt von Faktoren ab, die wir als Einzelne kaum beeinflussen können. In welche Familie, in welches Land, mit welcher physischen Konstitution ein Mensch das Licht der Welt erblickt, ist schlicht Glückssache - oder Schicksal. Noch, in dieser Welt.

Aber muss sie so bleiben, die Welt? Das hat die Grüne Bewegung seit ihren Anfängen bestritten und andere vor ihr. Das Grüner Politik zu Grunde liegende Menschenbild beinhaltet die Vorstellung von Veränderbarkeit von Ökonomie, Gesellschaft und Geschlechterverhältnissen.

"Es braucht eine andere Form von Leben und Arbeiten, eine andere Zivilisation basierend auf Solidarität und dem Streben nach dem Guten Leben. Eine andere Zivilisation, die klug bestehende Ressourcen nutzt und in solidarischer Weise sicher stellt, dass Überfluss und Mangel gerecht verteilt sind - im Land und weltweit", heißt es in dem Grundsatzpapier der GBW zum Jahresschwerpunkt. "Es geht neben einem fairen Welthandel um eine regionale Kreislaufwirtschaft, die Biolandwirtschaft und High-Tech-Handwerk vor Ort stärkt; die Tourismus kleinräumig organisiert, und die Erwerbsarbeitszeit senkt, damit Zeit bleibt für andere notwendige Arbeit - von der Pflege bis zur Gartenarbeit."


Gutes Leben durch Krise?

Was kann die gegenwärtige Krise für die Umsetzung dieser Vision bedeuten? Ist sie, wie manchmal behauptet, eine Chance auf Veränderung oder werden politische Energien durch die mit der Krise einhergehende Angst und Verunsicherung blockiert? Auf der Hand liegen Chancen zur Umstellung der industriellen Produktion, zum Beispiel weg von der Autoindustrie hin zu Energietechnik, oder das Beschreiten neuer Wege der Energieerzeugung und Versorgung. Wie solche Chancen leichtfertig vergeigt werden können, zeigt die Verschrottungsprämie, die geschickte LobbyistInnen den Regierungen der Industrieländer aufschwatzen konnten.Klüger wäre es gewesen, staatliche Förderungen in innovative Betriebe und die dafür nötigen Umschulungen zu investieren.

Auch für einen anderen Aspekt des Guten Lebens könnte die Krise zur Chance werden: Zeitautonomie. Wer würde sich nicht gern mehr FreundInnen und Familie widmen, den Garten bestellen oder neue Kochrezepte ausprobieren? Krisenbedingte Teilzeitjobs, Kurzarbeit oder Sabbaticals bringen zwar die dafür notwendige Zeit. Nur, leisten müsste mensch sich das können. Ohne Verteilung von gesellschaftlichem Reichtum wird dieses Potential nicht zu nutzen sein. Wie dies praktisch möglich ist, dafür liegen Vorschläge auf dem Tisch: ein steuerfinanziertes Sozialsystem (wie in Schweden), Energiesteuern und Vermögenssteuern zumindest auf EU-Niveau.


Das Gute Leben und die Macht

Das Glück im Gemüsegarten schmälert nicht nur das Einkommen, sondern auch gesellschaftliche Macht. Als vollwertig gilt nur wer Vollzeit arbeitet. Schnell werden Menschen, die weniger Erwerbsarbeit auch als persönliche Chance begreifen und ihren Lebensstil an das geringere Einkommen anpassen, als Freaks abgestempelt. Sich gegen Konsum- und Wachstumslogik zu stellen, kommt auch auf dem politischen Parkett nicht gut.

Prestige, Macht, Einfluss - all dies beinhaltet das Konzept eines Guten Lebens für alle nicht. Im Koordinatensystem der gängigen Geschlechterattribute ist es wohl eher am weiblichen Pol angesiedelt. Oder, wenn das zu stereotypisierend ist, ein gutes, für alle verträgliches, nachhaltiges Leben rangiert punkto gesellschaftlicher Macht eher am unteren Ende. Wer lieber Unkraut jätet als Golf spielt, seine Wochenenden arbeitsfrei verplant, nur zu jenen Festen geht, die er oder sie auch wirklich besuchen mag, der oder dem winkt kaum ein Spitzenjob in Politik, Wirtschaft, Medizin.

Die Machtferne jener, die das Gute Leben verkörpern, stellt ein schwer überwindbares Hindernis für seine Durchsetzung dar.

Wer in seiner/ihrer politischen Orientierung nach Identifikation mit der Macht sucht, braucht Mythen vom Aufstieg, den schaffen könne, wer nur den Willen und die Disziplin dazu hat - und Schuldige, wenn's leider bei einem selbst nicht so geklappt hat. Als Schuldige geeignet sind wiederum stets all jene, denen das Prädikat "besonders wertvolle eigene erwerbstätige Leistung" nicht gut sichtbar am Hals baumelt. Neben den bewährten Sündenböcken wie SozialhilfeempfängerInnen, kinderreiche Familien, Flüchtlinge und MigrantInnen kommen leicht auch jene hinzu, die auf dem Weg zu einem Gemeinwesen "in dem nicht Wettbewerbsfähigkeit und militärische Macht, sondern soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Solidarität die Leitprinzipien sind" bei sich selbst und dem eigenen Guten Leben anfangen. Einen Eindruck davon kann sich machen, wer in Bildungskarenz geht ohne sich mit dem Bildungskonsum zu übernehmen und dies mit Menschen verschiedener Einkommens- und Lebenssituationen bespricht. Von Neid bis Verachtung darf mit jeder Art von Reaktion gerechnet werden.

Somit birgt der Entwurf eines Guten Lebens für alle auch provokativen Sprengstoff. Verordnen lässt sich so etwas nicht. Wobei dies ohnehin den Grundgedanken der Selbstbestimmung ad absurdum führen würde. Interessanterweise befördert jedoch die Formulierung "ein Gutes Leben für alle" bei vielen die Befürchtung, damit werde ein neuer Lebensstil diktiert und "die Grünen sagen uns jetzt, was für uns alle gut ist". Rutscht das "für alle", das doch gerade wichtig ist, versehentlich in die paternalistische Kehle? Wenn kommuniziert werden soll, was mit dem Guten Leben Grüner Denkart gemeint ist, wird man auf diese Sollbruchstelle achten müssen.


Aktuelle Texte zum Themenschwerpunkt "Gutes Leben für alle" finden sich unter:
http://www.gbw.at/schwerpunkt/2010-gutes-leben-fuer-alle/


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Quelle:
planet - Zeitung der Grünen Bildungswerkstatt # 62,
Juni-Juli-August 2010, S. 9-10
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2010