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MEDIEN/350: Internet - Ausblendung von problematischen Inhalten schützt nur die Täter (CCC)


Chaos Computer Club - Pressemitteilung vom 12.02.2009

Chaos Computer Club: Ausblendung von problematischen Inhalten schützt nur die Täter


Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages bestätigt die verfassungsrechtlichen Bedenken zum Vorschlag von Frau von der Leyen, problematische Inhalte im Internet durch Sperrverfügungen unsichtbar zu machen.

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat in einer Studie [1] festgestellt, dass die von Familienministerin von der Leyen vorgeschlagenen Sperrverfügungen bei Internet-Providern auf Basis von Listen des Bundeskriminalamtes (BKA) verfassungsrechtlich in höchstem Maße bedenklich ist.

Der Chaos Computer Club (CCC) fühlt sich in seiner bereits Ende November geäußerten grundsätzlichen Stellungnahme [2] zum Thema Internetzensur bestätigt. Die vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages durchgeführte Untersuchung konzentriert sich jedoch auf die Rechtskonformität und Verfassungsverträglichkeit der Sperrverfügungen. In der aktuellen Diskussion kommt jedoch nach Ansicht des CCC die tatsächliche Strafverfolgung der Täter viel zu kurz. Da es sich bei den sogenannten "problematischen Inhalten" um Dokumentationen realer Verbrechen an Kindern handelt, muss dies der eigentliche Fokus staatlichen Handelns sein.

"Eine Ausblendung problematischer Inhalte durch Sperrverfügungen wie von Frau von der Leyen vorgeschlagen würde bedeuten, dass die Taten und die Täter der Wahrnehmung und auch der Strafverfolgung entzogen werden. Staatliche Defizite bei der Verfolgung dieser Straftaten löst man aber nicht dadurch, dass man die Darstellung der Delikte ausblendet", sagte CCC-Sprecher Andy Müller-Maguhn zu dem Vorschlag von der Leyens.

Eine statistische Auswertung der Filterlisten [3] aus der Schweiz, Dänemark, Finnland und Schweden ergab, dass sich mehr als 96% der dort gesperrten Server in westlichen Ländern, vor allem den USA, Australien, Kanada und den Niederlanden befinden. Es ist in keiner Weise plausibel, dass diese Server und ihre Betreiber nicht auf dem Wege der internationalen Kooperation der Strafverfolgungsbehörden aus dem Verkehr gezogen werden können. Offenbar mangelt es hier an politischem Willen, entsprechende Prioritäten zu setzen und die nötigen Ressourcen bereitzustellen. Die Argumentation, man käme an die Täter ja nicht heran und müsse deshalb zu Zugangsbehinderungen greifen, entspricht jedenfalls nicht den Tatsachen. Dass die propagierten "Sperren" mit einfachsten Mitteln zu umgehen sind, ist hinlänglich bekannt.

"Da die Server erst dann auf die BKA-Sperrlisten gelangen können, wenn sie den Ermittlern bekannt sind, gibt es keine Ausrede der Strafverfolger, nicht unmittelbar gegen die Betreiber vorzugehen. Entsprechende Anstrengungen zur internationalen Kooperation und effektiven Strafverfolgung liegen aber offenbar gerade nicht im Fokus der Politik", sagte CCC-Sprecher Andy Müller-Maguhn.

Anstatt also effektive und zielführende Maßnahmen zu ergreifen und das Übel an der Wurzel zu packen, wird versucht, durch Druck auf die Internetanbieter eine Zensurinfrastruktur zu schaffen. Sobald die Technik für Inhaltszensur einmal installiert ist, wird sie zweifelsohne auch für andere Interessen, wie etwa die der Musikindustrie, verwendet werden. Hier wird ohne sachliche Gründe eine Schwelle überschritten, die den Weg zu einem staatlich zensierten Internet öffnet. Beispiele aus den von Frau von der Leyen so hochgelobten skandinavischen Ländern zeigen, dass Sperrfilter dort bereits missbraucht wurden, um eine Diskussion über die Filter selbst zu zensieren. [4] Dabei wurden sachliche Kritiker der Sperrsysteme pauschal als Kinderporno-Freunde diffamiert, um eine sachliche Diskussion zu unterbinden. Ähnliches ist in der Debatte in Deutschland bereits zu beobachten.

Der Chaos Computer Club fordert daher, anstelle einer Internetzensur durch die Hintertür endlich effektive Maßnahmen gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und der damit zusammenhängenden Geschäfte zu ergreifen.

"Das Internet spiegelt hier reale gesellschaftliche Probleme wider, die gelöst und nicht verdrängt werden müssen. Die gesetzlichen Grundlagen für die Verfolgung der Täter sind bereits vorhanden, was fehlt ist ein geschlossenes Vorgehen inklusive der dazu notwendigen personellen Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden. Dass man mit Sperrverfügungen und dem Ausblenden von problematischen Inhalten hier versucht, eine Lösung des Problems zu simulieren, ist bloßer Populismus. Es handelt sich um eine Täuschung der Öffentlichkeit mit dem Ziel der Errichtung einer Zensurinfrastruktur, die einer Demokratie unwürdig ist", fasste CCC-Sprecher Müller-Maguhn die Bedenken des CCC zusammen.

Links:
[1] http://www.ccc.de/press/releases/2009/20090212/bundestag_filter-gutachten.pdf
[2] http://www.ccc.de/updates/2008/freiheit-im-netz
[3] http://scusiblog.org/?p=330
[4] http://www.freitag.de/community/blogs/twister/webseitensperrungen-rufmord-inclusive


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Quelle:
Pressemitteilung vom 12.02.2009
Chaos Computer Club e.V.
Lokstedter Weg 72, 20251 Hamburg
E-Mail: mail@ccc.de
Internet: www.ccc.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2009