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MENSCHENRECHTE/247: Demontage der Interamerikanischen Menschenrechtskommission befürchtet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Dezember 2012

Menschenrechte: Demontage der Interamerikanischen Menschenrechtskommission befürchtet - Auch ehemalige Präsidenten warnen

von Carey L. Biron



Washington, 10. Dezember (IPS) - Ex-Präsidenten, Schriftsteller, Friedensnobelpreisträger und Menschenrechtsaktivisten haben in einer Petition an die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ihre Sorge über Versuche zum Ausdruck gebracht, die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH) zu reformieren.

Zu den Unterzeichnern gehören die ehemaligen kolumbianischen Präsidenten César Gaviria und Andrés Pastrana sowie die früheren Staatschefs von Peru und Ecuador, Alejandro Toledo und Rodrigo Borja. Auch zahlreiche Kunst- und Kulturschaffende wie die nicaraguanische Schriftstellerin Gioconda Belli und die beiden Lyriker Juan Gelman (Argentinien) und Ernesto Cardenal (Nicaragua) sowie prominente Politiker und Menschenrechtler schlossen sich dem Aufruf an.

Eingereicht wurde die Petition am 7. Dezember am OAS-Hauptsitz in Washington zum Abschluss einer letzten Beratungsrunde mit Vertretern der Zivilgesellschaft zum Thema CIDH-Reform. Die Unterzeichner der Eingabe warnten davor, dass die Reform zu einem Verlust der Unabhängigkeit und Durchsetzungsfähigkeit des interregionalen Menschenrechtsgremiums führen könnte. Sie würde die Chancen der Opfer auf Gerechtigkeit erheblich schmälern.

"Das sind Aktionen, die darauf abzielen, das Mandat der CIDH zu begrenzen wenn nicht gar zu verstümmeln und deren Autonomie zu beschränken", warnte Iduvina Hernandez Batres, Leiterin der guatemaltekischen NGO 'Vereinigung für die Untersuchung und Förderung der Sicherheit in der Demokratie', die der OAS in Washington ihre Einwände vorbrachte.

"Die Mechanismen, die die Kommission anbietet, haben sich als außerordentlich wertvoll im Kampf gegen die Straffreiheit und Folter, für die Rechte der indigenen Völker und als Beitrag zur Förderung der wirtschaftlichen, sozialen und Umweltrechte erwiesen.", sagte sie. Diese Erfolge wären ohne Autonomie und Unabhängigkeit des Gremiums nicht möglich gewesen.


Erfolgsmodell CIDH

Seit der Gründung 1959 hat sich die CIDH zu dem wohl effektivsten Instrument der ansonsten weitgehend einflusslosen 35 Mitglieder zählenden OAS herausgestellt. Die neue Petition, auch Bogotá-Deklaration genannt, führt etliche Erfolge ins Feld, derer sich die CIDH in Bezug auf Amnestiegesetze, extralegale Hinrichtungen und Fälle von Verschwindenlassen rühmen darf. Die Petition ist das Ergebnis eines Treffens im September in der kolumbianischen Hauptstadt.

Auch heute noch nimmt die interregionale Menschenrechtskommission im Rahmen ihres Mandats, für die Einhaltung der Amerikanischen Menschenrechtsabkommen zu sorgen, Einfluss auf die Militärgerichtsbarkeit. Auch spielt sie eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung der Meinungsfreiheit und regionaler Gleichheitsstandards.

Im Rahmen der Aktivitäten sind Reibungen zwischen der CIDH und einzelnen Regierungen programmiert. Gerade in den letzten Jahren haben Staaten - insbesondere Bolivien, Brasilien, Kolumbien, Nicaragua, Peru und Venezuela - damit begonnen, sich von dem System zu distanzieren.

Diese Entwicklung nahm im Januar Fahrt auf, als der OAS-Generalsekretär Jose Miguel Insulza Forderungen nach einer Reformierung der CIDH-Verfahrensweisen nachgab. Im September kündigte Venezuela, ein vehementer Kritiker des interamerikanischen Systems, seinen Austritt aus dem System an.

Die Vertreter der 52 NGOs, die sich am 7. Dezember bei der OAS einfanden, räumten zwar ein, dass das interamerikanische System einer Erneuerung bedürfe. Doch was zunächst wie eine Chance zugunsten einer Stärkung des Systems aussah, entpuppte sich als Gefahr.

"Wenn wir die Menschenrechte aus einem historischen Blickwickel heraus betrachten, ergibt sich daraus vor allem eine Erkenntnis", meinte Marco Romero, Leiter der Kolumbianischen Beratungsstelle für Menschenrechte und Vertreibung. "Nämlich, dass es sehr schwierig ist, Menschenrechtssysteme aufzubauen, doch einfach, sie einzureißen."


Chronisch unterfinanziert

Trotz aller Erfolge leidet die CIDH unter einer ständigen Unterfinanzierung. In den vergangenen Jahren betrug der Haushalt rund vier Millionen US-Dollar. Dieser Umstand habe sich negativ auf die Kapazitäten des Gremiums ausgewirkt, seinem Auftrag effektiv nachzukommen und seine Arbeitslast zu bewältigen, hieß es in der Bogotá-Erklärung.

Am 4. Dezember hatte Generalsekretär Insulza die Auflage eines Fonds mit einer Einlage in Höhe von 100 Millionen vorgeschlagen, um die existierende Schieflage zu korrigieren. Der Vorschlag kam zwar bei Vertretern des ständigen OAS-Rates sehr gut an. Doch kritische Stimmen warnten, dass die miserable Finanzierungssituation von einer tiefen Interessenlosigkeit einzelner Staaten an einem robusten interamerikanischen Menschenrechtssystem herrühren dürfte.

"Regierungen einschließlich der USA müssen ihre finanziellen Zuwendungen aufstocken. 2011 hatten die USA die Menschenrechtskommission mit nur 1,5 Millionen US-Dollar bezuschusst. Spanien als Nicht-Mitglied steuerte eine Million Dollar bei", hob Jamil Dakwar, Direktor des Menschenrechtsprogramms der 'American Civil Liberties Union' (ACLU), hervor.

"Es geht hier nicht um die Frage, ob Ressourcen effektiv verwendet wurden, sondern um die Tatsache, dass die Kommission schlichtweg unterfinanziert ist. Diese Realität wirkt sich negativ auf die Arbeit, die Effektivität und die Unabhängigkeit (der CIDH) aus, die erforderlich sind, um die Art von Menschenrechtsschutz zu bieten, der erwartet wird."

Dakwar zufolge lässt die miserable Finanzlage der CIDH auf ein Interesse der Staaten schließen, die Kommission möglichst klein zu halten, auch wenn sich dadurch die Bedeutung des interamerikanischen Systems als "Gericht der letzten Hoffnung" nicht schmälern lasse.

Die Folgen der Unterfinanzierung versuchte Dakwar am Fall Khaled El-Masri aufzuzeigen. Der deutsche Staatsbürger war 2003 wegen angeblicher terroristischer Aktivitäten in Mazedonien festgenommen und dann im Rahmen des US-Rendition-Programms in ein Geheimgefängnis überstellt worden, wo er nach eigenen Angaben gefoltert wurde.


Unterfinanzierung hat einen Preis

Später stellte sich jedoch heraus, dass er das Opfer einer Verwechselung war. Nachdem sich seine Hoffnungen, vor einem US-Gericht Gerechtigkeit zu finden, zerschlagen hatten, brachte die ACLU den Fall vor die CIDH. Zwar wurde der Fall von dem interamerikanischen System angenommen und den USA zwei Monate Zeit für die Präsentation einer Stellungnahme gelassen. Doch die erfolgte nie. Die USA haben die Amerikanischen Menschenrechtskonvention nicht ratifiziert, sind aber dennoch Mitglied der Kommission.

2009 wurde dann eine ähnliche Petition an den finanziell gut ausgestatteten Europäischen Menschenrechtsgerichtshof weitergeleitet, und das höchste europäische Tribunal wird im El-Masri-Fall nun am 13. Dezember ein Urteil fällen.

"Das Beispiel zeigt, wie die US-Regierung Demokratie und Rechtstaatlichkeit untergräbt", kommentierte der ACLU-Aktivist. "Wir sollten unbedingt sicherstellen, dass alle Regierungen hart an sich arbeiten und die Entscheidungen der Kommission umsetzen."

In den nächsten Wochen werden CIDH- und OAS-Vertreter politische Entscheidungen treffen, die die Wirkungsweise des interamerikanischen Systems über Jahre festschreiben. Der Reformprozess soll spätestens Ende Januar 2013 abgeschlossen sein.

Das interamerikanische System habe bemerkenswerte Leistungen erbracht, auch wenn damit bei weitem die Nachfrage nicht gedeckt sei. "Demokratie, Freiheit und Menschenrechte stehen vor neuen Herausforderungen wie Verstöße gegen die Rechtstaatlichkeit und Gewalt, die von der organisierten Kriminalität ausgehen", heißt es in der Bogotá-Erklärung. "Diese Realität bestätigt die Legitimität des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofes und der Interamerikanischen Menschenrechtskommission. Wir müssen die Effizienz des Systems stärken und nicht schwächen."(Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.sedem.org.gt
http://cejil.org/node/3467
http://www.ipsnews.net/2012/12/reforms-could-weaken-pan-american-rights-body/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 10. Dezember 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Dezember 2012