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MENSCHENRECHTE/263: Peru - Hinterbliebene von Bürgerkriegsopfern warten bis heute auf Entschädigung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. September 2013

Peru: Hinterbliebene von Bürgerkriegsopfern warten bis heute auf ihre Entschädigungen

von Milagros Salazar


Bild: © Milagros Salazar/IPS

Ureinwohnerin aus Ayacucho an Gedenkstätte für Bürgerkriegsopfer
Bild: © Milagros Salazar/IPS

Lima, 3. September (IPS) - Venisia Avalos, eine 65-jährige Indigene aus der südperuanischen Hochgebirgsregion Ayacucho, sucht in der Gedenkstätte 'El ojo que llora' (Das weinende Auge) in Lima den Stein, der den Namen ihres vermissten Sohnes trägt. "Hier ist er", ruft sie plötzlich - und bricht in Tränen aus.

Rigoberto Huamani Avalos verschwand vor 30 Jahren. Weder seine Leiche noch die Kleidungsstücke, die er damals am Leib trug, sind seitdem aufgetaucht. Nur der kleine graue Stein, einer von vielen, die konzentrisch angeordnete Steinfelder ergeben, zeugt von seiner Existenz.

Im Zentrum der Steinanlage steht ein Felsen mit einem eingelassenen Stein in Form eines Auges, aus dem unaufhörlich Wasser fließt und das den Schmerz der Familien der Zehntausenden Menschen symbolisieren soll, die der Bürgerkrieg von 1980 bis 2000 zwischen Armee und Guerillaverbänden 'Sendero Luminoso' (Leuchtender Pfad) und 'Tupac Amaru' das Leben kostete.

Venisia Avalos fand sich Ende August in der peruanischen Hauptstadt zu den Feierlichkeiten zum zehnten Jahrestag der Veröffentlichung des Berichts der Wahrheits- und Versöhnungskommission ein, demzufolge der Bürgerkrieg etwa 69.000 Zivilisten, mehrheitlich indigenen Quechua, das Leben kostete. Für etwa die Hälfte der Verbrechen machte die Kommission den maoistischen Leuchtenden Pfad verantwortlich.

Gemeinsam mit Venisia Avalos kamen am 28. August Dutzende Mütter und Verwandte von Opfern aus den am schlimmsten von der Gewalt getroffenen Regionen nach Lima, um Wiedergutmachung und eine gründliche Suche nach den sterblichen Überresten der Vermissten zu fordern.


Erst geringer Teil der Entschädigungen geleistet

Wie die Ombudsstelle für Menschenrechte kürzlich feststellte, hat der Staat die Ansprüche der Hinterbliebenen bisher nicht zufriedenstellend erfüllt. Bis März dieses Jahres haben nach offiziellen Angaben gerade einmal 37 Prozent der 78.000 Anspruchsberechtigten individuelle Entschädigungen erhalten. Nur 33 Prozent wurden kollektiv abgefunden.

Noch langsamer kommt die Suche nach den Verschwundenen voran. Bis April wurden 2.418 Gebeine aus geheimen Gräbern geborgen. 1.371 wurden inzwischen identifiziert und ihren Familien zurückgegeben.

"In diesem Tempo würde es etwa 80 Jahre dauern, bis alle 16.000 Opfer geborgen sind, die der Staat in Massengräbern vermutet. Und diese Schätzung ist noch tief angesetzt", heißt es in dem Buch 'Los muertos de Ayacucho' ('Die Toten von Ayacucho'), das die unabhängige Menschenrechtskommission COMISEDH veröffentlicht hat.

Aus Ayacucho, einer der ärmsten und entlegensten Regionen des Landes, die mehrheitlich von Indigenen besiedelt sind, stammten 47 Prozent der 69.000 Opfer - unter ihnen auch Rigoberto, Venisia Avalos' Erstgeborener. Die Sicherheitskräfte hätten ihn zusammen mit seinem Lehrer und mehreren Schulkameraden aus dem Klassenraum geholt, erzählt die Mutter.

Als Entschädigung für seinen Tod erhielt sie von der Regierung bisher umgerechnet 3.600 US-Dollar. "Ist das alles, was mein Sohn wert war?", fragt sich die Mutter, die der vor 30 Jahren gegründeten Nationalen Vereinigung der Familien Entführter, Gefangener und Verschwundener in Peru (ANFASEP) angehört.

Die Wahrheits- und Versöhnungskommission war gegründet worden, um die Ansprüche der in ANFASEP zusammengeschlossenen Frauen zu erfüllen. Die Hinterbliebenen fordern höhere individuelle Entschädigungen in Höhe von 13.900 Dollar für jedes Opfer, fast vier Mal so viel wie bisher. Der bisherige Betrag war per Dekret von der Regierung des ehemaligen Präsidenten Alan García (2006-2011) festgelegt worden.


Regierung hält Versprechen nicht ein

Wie Isabel Coral, die Exekutivsekretärin der Regierungskommission CMAN, erläutert, wurde unter dem seit Juli 2011 regierenden Staatspräsidenten Ollanta Humala eine Erhöhung der Entschädigung vereinbart. Es fehle jedoch am politischen Willen, die Zusage umzusetzen, kritisiert sie. Nur hin und wieder würden kleine Summen ausgezahlt.

Bei dem Massaker von Lucanamarca in Ayacucho verlor Ervenciana Huancahuari ihre Mutter, ihren Mann und eine Schwester. Auch mehrere Schwager wurden ermordet. Die heute 64-Jährige ist bisher mit 1.800 Dollar entschädigt worden. Nach geltendem Recht wird sie die zweite Hälfte erhalten, wenn sie 65 wird. Das Geld, das Huancahuari bereits in Empfang genommen hat, hat sie unter ihren fünf Kindern aufgeteilt. Es ist längst aufgebraucht. Für sich selbst wollte sie nichts behalten. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.defensoria.gob.pe/
http://www.comisedh.org.pe/comisedh.php
http://www.ipsnews.net/2013/09/survivors-of-perus-armed-conflict-still-waiting/
www.ipsnoticias.net/2013/08/reparacion-de-victimas-de-la-violencia-no

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 3. September 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. September 2013