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MENSCHENRECHTE/295: Nepal - Wahrheitskommission startklar, Einhaltung internationaler Standards gefordert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. Februar 2015

Nepal: Wahrheitskommission startklar - Einhaltung internationaler Standards gefordert

von Renu Kshetry


Bild: © Renu Kshetry/IPS

Suman Adhikari, Sohn des von Maoistenrebellen im nepalesischen Bürgerkrieg ermordeten Schulleiters Muktinath Adhikari
Bild: © Renu Kshetry/IPS

Katmandu, 25. Februar (IPS) - Vor rund 13 Jahren wurde Muktinath Adhikari, Leiter einer Schule im westnepalesischen Bezirk Lamjung, von Maoistenrebellen ermordet. Seit 2006, dem Ende des zehnjährigen blutigen 'Volkskrieges' gegen die Monarchie, wartet die Familie darauf, dass das Verbrechen aufgeklärt und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Nun soll der Untersuchungs- und Versöhnungsprozess endlich anlaufen.

Die kürzlich neu zusammengestellte Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) und der Ausschuss zur Untersuchung der Verbrechen des Verschwindenlassens (CIED) werden den Anzeigen tausender Familien nachgehen. Beide Institutionen verdanken ihre Existenz dem Ende April 2014 verabschiedeten TRC-Gesetz, das nach Ansicht von Menschenrechtsexperten erhebliche Mängel aufweist.

Dem Lehrer Adhikari war 2002 die Weigerung zum Verhängnis geworden, ein Viertel seines Gehalts an die damalige Kommunistische Partei Nepals (Maoisten) zu zahlen und deren Veranstaltungen zu besuchen. "Seit dem Tod meines Vaters hat sich unser Leben drastisch verschlechtert, und bis heute quält uns die Vorstellung, wie er mit auf dem Rücken zusammengebundenen Händen hingerichtet wird", berichtet Suman Adhikari, der Sohn. "Wir können unser normales Leben erst wieder aufnehmen, wenn wir Gerechtigkeit erfahren."

Die beiden Gremien blicken auf eine lange Odyssee misslungener Gründungsversuche zurück. Sie waren bereits 2005 beschlossen worden, als die CPN (M) und die Sieben-Parteien-Allianz ein Zwölf-Punkte-Programm zur Wiederherstellung der Demokratie unterschrieben. Der Allianz gehörten unter anderem die derzeitige Regierungspartei Nepalesischer Kongress und die Kommunistische Partei Nepals (Vereinigte Marxisten Leninisten) an. Später, bei der Unterzeichnung des Umfassenden Friedensabkommens, wurde die Einrichtung der beiden Kommissionen erneut zugesichert.


Mehr als 13.000 Tote

Nach Angaben der lokalen Nichtregierungsorganisation 'Informal Sector Services Centre' (INSEC) wurden während des bewaffneten Konflikts 13.236 Menschen getötet. Nach bisher noch nicht offiziell anerkannten Angaben des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (ICRC) wurden mehr als 1.350 Menschen verschleppt und ermordet.

Sowohl die TRC als auch der CIED verfügen über das Mandat, die damals begangenen Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen, den Vermisstenstatus festzustellen und eine Atmosphäre zu schaffen, die die Aussöhnung der nepalesischen Gesellschaft erleichtern soll.

Viele im Lande hoffen auch, dass ein robuster Versöhnungsprozess Nepal den ersehnten wirtschaftlichen Aufschwung bringt und die Lebensbedingungen der Bevölkerung verbessert. Ein Viertel der Nepalesen leben unterhalb der Armutsgrenze.

Doch nach Ansicht von Experten und Opferverbänden fällt das TRC-Gesetz hinter internationale Menschenrechtsstandards zurück. Außerdem steht zu befürchten, dass unerfüllte Forderungen der überlebenden Opfer und Opferfamilien den Versöhnungsprozess zum Scheitern bringen.

'Amnesty International', 'Human Rights Watch' und die Internationale Juristenkommission haben sich der Kritik lokaler Organisationen angeschlossen, denen zufolge das TRC-Gesetz den von Nepal eingegangenen internationalen Menschenrechtsverpflichtungen nicht gerecht wird. Befürchtet wird, dass die Kriegsverbrecher amnestiert werden könnten. Außerdem besteht die Gefahr, dass die Lücken im Gesetz dafür sorgen, dass tausende Opfer aus dem Versöhnungsprozess herausfallen.

Auch die Tatsache, dass die Auswahl der TRC-Mitglieder ohne Rücksprache mit lokalen Menschenrechtsexperten erfolgt ist, sorgt für Kritik. So bemängelt Mohana Ansari, Sprecherin der Nationalen Menschenrechtskommission (NHRC), dass die Namensvorschläge der Kommission nicht berücksichtigt wurden. Wie sie betont, "muss alles getan werden, um eine Kultur der Straflosigkeit zu verhindern."

Anlass zur Sorge gibt ferner, dass angesichts der rechtlichen Schwachstellen die Überlebenden von Bürgerkriegsverbrechen genötigt werden könnten, einem Prozess zuzustimmen, der ihren Interessen zuwiderläuft.

Selbst der kürzlich ernannte TRC-Vorsitzende Surya Kiran Gurung hat sich kritisch zum Mandat der Versöhnungskommission geäußert. "Das TRC-Gesetz muss nachgebessert werden, weil nicht klar ist, was mit denjenigen Fällen geschieht, die bei Gericht eingereicht und untersucht werden", meint er. Allerdings ist er zuversichtlich, dass die Verbesserungsvorschläge der TRC auf einen breiten Konsens und auf die Zustimmung der Opfer stoßen werden.

Doch der 53-jährige Kalyan Budhathoki aus dem Bezirk Ramechap in Zentralnepal ist weniger optimistisch. Er war im Jahr 2000 nach Morddrohungen und der Beschlagnahmung seiner Vermögenswerte aus dem Dorf geflohen. Auch er hatte eine Spende an die Maoisten verweigert. Er sollte eine Million nepalesischer Rupien (etwa 10.000 US-Dollar) zahlen.


Opfer fordern Taten

"Wieso dürfen sich die Schuldigen noch immer frei bewegen? Und warum wird nichts gegen jene unternommen, die unser Vieh verkaufen und unseren Besitz beschlagnahmen?", so auch Budhathoki, ein Anhänger des regierenden Nepalesischen Kongresses, der als Tagelöhner in Katmandu sein Geld verdient. "Noch ist in diesem Land von Rechtsstaatlichkeit nichts zu spüren."

Das Ministerium für Frieden und Wiederaufbau hatte 2006 eine Taskforce mit der Aufgabe betraut, eine Liste sämtlicher Bürgerkriegsopfer - den Toten, Vertriebenen, Verletzten und denen, die ihr Eigentum verloren haben - zu erstellen. Verfügbare Informationen lassen darauf schließen, dass von den 79.571 Binnenflüchtlingen 25.000 staatliche Beihilfen erhalten und bis Oktober 2013 nach Hause in ihre Dörfer zurückkehren konnten.

Nach Angaben der Hilfs- und Rehabilitationseinheit des Ministeriums haben 14.201 Familien, die Angehörige verloren hatten, Beihilfen erhalten, während die Familien von 1.528 Vermissten mit bis zu 100.000 Rupien (rund 1.000 US-Dollar) entschädigt wurden.

Kalyan Budhathoki berichtet, dass sich Dorfvorsteher, die keine Angehörigen verloren hätten, mit gefälschten Papieren Entschädigungszahlungen und Hilfslieferungen verschafft hätten. Er kann sich nicht vorstellen, dass die TRC, die von den politischen Parteien zusammengestellt wurde, keine krummen Dinger dreht.

Auch Menschenrechtsaktivisten fürchten, dass sich die Parteien abgesprochen haben könnten, Menschenrechtsverbrecher aus den eigenen Reihen einfach zu amnestieren. Damit reagierten sie auf Äußerungen einiger Politiker, wonach eine Bestrafung der Menschenrechtsverbrecher den Friedens- und Versöhnungsprozess stören könnte.

Der TRC-Vorsitzende Gurung ist jedoch zuversichtlich, dass eine Einmischung von Seiten der Politik ausbleibt. "Wir werden uns strikt an das TRC-Mandat halten, um die Wahrheit ans zutage zu fördern", versichert er. Geplant seien öffentliche Anhörungen, die die Gräuel ans Licht brächten. Erst danach könne das Land den Versöhnungsprozess einleiten.

Doch Suman Adhikari und andere sind Meinung, dass die Betroffenen am Versöhnungsprozess beteiligt werden müssten. "Die Rücksprache, Mitbestimmung und Mitwirkung der Bürgerkriegsopfer sind ein absolutes Muss, um die Übergangsphase bis zu Gerechtigkeit erfolgreich abschließen zu können", meint er. (Ende/IPS/kb/2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/02/can-nepals-trc-finally-bring-closure-to-its-war-survivors/

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IPS-Tagesdienst vom 25. Februar 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Februar 2015

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