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MENSCHENRECHTE/297: UN-Hochkommissar kritisiert selektive Einhaltung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. März 2015

Menschenrechte: UN-Hochkommissar kritisiert selektive Einhaltung

von Thalif Deen



Bild: © Charles Davis/IPS

Demonstrationszug vor dem Weißen Haus in Washington gegen die Anwendung von Folter zehn Jahre nach Eröffnung der US-Haftanstalt in Guantánamo Bay auf Kuba
Bild: © Charles Davis/IPS

New York, 5. März (IPS) - Der Chef des UN-Menschenrechtshochkommissariats (UNHCHR), Zeid Ra'ad Al Hussein, hat den Mitgliedstaaten vorgeworfen, sich im Umgang mit den internationalen Menschenrechten nur an das zu halten, was ihren eigenen nationalen oder politischen Interessen dient. So gebe es unter den Ratifizierungsländern der UN-Charta viele, die die Menschenrechte mit "alarmierender Regelmäßigkeit" und in einem oftmals "schockierenden Ausmaß" missachten.

Wie Zeid am 2. März bei der Eröffnung der neuen Sitzung des in Genf ansässigen Menschenrechtsrates kritisierte, begründeten für Menschenrechtsverstöße verantwortliche Mitgliedstaaten ihr Fehlverhalten meist mit 'außergewöhnlichen Umständen'. "Sie picken sich die Rechte heraus, die ihnen genehm sind", sagte er, ohne einzelne Mitgliedstaaten beim Namen zu nennen.

"Die eine Regierung unterstützt die Menschenrechte der Frau und die der Gemeinschaft von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen (LGBT), vereitelt anderseits jedoch die Ausweitung gleicher Rechte auf Menschen ohne Papiere", so der UNHCHR-Chef. "Ein anderer Staat hält sich peinlich genau an das Recht auf Bildung, unterdrückt aber brutal jede gegnerische politische Meinung. Ein dritter Staat verstößt umfassend gegen die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte der Bevölkerung, hält aber vor den eigenen Leuten die Ideale der Menschenrechte hoch."


"Nagel auf den Kopf getroffen"

Wie Peggy Hicks von 'Human Rights Watch' (HRW) gegenüber IPS erklärte, "hat Prinz Zeid mit seinen Äußerungen den Nagel auf den Kopf getroffen". Würden sich alle Regierungen rigoros an ihr abgegebenes Bekenntnis zu den Menschenrechten halten, "hätten wir eine andere und bessere Welt".

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der US-amerikanische Außenminister John Kerry Zeids Kritik neue Nahrung gab, indem er einerseits die "haarsträubenden Menschenrechtsverstöße" etlicher Staaten wie Syrien und Nordkorea anprangerte sowie Menschenrechtsverbrechen auf der Krim und durch Separatisten in der Ukraine hervorhob, andererseits jedoch die 50-tägigen Luftanschläge Israels auf die Palästinenser im Gazastreifen unerwähnt ließ.

Der Vergeltungsschlag gegen Raketenangriffe der Hamas kostete UN-Angaben zufolge 1.976 Palästinensern inklusive 1.417 Zivilisten und 459 Kindern das Leben. Auf israelischer Seite starben 66 Menschen einschließlich zwei Soldaten. Die Palästinenser werfen Israel Kriegsverbrechen vor und drängen den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag in dieser Sache aktiv zu werden - ein Schritt, der auf strikten Widerstand von US-Seite stößt.

Wie Kerry in seiner Rede vor dem Menschenrechtsrat betonte, sind die USA der festen Überzeugung, in Sachen Menschenrechte voranzukommen und das UN-Gremium bei der Einhaltung seines Mandats unterstützen zu können, damit die Welt besser und sicherer werde. Gleichwohl warnte er den Rat davor, durch seine Israel-"Besessenheit" seine Glaubwürdigkeit zu verspielen. "Niemand in diesem Raum wird abstreiten, dass es eine einseitige Fokussierung auf ein einziges demokratisches Land gibt."

Als Beispiel für eine solche Fokussierung nannte Kerry die regelmäßigen Resolutionen gegen Israel. Jährlich seien es fünf bis sechs, erklärte er und übte Kritik an dem Versuch des syrischen Präsidenten Bashar al Assad, in diesem Jahr eine Resolution wegen der israelischen Besetzung der Golanhöhen seit dem Krieg von 1967 zu erwirken, während sich gleichzeitig Syrer auf die Golanhöhen retteten, um Assads mörderischem Regime zu entkommen und sich von israelischen Ärzten in israelischen Krankenhäusern behandeln zu lassen.


Prioritätenfrage

Zeid wiederum erklärte gegenüber dem Menschenrechtsrat, dass sich der Wert einer Regierung nicht daran bemesse, ob sie einen Platz "im heiligen Ballett der großen Diplomatie" einnehme, sondern ob sie sich den Nöten ihrer Bürger zuwende und die Einhaltung der Menschenrechte sicherstelle.

Wie der UNHCHR-Chef weiter kritisierte, führten die politischen Entscheidungsträger nur allzu oft außergewöhnliche Umstände ins Feld, um Menschenrechtsverletzungen zu begehen. "Ich nehme Menschen willkürlich fest und foltere sie, weil dies eine neue Art Krieg erforderlich macht. Ich bespitzele meine eigenen Bürger, weil der Kampf gegen den Terrorismus dies erforderlich macht. Ich will keine neuen Einwanderer, ich diskriminiere Minderheiten, weil unsere kommunale Identität wie nie zuvor bedroht wird", sagte er. "Und so geht das immer weiter, während wir immer mehr in eine Spirale sich verdichtender Krisen geraten." (Ende/IPS/kb/2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/03/u-n-member-states-accused-of-cherry-picking-human-rights/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2015

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