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MENSCHENRECHTE/305: "Geschichten des Leids" sichtbar machen, Museen beziehen Position (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. Juli 2015

Menschenrechte: 'Geschichten des Leids' sichtbar machen - Museen beziehen Position

von A.D. McKenzie


Bild: © A.D. McKenzie/IPS

Museum für Internationale Sklaverei in Liverpool, England
Bild: © A.D. McKenzie/IPS

LIVERPOOL (IPS) - "Soziale Gerechtigkeit kommt nicht von selbst. Dazu braucht man Menschen, die Risiken auf sich nehmen", sagt David Fleming, Direktor der Nationalen Museen von Liverpool, zu denen auch das 'International Slavery Museum' (ISM) gehört. Eine aktuelle Ausstellung mit dem Titel 'Broken Lives' ('Zerbrochene Leben') befasst sich mit den Opfern globaler Sklaverei.

ISM ist Mitglied der 2013 entstandenen 'Social Justice Alliance for Museums' (SJAM), die ihren Sitz in der nordenglischen Stadt hat. Mehr als 80 Museen sind in dem Bündnis zusammengeschlossen. Vor fünf Jahren koordinierte ISM zudem die Gründung der Vereinigung internationaler Menschenrechtsmuseen (FIHRM), die Museen, die sich mit sensiblen und kontroversen Menschenrechtsthemen befassen, zur Zusammenarbeit und zum Ideenaustausch ermuntert.

Beide Organisationen sind Ausdruck eines Wandels, der in der Museumslandschaft vollzieht. "Museen stehen nicht über den Dingen", erläutert Fleming. "Ihnen kommt die Rolle zu, Andenken lebendig zu halten."

Die Ausstellung Broken Lives dokumentiert das Schicksal moderner Sklaven, von denen ein Großteil in Indien lebt. Die meisten von ihnen sind 'Dalit', die Nachfahren von Indigenen, die auch heute noch in dem südasiatischen Land als 'Unberührbare' verfemt sind. "Noch immer sind Dalit gesellschaftlich ausgegrenzt und vielen Vorurteilen ausgesetzt", so die Kuratoren. "Sie leben in extremer Armut und werden häufig Opfer von Menschenhandel und Zwangsarbeit."


Bild: © A.D. McKenzie/IPS

Plakat der Ausstellung 'Zerbrochene Leben' im Museum für Internationale Sklaverei in Liverpool
Bild: © A.D. McKenzie/IPS

In der gemeinsam mit dem 'Dalit Freedom Network' präsentierten Ausstellung, die noch bis April 2016 geöffnet ist, werden anhand von Fotos, Filmen und persönlichen Zeugnissen 'Geschichten des Leids' wie sexuelle Ausbeutung und Kinderarbeit erzählt. Auch Aktivisten, die den Opfern helfen, kommen zu Wort.

Teil der ständigen Ausstellung des Museums ist eine Dokumentation der Gräuel des transatlantischen Sklavenhandels und des Erbes des Rassismus. Gemeinsam mit der Gedenkstätte für die Abschaffung der Sklaverei in der französischen Stadt Nantes und der kürzlich eröffneten Gedenkstätte auf der Karibikinsel Guadeloupe zählt das Museum in Liverpool zu den wenigen nationalen Einrichtungen, die ihren Fokus darauf legen, die Öffentlichkeit für das Thema Sklaverei zu sensibilisieren.

Das Museum sei eine "wichtige Inspirationsquelle" für permanente Ausstellungen zum Thema Sklaverei, ließ unlängst der Bürgermeister von Bordeaux, Alain Juppé, verlauten. Das gelte auch für seine Stadt. Das dort ansässige 'Musée d'Aquitaine' beherbergt unter anderem die Abteilung 'Bordeaux, transatlantischer Handel und Sklaverei', die umfangreiches Material bereithält.


Zu Engagement ermuntern

"Wir versuchen die Besucher dazu zu bringen, sich für die Menschrechte zu engagieren", sagt Fleming. "Sie sollen mit dem Wunsch nach Hause gehen, den Rassismus zu bekämpfen."

Fleming berichtet von englischen Schulkindern, die sich Fotos von afrikanischen Jugendlichen angeschaut hätten, deren Hände von den Kolonialherren abgehackt worden seien. Nachdem man den Schülern die Bilder erläutert habe, seien sie mit der Erkenntnis nach Hause gegangen, dass Menschen auf der Grundlage von Ethnizität zu barbarischen Handlungen fähig seien.


Bild: © National Museums Liverpool

Der Direktor der Nationalen Museen von Liverpool, David Fleming
Bild: © National Museums Liverpool

Fleming besucht in aller Welt Ausstellungen, die sich auf das Thema 'soziale Gerechtigkeit' konzentrieren, und informiert über die Arbeit seines Museums. Bei einer Konferenz in der 'Liverpool Hope University' trat er Ende Juni mit dem Beitrag 'Mobilising Memory: Creating African Atlantic Identities' als Hauptredner auf. Das Treffen war von dem 'Collegium for African American Research' und dem 'Institute for Black Atlantic Research' organsiert worden.

Wenige Tage zuvor hatte ein weißer Amokschütze in einer Methodisten-Kirche im US-Bundesstaat North Carolina neun Schwarze erschossen. Dieses Verbrechen und andere Übergriffe auf Afroamerikaner ließen die Konferenz als dringlich erscheinen.

"Künstler und Museen müssen sich mit dem auseinandersetzen, was gern als 'Last, Stellung zu beziehen', bezeichnet wird", so James Smalls, Professor für Kunstgeschichte und Museumsstudien in der Universität von Maryland. "Oftmals wird automatisch erwartet, dass Künstler für ihre ethnische Gruppe oder Gemeinschaft sprechen."

Das von Museen vertretene Konzept der 'sozialen Gerechtigkeit' ist umstritten, auch weil es in verschiedenen Teilen der Welt unterschiedlich aufgefasst wird. Fleming zufolge wird sein Museum häufig dafür kritisiert, einerseits zu weit und andererseits nicht weit genug zu gehen. Einen neutralen Standpunkt einzunehmen, erscheine ihm aber nicht als Lösung. Die relevantesten und interessantesten Museen folgten einem "moralischen Kompass". Sie seien auf Unterstützung angewiesen, da sie allein nur wenig erreichen könnten. (Ende/IPS/ck/24.07.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/07/museums-taking-stand-for-human-rights-rejecting-neutrality/

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IPS-Tagesdienst vom 24. Juli 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juli 2015

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