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MILITÄR/827: "Im Krieg werden die Reihen eng geschlossen" (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 27. Juli 2009

»Im Krieg werden die Reihen eng geschlossen«

Öffentliches Geloben hat Hochkonjunktur.
Kein Zufall, meint ein kritischer Soldat.

Ein Gespräch mit Oberstleutnant Jürgen Rose von Claudia Wangerin


Oberstleutnant Jürgen Rose gehört der kritischen Soldatenvereinigung Darmstädter Signal an. Hier vertritt er seine persönlichen Ansichten.

Frage: Sie bezeichnen ein öffentliches Treuegelöbnis der Bundeswehr, wie es am 30. Juli auf dem Münchner Marienplatz stattfinden soll, als archaisches Militärritual und als Werbeveranstaltung für den Krieg. Als Privatmensch unterstützen Sie das Protestbündnis - als Soldat können Sie aber nicht grundsätzlich gegen die Vereidigung sein. Wie würden Sie diesen Vorgang gestalten?

Jürgen Rose: Diesen Treueid habe ich selbst zweimal abgelegt. Zunächst als Wehrpflichtiger im Jahr 1977 am Bodensee. Das Bataillon ist auf dem Paradeplatz innerhalb der Kaserne angetreten, und die Rekruten haben innerhalb der Kasernentore ihr Gelöbnis abgelegt. Dagegen ist auch aus meiner Sicht nichts einzuwenden - außer daß es fragwürdig ist, von jungen Menschen, die einen Zwangsdienst ableisten sollen, ein feierliches Versprechen zu fordern, daß sie diesen Zwangsdienst loyal verrichten werden. Das scheint mir rational und intellektuell nicht vollständig durchdacht zu sein. Ansonsten kann das aber eine Institution von ihren Mitgliedern verlangen, wie es zum Beispiel auch die Polizei tut.

Meine Kritik richtet sich gegen die öffentliche Inszenierung von Militärritualen, die auf feudale Zeiten zurückgehen und nicht in eine moderne Demokratie passen. Meinen Eid als freiwilliger Soldat habe ich mit zwei anderen Kameraden in einem Dienstzimmer abgelegt. Das war völlig unspektakulär. Mein Idealbild vom Soldaten ist das eines nüchternen, überzeugten Verfassungspatrioten.

Frage: Wie schätzen Sie das Wissen der heutigen Rekruten über die Verfassung des Staates ein, auf den sie ihren Treueid schwören?

Jürgen Rose: Es ist schwierig, ein Pauschalurteil zu fällen, aber wenn man sich die Ergebnisse von PISA-Tests und anderen Befragungen ansieht, scheinen das staatsbürgerliche Wissen und die politische Urteilskraft gerade in der jüngeren Generation doch eher unterentwickelt zu sein. Vieles spricht dafür, daß junge Soldaten, die ein solches Treuegelöbnis ablegen, wohl in der Tat nicht so ganz wissen, was sie da tun. Das ist nicht abfällig gemeint - wenn ich an meine Zeit vor über 30 Jahre zurückdenke, muß ich gestehen, daß auch ich als junger Mann mich nicht allzu intensiv mit Verfassungsfragen beschäftigt habe.

Frage: Aber Sie sind mit dem Bewußtsein in die Bundeswehr eingetreten, daß die Beteiligung an einem Angriffskrieg illegal wäre?

Jürgen Rose: Richtig, das haben wir quasi mit der Muttermilch eingesogen: Die Bundeswehr ist eine reine Verteidigungsarmee; sie kann überhaupt nicht in einem Angriffskrieg eingesetzt werden, denn es gibt ja den Artikel 26 im Grundgesetz, der die Vorbereitung eines Angriffskrieges unter Strafe stellt. Das wurde uns in fast jeder politischen Bildungsveranstaltung eingetrichtert. Mittlerweile ist die Realität der Bundeswehreinsätze meilenweit davon entfernt.

Frage: Wie wird dieses Thema heute im politischen Unterricht für Soldaten behandelt?

Jürgen Rose: Das Verbot der Beteiligung an Angriffskriegen gehört nach wie vor zum Unterrichtsstoff. Aber die »schwarz-rote« Bundesregierung besteht ja ebenso wie einst die »rot-grüne« darauf, daß sie nichts Illegales tut. Schon der Angriffskrieg gegen Jugoslawien im Jahr 1999 wurde zur »humanitären Intervention« umgelogen. Im Jahr 2001 wurde behauptet, die Beteiligung am Krieg gegen Afghanistan an der Seite der USA sei ein Akt der Selbstverteidigung. Obwohl der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen das nicht autorisiert hatte, und obwohl Afghanistan die USA nicht angegriffen hatte. Was das völkerrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges gegen den Irak und seine Menschen betrifft, wird bis heute fleißig an der Legende gestrickt, die Bundesrepublik Deutschland hätte sich gar nicht daran beteiligt, obwohl sie es logistisch unterstützt hat. Im politischen Unterricht wird die Fassade aufrechterhalten, das sei alles völkerrechtlich legal und verfassungskonform, obwohl das genaue Gegenteil der Fall ist. Die Bundeswehr führt in Afghanistan im klassischen Sinne Krieg - und im Krieg werden die Reihen eng geschlossen. An der Heimatfront gibt es aber ein Akzeptanzproblem. Deshalb wirbt das politische und militärische Establishment heute verstärkt um Gefolgschaft. Das öffentliche Treuegelöbnis ist Teil dieser Werbung.


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Quelle:
junge Welt vom 27.07.2009
mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. August 2009