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MILITÄR/896: Clausewitz reloaded (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 30.05.2011
(german-foreign-policy.com)

Clausewitz reloaded


BERLIN - Der deutsche Verteidigungsminister stimmt die Öffentlichkeit auf neue Kriegseinsätze der Bundeswehr ein. Es gebe große "Erwartungen" an die deutschen Streitkräfte, die den Umfang überträfen, der "bisher in Deutschland bekannt" und "akzeptiert" sei, erklärt Thomas de Maizière. Der Minister gibt bekannt, Interventionen in Pakistan, im Jemen, in Somalia oder im Sudan könnten konkret "auf uns zukommen". De Maizières Ankündigungen treffen in weiten Teilen der Opposition auf Zustimmung. Insbesondere ein Krieg im Sudan könne den deutschen Soldaten bevorstehen, äußert der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Jürgen Trittin. Er lässt Zustimmung zu einer ausgedehnten Militärintervention in dem Land erkennen. Wie der Verteidigungsminister urteilt, sei Krieg eben schlicht ein "Teil der Außenpolitik". Das entspricht den neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien, die de Maizière kürzlich erlassen hat. Darin werden die künftigen deutschen Militärinterventionen nicht nur geografisch, sondern auch inhaltlich völlig entgrenzt, sämtliche staatlichen Institutionen werden Prämissen der sogenannten Sicherheitspolitik unterstellt. Als letztinstanzlicher Maßstab für Kriege werden explizit die nationalen Interessen der Bundesrepublik genannt.


Sterben und Töten

Mehrfach hat der deutsche Verteidigungsminister in den vergangenen Tagen bekräftigt, dass der Umbau der Bundeswehr zur Berufsarmee mit einer Ausweitung deutscher Militärinterventionen in aller Welt einhergeht. Die Bundesrepublik müsse die "internationale Verantwortung" übernehmen, "die wir uns zutrauen, die man uns zutraut und die man von uns erwartet", forderte de Maizière in seiner Regierungserklärung vom Freitag: Das sei "mehr, als es bisher in Deutschland bekannt (...) oder wohl auch akzeptiert ist".[1] "Sterben und Töten" gehörten "dazu", hatte der Minister bereits zuvor in einem Interview verkündet.[2] Künftig soll die Bundeswehr 10.000 Soldaten gleichzeitig ins Ausland entsenden und bis zu zwei "große" sowie "mehrere kleine" Einsätze parallel stemmen können, heißt es im Bundesverteidigungsministerium. Weite Teile der Opposition stimmen zu. So erhebt nicht nur die SPD keine Einwände gegen die Militarisierungspläne. "Es wird mehr auf die Bundesrepublik Deutschland zukommen als bisher", urteilt auch der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, Jürgen Trittin. Trittin befürwortet künftige Militäroperationen: Berlin dürfe "keine rechtsfreien Räume auf diesem Globus dulden".[3]


Teil der Außenpolitik

Wie der Verteidigungsminister fordert, soll in Deutschland zudem in Zukunft ein instrumentelleres Verhältnis gegenüber Kriegseinsätzen gepflegt werden. "Der Einsatz von Streitkräften im Ausland" sei "immer auch Instrument der Außenpolitik" [4], erklärt de Maizière: "Es kann (...) nicht das Kriterium sein: Gefährliche Einsätze Nein, ungefährliche Einsätze Ja." Soldaten seien ein "Teil der Außenpolitik". Dabei müssten auch nichtmilitärische Kräfte die Militärinterventionen unterstützen. "Ein politischer Prozess muss begleitend zum Einsatz von Soldaten stattfinden", verlangt de Maizière. So würden in die Führung der Kriege "Wirtschaftspolitik, Entwicklungszusammenarbeit, gegebenenfalls Finanzpolitik, Sanktions- und Nachbarschaftspolitik" einbezogen. Nichts anderes besage "die Clausewitz'sche Formulierung 'Krieg ist die Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln'".


Komplett entgrenzt

Die Äußerungen des Verteidigungsministers entsprechen den neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien, die am 18. Mai veröffentlicht worden sind. Darin wird die Entgrenzung der deutschen Militäreinsätze nicht nur in geografischer, sondern auch in politischer Hinsicht formell begründet. So heißt es ausdrücklich, "Sicherheit für unser Land zu gewährleisten" bedeute nicht nur, "einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen". "Sicherheit" beinhalte "insbesondere, Auswirkungen von Krisen und Konflikten auf Distanz zu halten" und sich aktiv an "Vorbeugung und Einhegung zu beteiligen".[5] Das umfasse "auch den Einsatz von Streitkräften". Die Formulierung ist weit und unpräzise genug, um faktisch jeden Kampfeinsatz überall auf der Welt zu begründen. Nur eine Einschränkung bleibt bestehen: "In jedem Einzelfall" sei "eine klare Antwort auf die Frage notwendig, inwieweit die Interessen Deutschlands den Einsatz erfordern und rechtfertigen".


Streitkräfte, Spionage, Entwicklungshelfer

Zudem bekräftigen die Verteidigungspolitischen Richtlinien, dass die nichtmilitärischen Elemente der Berliner Politik in Zukunft noch enger mit den militärischen Elementen verschmolzen und der globalen Durchsetzung deutscher Interessen untergeordnet werden sollen. Die Wahrung nationaler Interessen sei "heute nur ressortgemeinsam möglich", heißt es in dem Dokument: Deshalb sei eine "umfassende und abgestimmte Sicherheitspolitik erforderlich", die "politische und diplomatische Initiativen genauso umfasst wie wirtschaftliche, entwicklungspolitische, polizeiliche, humanitäre, soziale und militärische Maßnahmen".[6] "Alle (!) verantwortlichen staatlichen Institutionen und Kräfte Deutschlands" müssten "ressortgemeinsam handeln"; "das zielgerichtete Zusammenwirken des Auswärtigen Dienstes, der Entwicklungshilfe, der Polizei, der Streitkräfte, des Zivil- und Katastrophenschutzes und der Nachrichtendienste" sei "auf allen Ebenen zu verstärken". Die noch bestehenden verfassungsrechtlichen Beschränkungen für ein solches "Zusammenwirken", die vor allem die Kooperation von Militär, Polizei und Spionage betreffen, werden offiziell zur Debatte gestellt: "Ob und inwieweit" die "Sicherheits- und Bedrohungslage" einen "rechtlichen Anpassungsbedarf" in Sachen Kooperation nach sich ziehe, "wird zu analysieren sein".


Die nächsten Kriegsschauplätze

Die Ernsthaftigkeit der deutschen Kriegspläne untermauert der Bundesverteidigungsminister mit Hinweisen auf mögliche Schauplätze der nächsten deutschen Militärinterventionen. Einsätze etwa in Pakistan, im Jemen, in Somalia oder im Sudan könnten in Kürze "auf uns zukommen", kündigt de Maizière an. In Pakistan, dem Jemen und Somalia führt der Westen längst einen nicht erklärten Krieg. Alle drei Länder sind seit geraumer Zeit Ziel westlicher Drohnenattacken oder Luftschläge, die bislang überwiegend von den Vereinigten Staaten durchgeführt wurden. Aus der Ankündigung des Ministers geht hervor, dass eine Ausweitung dieser nicht erklärten Kriege derzeit im Gespräch ist und in absehbarer Zeit vorgenommen werden kann. Das gilt besonders für den Jemen, der nach der jüngsten Eskalation der Unruhen von Bürgerkrieg bedroht ist. Die Ankündigung des Ministers bestätigt zudem, dass Berlin eine blutige Eskalation der Auseinandersetzungen im Sudan für nicht unwahrscheinlich hält und einer Militärintervention in dem Land recht offen gegenübersteht. Dort geht es um die von der Bundesrepublik geförderte Entmachtung des arabischen Nordens (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Nach dem in jüngster Zeit erfolgten Abzug größerer deutscher Truppenteile aus mehreren Nachfolgestaaten Jugoslawiens wäre eine Intervention im Sudan ein - neben dem Afghanistan-Krieg - zweiter "großer" Einsatz, wie ihn die Bundeswehr den neuesten Planungen zufolge gleichzeitig zu mehreren "kleinen" Interventionen bewältigen können muss.


Auszüge aus den Verteidigungspolitischen Richtlinien finden Sie hier:
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58074

Anmerkungen:
[1] De Maizière wirbt für Reform; www.n-tv.de 27.05.2011
[2] "Töten und Sterben gehören dazu"; Frankfurter Allgemeine Zeitung 27.05.2011
[3] Neuausrichtung der Bundeswehr; www.gruene-bundestag.de 27.05.2011
[4] "Töten und Sterben gehören dazu"; Frankfurter Allgemeine Zeitung 27.05.2011
[5], [6] Bundesministerium der Verteidigung: Verteidigungspolitische Richtlinien. Nationale Interessen wahren - Internationale Verantwortung übernehmen - Sicherheit gemeinsam gestalten, Berlin, 18.05.2011. Auszüge finden Sie hier:
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58074
[7] s. dazu The Day After (II)
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58070


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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Mai 2011